Pressemitteilung | (vzbv) Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.

Finanzdienstleistungen in Europa: Verbraucher müssen sich in Europa zu Hause fühlen / Verbraucherschutz ist ein Qualitätsmerkmal und kein Hemmnis für einen funktionierenden Binnenmarkt - Kuneva: Verbraucher gehören ans Steuer der wirtschaftlichen Entwicklung

(Berlin) - Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) und der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) haben zum Europäischen Verbrauchertag die Wahrung der Verbraucherinteressen bei der Gestaltung des Binnenmarktes angemahnt. Bei der Entwicklung des europäischen Binnenmarktes könne es nicht nur darauf ankommen, Barrieren für Anbieter zu beseitigen. Vielmehr müsste der Verbraucher in seinen Rechten gestärkt werden, damit er diesen Markt auch annehmen könne. Verbraucherschutz ist kein Hemmnis, sondern Motor und Qualitätsmerkmal eines funktionierenden Binnenmarktes, so die beiden Organisationen. Ziel müsse es sein, dass die Verbraucher sich nicht nur daheim, sondern auch in Europa "zu Hause" fühlen.

Seit 1999 bemüht sich die Europäische Union (EU) auch im Finanzdienstleistungssektor um den Aufbau eines Binnenmarktes. Dabei geht es nicht nur um einen ungehinderten Zahlungsverkehr, auch Anlage- und Kreditprodukte sollen grenzüberschreitend genutzt werden können. Im Weißbuch für die Finanzdienstleistungspolitik 2005-2010 werden nicht weniger als 72 Maßnahmen aufgelistet. Das Ziel der EU: Die unterschiedlichen nationalen gesetzlichen Regelungen sollen vereinheitlicht und festgeschrieben werden, auch im Verbraucherschutz. Gerade im Finanzsektor sind die Unterschiede groß: Die Zahlungsgewohnheiten an der Kasse, die Vertriebsmethoden und die Schadensabwicklung bei Versicherungen, die Ausgestaltung von Produkten, die Aufnahme von Verbraucherkrediten sind sehr unterschiedlich ausgeprägt. In Ländern wie Deutschland existieren über 2000 Banken und Sparkassen, in einigen Mitgliedstaaten lediglich 25.

Kuneva: Verbraucher als Motor der Wirtschaft

Heute (16. März 2007) diskutierten in Berlin über 200 Experten aus Politik, Gesellschaft und Verbraucherschutz über die Maßnahmen und Ziele der EU und die Zukunft der "Finanzdienstleistungen in Europa" - unter ihnen auch EU-Verbraucherkommissarin Meglena Kuneva. Sie bekräftigte die Bedeutung von selbstbewussten, informierten und starken Verbrauchern als Motor der Wirtschaft. Sie kündigte an, sich in den kommenden drei Jahren für wirtschaftliche Rahmenbedingungen einzusetzen, die Verbraucherinteressen stärker berücksichtigen. "Verbraucher gehören ans Steuer der wirtschaftlichen Entwicklung", zitiert Kuneva das von ihr in dieser Woche veröffentlichte verbraucherpolitische Strategiepapier der Kommission. Die Botschaft der Strategie: Die EU muss wieder die Verbindung zu ihren Bürgern finden. Dieses Ziel soll durch Stärkung der Verbraucher und ihrer Entscheidungsfähigkeit mittels Wahlfreiheit, Information, Markttransparenz und das Vertrauen in effektiven Schutz und solide Gestaltungsrechte erreicht werden. Kuneva: "Märkte, die sich aktiver auf die Bedürfnisse der Verbraucher einstellen, sind auch wettbewerbsfähiger und innovativer."

Harmonisierung versus Verbraucherschutz?

Offen und Kontrovers diskutiert wurde die Frage, wie dieser Spagat zwischen der Wahrung eines hohen Verbraucherschutzstandards als "Motor wirtschaftlichen Wandels" einerseits und einem auch im Verbraucherschutz harmonisierten Binnenmarkt andererseits gelingen kann. Hierzu gibt es auch unter den Veranstaltern unterschiedliche Vorstellungen:

Der EWSA spricht sich für ein Prinzip der "Upward Harmonisierung" als wichtiges Element des Binnenmarktes aus. "Wir unterstützen die Ziele der Kommission, das Vertrauen der Verbraucher, sowie Rechtssicherheit und Markteffizienz der Zahlungen im Binnenmark zu erhöhen, wobei Transparenz für die Verbraucher eine große Rolle spielen muss.", sagte EWSA-Präsident Dimitris Dimitriadis. Bestehende Gesetzgebung muss voll umgesetzt und verstärkt werden, dabei ist jedoch jede exzessive Regulierung zu vermeiden. Der EWSA-Präsident sprach sich eindeutig für den Gemeinsamen Zahlungsverkehrsraum (Single Euro Payments Area, SEPA) aus, befürchtet jedoch dass das Ziel 2008 nicht mehr zu erreichen ist. Ziel muss sein, dass sich die Verbraucher in einem Europäischen Finanzdienstleistungsmarkt "ohne Mauern" frei bewegen können.

Der vzbv befürchtet, dass im Ringen um eine Vollharmonisierung hohe nationale Verbraucherschutzstandards auf der Strecke bleiben. "Die Gleichung - Erst die Marktöffnung durch Harmonisierung und dann der Verbraucherschutz" kann nicht aufgehen", so vzbv-Vorstand Edda Müller. Unbestritten sei die Notwendigkeit einer Harmonisierung im Zahlungsverkehr als Rückgrat des Binnenmarktes. Ob jedoch etwa bei Krediten und Versicherungen überhaupt ein Bedarf für einen weitgehend harmonisierten Binnenmarkt besteht, sei zu prüfen. Ein Markt wie Deutschland sei weitgehend gesättigt - ein Mangel an Auswahl sei nicht vorhanden, eher an Transparenz und Vergleichbarkeit. Hohe Standards für den jeweils nationalen Verbraucherschutz und mehr Transparenz müssten primäre Ziele der EU-Politik sein, weniger der Appell, seine Finanzgeschäfte in anderen Ländern abzuwickeln. Das Gezerre der Dienstleistungsrichtlinie um die Harmonisierung und das Herkunftslandprinzip müsse eine Mahnung sein. Müller gab zu bedenken, dass Finanzdienstleistungen komplexe und oft abstrakte Produkte seien, die oft nur einmal im Leben gekauft werden und persönliche Gespräche und Beratung bevorzugt in der eigenen Sprache erfordern.

Finanzdienstleistungen im Ausland: Kein Interesse

Studien wie das Eurobarometer 2006 belegen, dass das Interesse an einem Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen derzeit bei den Verbrauchern praktisch nicht vorhanden ist: Demnach haben 94 Prozent der Verbraucher in Europa noch nicht einmal darüber nachgedacht, einen Immobilienkredit oder eine Versicherung in einem anderen Mitgliedsland abzuschließen. Die drei Hauptgründe: kein Wunsch danach, Sprachproblem, Informationsproblem. Eine vom vzbv in Auftrag gegebene Studie zur Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie Finanzdienstleistungen in Deutschland stellt unter anderem fest: Der grenzüberschreitende Fernabsatz hat in Deutschland bislang überhaupt keine Bedeutung. Die Studie belegt: Recht ist das Eine, seine Umsetzung das Andere. In Tests hatten selbst geschulte Experten Probleme, zu erkennen, ob und wann ein Vertrag abgeschlossen wurde. Die Darstellung der vorgeschriebenen Informationen ist oft lückenhaft, die Belehrung über den Widerruf entspricht häufig nicht den gesetzlichen Vorgaben.

Quelle und Kontaktadresse:
vzbv Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. Pressestelle Markgrafenstr. 66, 10969 Berlin Telefon: (030) 258000, Telefax: (030) 25800218

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