Pressemitteilung | Bund Deutscher Kriminalbeamter e.V. (BDK)

Folterdebatte: Weder "schwarz" noch "weiß"

(Birkenwerder) - Statement von Holger Bernsee, stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), zur aktuellen Folterdebatte.




"Was erzählt der mir denn für eine Räuberpistole?" war meine erste Reaktion, als mir ein Fernsehjournalist am Montag, d. 17. Februar davon berichtete, dass der Frankfurter Polizei-Vizepräsident angeordnet habe, einem Festgenommenen Schmerzen anzudrohen und dies auch umzusetzen, falls er nicht endlich zu einer Aussage bereit sei. Gemeint war der Mordfall Jakob Metzler. Der Sachverhalt dürfte infolge wochenlanger intensiver Medienberichterstattung inzwischen hinlänglich bekannt sein. Die Frage, die nicht nur besagter Journalist stellte, sondern der ich als Pressesprecher des BDK in der Folge unzählige Male im Zusammenhang mit diesem Fall gegenüberstand, lautete: "Darf die Polizei in solchen Fällen, in denen die körperliche Unversehrtheit dem Leben eines Kindes gegenübersteht, foltern?"

Zu diesem Thema lagen natürlich keine Gremienbeschlüsse des BDK vor. Niemand war zuvor auf den Gedanken zu kommen, diese Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, obwohl sehr wohl rechtstheoretische Abhandlungen hierzu vorliegen. Der folgende Standpunkt, den ich in den sich anschließenden Tagen in diversen Interviews und Diskussionen vertreten habe, gibt daher ausdrücklich meine persönliche Meinung wieder. Ich habe allerdings aus den Reihen des BDK bisher in keinem Fall Widerspruch, sondern schon in der ersten Phase der anlaufenden öffentlichen Debatte vielfachen Zuspruch erfahren. Die nachfolgenden Ausführungen sind ausdrücklich nicht der Versuch einer umfassenden juristischen Abhandlung. Neben juristischen Aspekten handelt es sich um ein zutiefst politisches Thema.

Die Antwort auf die o. g. Frage lautet ganz klipp und klar: "Nein! Natürlich nicht!" § 136 a Strafprozessordnung (Verbotene Vernehmungsmethoden) ist eindeutig. Ein Verstoß führt nicht nur zum Verwertungsverbot der Aussage, sondern ist gem. § 343 StGB (Aussageerpressung) als Verbrechenstatbestand strafbewährt. In den Polizeigesetzen der Länder sind die einschlägigen Vorschriften für die strafprozessuale Vernehmung für die gefahrenabwehrende Befragung übernommen. Das Folterverbot gilt absolut. Jeder Versuch, etwa eine polizeiliche Eingriffsbefugnis zu schaffen, die in bestimmten Situationen die Ermächtigung zu Misshandlungen von Festgenommenen einräumen würde, müsste mit Blick auf das Grundgesetz , die Europäische Menschenrechtskonvention und auch die Anti-Folterkonvention der Vereinten Nationen sofort durch das Bundesverfassungsgericht kassiert werden. Dies sollte auch in keiner Weise in Frage gestellt werden. Der Staat darf nicht foltern!

Damit könnte die Diskussion eigentlich beendet sein, was manche fordern. Ist sie aber nicht. Eine große Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist einer Forsa-Umfrage zufolge dafür, dass die Frankfurter Kollegen nicht bestraft werden sollten. 63 % der Befragten äußerten sich demnach in diesem Sinne. Und auch ich selbst bejahte letztlich - wenn auch zögernd - die Frage eines Journalisten, ob ich mir vorstellen könnte, dass ich mich in einer Situation, in der keine andere Möglichkeit besteht, einem entführten und irgendwo versteckten Kind das Leben zu retten, außer der Anwendung von Gewalt womöglich hierfür entscheiden würde. Das war keine übereilte, von unüberlegten Emotionen bestimmte Antwort. Ich wünsche niemandem, selbst in eine solche Situation verzweifelter Gewissensnot zu geraten.

Nehmen wir zwei andere Fallkonstellationen von Gewissensnot, die von dem emotionsbeladenen Mordfall Jakob Metzler weg führt:

1. Ein Terrorist wird im Rahmen einer Fahndung festgenommen und berichtet freimütig und glaubhaft, dass er zuvor eine Giftgas-Bombe im Zentrum einer Kleinstadt deponiert hatte. In wenigen Stunden wird diese zünden und voraussichtlich den qualvollen Tod der 20.000 Einwohner verursachen. Eine rechtzeitige Evakuierung ist nicht möglich. Der Mann sitzt den Beamten gegenüber, grinst sie an und sagt kein Wort mehr. Was die Beamten in dieser Situation nicht dürfen, ist klar. Und was sollten sie tun? Ist der Gift-Tod der Bevölkerung einer Kleinstadt tatsächlich zu akzeptieren oder wäre es zu tolerieren, wenn sie sich sozusagen "über das Recht stellten" und etwa Gewalt anwänden?

In einer Radio-Diskussion am 25.02. konfrontierte ich den Grünen - Bundestagsabgeordneten Ströbele mit dieser Frage. Er beantwortete sie nicht, sondern verwies auf seine Studienzeit, in der auch schon solche Horrorszenarien als theoretische Möglichkeit diskutiert worden seien. Die Studienzeit von Herrn Ströbele liegt aber schon lange zurück. Spätestens seit dem 11. September 2001 sind solche Szenarien sehr real.

2. Unlängst sorgte ein längere Zeit über Frankfurt/Main kreisendes entwendetes Kleinflugzeug für erhebliche Aufregung. Politiker standen hilflos wirkend vor den Fernsehkameras und sprachen von Abschuss und Bundeswehr-Einsatz. Tatsächlich waren Kampfflugzeuge aufgestiegen. Nun stellt der Abschuss eines Flugzeugs über der Frankfurter Innenstadt sicher keine geeignete Maßnahme dar. Was aber, wenn ein entführtes Passagierflugzeug mit diversen unschuldigen Geiseln auf ein Atomkraftwerk oder ähnliches zufliegt? Ein Abschuss würde die sichere Tötung einer Gruppe unschuldiger Menschen bedeuten, womöglich aber Tausenden das Leben retten. Er wäre jedoch eindeutig verboten! Die Verfassung verbietet die Aufrechnung von Leben gegeneinander ausdrücklich, insbesondere auch was die Größenordnung von Menschengruppen angeht . Was würde also geschehen? Möglicherweise würde sich der Bundesverteidigungsminister über das Recht hinwegsetzen und anschließend die Konsequenzen übernehmen. Er hätte sich so wie alle am Abschuss beteiligten wegen mehrfachen Totschlags zu verantworten.

Der Staat darf nicht foltern. Und er darf auch nicht unschuldige Geiseln gezielt töten. Aber was geschieht mit seinen Dienern, wenn sie sich in solchen Situationen dennoch dazu entschließen?

Im Frankfurter Fall Jakob Metzler wird dies gerichtlich geklärt werden - wahrscheinlich langwierig und abschließend erst in letzter Instanz. Da es sich wohl nicht um eine strafprozessuale Vernehmung, sondern eine ausschließlich der Lebensrettung und somit der Gefahrenabwehr dienende polizeirechtliche Befragung gehandelt haben dürfte, erscheint die Aussageerpressung gem. § 343 StGB nicht einschlägig - auch wenn sich der Rechtsanwalt des "mutmaßlichen" Kindermörders nicht scheute, die öffentliche Beschimpfung der Beamten als "Verbrecher" in sein Verteidigungskonzept einzubauen. Übrig bliebe demnach wohl der Nötigungstatbestand gem. § 240 StGB, wobei das Gericht sodann zu entscheiden hätte, inwieweit die Handlungsweise der Beamten als "verwerflich" anzusehen ist. In der Literatur wird der Standpunkt vertreten, dass Gewaltanwendung insbesondere dann tolerabel sei, wenn "das abgenötigte Verhalten auch vom Recht gefordert oder erwartet wird, z. B. bei Verhinderung einer Straftat...

Die Prüfung der viel diskutierten Frage, inwieweit ein rechtfertigender Notstand gem. § 34 StGB in Betracht kommt, könnte hier also womöglich entfallen - in anderen Fallkonstellationen jedoch nicht. Die Frage, ob diese Vorschrift auch Amtsträgern zur Seite stehen kann, ist seit Jahrzehnten strittig. An dieser Stelle sollte sich der Gesetzgeber bekennen und Rechtssicherheit schaffen! Auch Amtspersonen, die in absoluten Ausnahmesituationen und zum Schutz höchster Rechtsgüter unter Abwägung der Frage, welche Gewissenschuld sie eher ertragen könnten, das Recht brechen, sollte - so wie es jeder Privatperson - eindeutig die Möglichkeit zugestanden werden, sich auf § 34 StGB berufen zu können. Nicht "der Staat" wird schließlich hinterher strafrechtlich zur Verantwortung gezogen, sondern der einzelne Beamte höchst individuell. An der erforderlichen gerichtlichen Prüfung im Einzelfall ändert das selbstverständlich nichts. Dem Verteidigungsminister im Fall 2 würde dies allerdings auch nicht helfen: Da gleichwertige Rechtsgüter eben nicht gegeneinander abgewogen werden können, greift hier auch der Rechtfertigende Notstand mit Gültigkeit für Amtsträger nicht. Allenfalls käme ein "übergesetzlicher Schuldausschluss" in Betracht.

Fazit: Bei dieser Diskussion kann es nicht um "schwarz" oder "weiß" gehen: Die Ablehnung von Folter als staatliche Eingriffsmaßnahme steht für mich persönlich ebenso fest wie die Auffassung, dass die Handlungsweise der Frankfurter Kollegen gerechtfertigt war.

Quelle und Kontaktadresse:
Bund Deutscher Kriminalbeamter Theodor-Storm-Str. 17-18 16547 Birkenwerder Telefon: 03303/500132 Telefax: 03303/503070

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