Pressemitteilung | DSLV Bundesverband Spedition und Logistik e.V.

Fünf Fragen an Niels Beuck zu den Auswirkungen des EU-UK-Abkommens auf die Logistikbranche

(Berlin) - Niels Beuck, Geschäftsführer des DSLV stellt sich fünf Fragen zu den Auswirkungen das zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich (UK) erst am 24. Dezember 2020 geschlossene Handels-und Kooperationsabkommen auf die deutsche Speditions-und Logistikbranche hat.

Sorgt das Abkommen nach jahrelangen Brexit-Verhandlungen für Erleichterungin der Wirtschaft?

Ja, aber eine deutlich frühere Einigung wäre viel hilfreicher gewesenals ein Last-Minute-Deal.Die Wirtschaft hat jetzt kaum Zeit, sich vorzubereiten. Trotzdem ist das Abkommen zu begrüßen - als bestmöglicherAbschluss diesesinsgesamtsehr unglücklichen Austrittsprozes-seseines EU-Mitgliedstaats. Nun gilt es, die zahlreichen Details des fast 1500 Seiten umfassenden Abkommens zu sichten und in die Praxis umzusetzen. Bei aller Unwägbarkeit ist eines sicher: Der Brexit wird uns und unsere Mit-gliedsunternehmennoch lange Zeit beschäftigen.

Bleibt mit dem lang erwarteten Deal nicht vieles beim Alten?

Eindeutig nein. Es war von vornherein klar, dass es einen großen Unterschied ausmacht, ob das Vereinigte Königreich Teil der EU ist oder wie jetzt ein Drittland. Der Handel mit UK ist zum 1. Januar 2021 komplexer und bürokratischer geworden. Warenströme werden in Zukunft stärker kontrolliert und der administrative Aufwand steigt für alle Glieder der Lieferkette. Was häufig übersehen wird: Auch wenn überwiegend keine Zölle anfallen, sind dennoch Zollanmeldungen abzugeben, denn Einfuhrumsatzsteuer ist auf jeden Fall zu entrichten. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Unternehmen mit den verschiedenen nationalen Zoll-IT-Systemen, und dabei insbesondere mit dem neuen Border Operating Modelin UK, auseinandersetzen müssen. Handelsunternehmen, die Waren nach oder aus UK ex- oder importieren, müssen eigene Kompetenzen aufbauen oder Dienstleister wie Speditionen oder Zollagentenbeauftragen. In jedem Fall müssen neue Dokumentationspflichten erfüllt werden. Ausnahmen gelten für Nordirland, das zwar zum Zollgebiet des Vereinigten Königreichsgehört, aber zollrechtlich so behandelt wird, als wäre es Teil des EU-Zollgebiets.

Sind deutsche Speditionshäuser ausreichend auf die Änderungen vorbereitet?

Wir haben unsere Mitgliedsunternehmen schon frühzeitig über die zu treffenden Maß-nahmen im Falle eines No-Deal-Brexit und die daraus resultierenden Zollbedingungen unterrichtet. Bereits im Herbst 2018 hat der DSLV gemeinsam mit dem deutschen Zoll Informationsveranstaltungendurchgeführt. Lange Zeit galt der No-Deal als die wahrscheinlichste Variante des Brexit. Viele der damit verbundenen Folgen sind auch beim jetzt geschlossenen Abkommen relevant. Die Mehrheit der Logistikunternehmen hat sich in den letzten Jahren sehr intensiv auf ver-schiedene Szenarien vorbereitet, indem sie Personal aufstockten und zu Experten ausbildeten, in neue IT investierten, Prozesse anpassten und ihre Kunden informierten. Diese Vorbereitungen zahlen sich jetztaus. Aber natürlich funktionieren die neuen Abläufe nur dann reibungslos, wenn der erst vo zwei Wochen beschlossene und bekannt gemachte neue Rechtsrahmen vollständig implementiert wurde und das Wissen der Logistikkunden aus Industrie und Handelshäusern entsprechend vorhanden ist. Nach unseren bisherigen Erfahrungen gehen noch zu viele Unternehmender verladenden Wirtschaft und auch kleinere Transportunternehmen, die bislang alleine im EU-Binnenmarkt agierten, von falschen Voraussetzungen aus und sind deshalb nicht entsprechend vorbereitet. Obwohl für den Handel mit Drittstaaten seit Jahren in Kraft, überfordern die nun seit Jahresbeginn umzusetzenden Zollabfertigungen und Dokumentationspflichten diese Unternehmen. Es wird höchste Zeit, dass sie sich mit den für den EU-UK-Verkehrneuen Zollförmlichkeiten und Systemen auseinandersetzen. Während der Weihnachtstage stauten sich bis zu 10.000 Lkw kilometerlang an den Grenzübergängen zwischen UK und der EU. In den ersten Tagen nach Inkrafttreten des Abkommens blieben die erwarteten Staus hingegen aus.

Sorgt das Abkommen also bereits für Ordnung?

Nein, leider kann ich da keine Entwarnung geben. Die Grenzstörungen hatten pandemiebedingte Ursachen, haben uns aber wahrschein-lich schon einen Vorgeschmack darauf gegeben, was in den nächsten Wochen Realität an den Grenzübergängen werden könnte. Viele Unternehmen haben dies antizipiert, deshalb sind die Industrie- und Handelslager in UK derzeit bis an die Kapazitätsgrenzen gefüllt. Im November und Dezember 2020 wurden 50 Prozent mehr Güter über den Ärmelkanal befördert als in den Jahren zuvor. DieBeständereichen voraussichtlich noch zwei bis drei Wochen. Nach dem ohnehin saisonbedingten Abflachen der Verkehrsleistungskurve zu Jahresbeginn erwarten wir jetzt einen schnellen Anstieg des EU-UK-Verkehrs. Schon ab der zweiten Januarwoche werden die Probleme an den Grenzübergängen wieder zunehmen. Besonders deutlich dürften sich die Schwächen des Systems dann in der Grafschaft Kent zeigen, wo Lkw auf eine Genehmigung warten müssen, bevor sie die Fähranalgen in Dover anfahren dürfen. Hinzu kommen die Corona bedingten Verschärfungen des Einreiserechts. Damit sich nicht zwei Problem potenzieren, müssen die britischen Behörden unbedingt sehr pragmatisch vorgehen.

Welche Herausforderungen sind jetzt vordringlich zu bewältigen?

Täglich ergeben sich neue praktische Detailprobleme, seien es technische Mängel der Unternehmens-oder Behörden-IT, ausbleibende oder widersprüchliche Kommunikation vor allem der britischen Behördenoder eben die bereits angesprochenen Wissensdefizite einiger Unternehmen in der Lieferkette. So wird häufig verkannt, dass Waren im Verkehr zwischen der EU und UK nur dann zollfrei sind, wenn sie EU-oder UK-Ursprungs waren sind und dies durch sogenannte Präferenznachweise belegt wird. Diese präferenziellen Ursprungsregeln sind rechtlich und materiell äußert komplex. Vereinfacht gesagt muss der überwiegende Teil der in einem Endprodukt enthaltenen oder verarbeiteten Vormaterialen aus dem Gebiet der EU oder dem Vereinigten Königreich stammen, damit keine Zölle entstehen. Dies ist im Automotive-Sektor oder in der Textilindustrie kaum der Fall. Auch fehlende Anerkennungen von Veterinärbescheinigungen und die Behandlung von Verpackungsmaterial werden auf absehbare Zeit Probleme in der Praxisver-ursachen. Der DSLV ist hierzu in ständigem Kontakt mit britischen, deutschen und europäischen Behörden, damit diese Hürden schnell und unbürokratisch beseitigt werden.

Quelle und Kontaktadresse:
DSLV Bundesverband Spedition und Logistik e.V. Maximilian Pretzel, Pressestelle Unter den Linden 24 | Friedrichstr. 155-156, 10117 Berlin Telefon: (030) 4050228-0, Fax: (030) 4050228-88

(sf)

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