Pressemitteilung | Deutscher Volkshochschul-Verband e.V. (DVV)

Gering gebildete Erwachsene geraten aus dem Blick DVV fordert energische Initiative im Anschluss an die Alphadekade

(Bonn/Berlin) - Im internationalen Vergleich schneiden Leistungsschwache in Deutschland im Lesen besonders schlecht ab - doch die Bundesregierung lässt das zentrale Förderprogramm für Alphabetisierung und Grundbildung fallen.

Mitten im demographischen Wandel und trotz Arbeitskräftemangels in vielen Branchen übergeht die Regierungskoalition eine Bevölkerungsgruppe, die mit Nachqualifizierung den Einstieg in den Arbeitsmarkt oder den Umstieg in Jobs mit Zukunft schaffen könnte: Menschen mit sehr geringen Grundkenntnissen, insbesondere in der Schriftsprache und in Alltagsmathematik. Und das sind Viele, wie die jüngste PIAAC-Studie der OECD zeigt. In Deutschland vergrößert sich die Kluft zwischen gering und hoch qualifizierten Erwachsenen immer weiter. Zwar liegt der Anteil von Personen mit hohen Lese- und alltagsmathematischen Kompetenzen über dem internationalen Durchschnitt der 30 Teilnehmerländer. Doch weisen die leistungsschwächsten 10 Prozent der Bevölkerung Deutschlands im internationalen Vergleich auffallend geringe Lesekompetenzen auf. Diese Personen sind lediglich in der Lage, einzelne Sätze und sehr kurze, einfache Texte zu lesen. Zwei Drittel der Personen mit Hauptschulabschluss haben nur geringe Lesekenntnisse.

Noch alarmierender stellt sich die Lage dar, wenn neben den Lesekenntnissen auch die Schreibkenntnisse Erwachsener in den Blick genommen werden. Die Bildungsforscherin Anke Grotlüschen von der Universität Hamburg beziffert den Anteil der Personen mit zu geringer Schriftsprachkompetenz weiterhin auf 20 Prozent. Bildungsniveau und soziale Herkunft beeinflussen die Bildungschancen, gering Gebildete drohen abgehängt zu werden.

Die OECD-Studie deutet auch darauf hin, dass mangelnde Literalität ein Risiko für die repräsentative Demokratie in Deutschland darstellt: Im Vergleich zu Personen mit höheren Kompetenzen glauben anteilig deutlich weniger Menschen mit geringen Kompetenzen, politisch Einfluss nehmen zu können.

Umso bedenklicher ist es aus Sicht des Deutschen Volkshochschul-Verbands (DVV), dass die Bundesregierung sich aus der Förderung für Menschen mit Nachholbedarf bei grundlegenden Kompetenzen zurückzieht. Die "Nationale Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung", eine bedeutende Bund-Länder-Initiative, die seit 2016 Menschen mit schlechten Lese- und Schreibkenntnissen, mangelnden Kenntnissen im elementaren Rechnen und Problemen in anderen grundlegenden Wissensbereichen beim Lernen unterstützt, endet im kommenden Jahr. Eine Fortsetzung ist derzeit nicht in Sicht. "Das ist volkswirtschaftlich und gesellschaftspolitisch gleichermaßen untragbar", sagt Julia von Westerholt, Direktorin des Deutschen Volkshochschul-Verbands. "Mit Blick auf die mittel- und langfristigen Entwicklungen am Arbeitsmarkt können wir es uns nicht leisten, so viele Menschen einfach abzuschreiben. Und als Gesellschaft dürfen wir uns nicht damit abfinden, dass jede*r zehnte Erwachsene aufgrund mangelnder Grundbildung nur eingeschränkt am politischen und kulturellen Leben teilhaben kann."

Am heutigen Weltalphabetisierungstag ruft der Deutsche Volkshochschul-Verband die Bundespolitik auf, mit einer energischen Initiative an die Alphadekade anzuschließen.

Die Nationale Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung hat wichtige Voraussetzungen für den nachholenden Erwerb von Lese- und Schreibkenntnissen und anderen grundlegenden Kompetenzen im Erwachsenenalter geschaffen. Daran haben der DVV, seine Landesverbände und die Volkshochschulen hohen Anteil: mit neu entwickeltem professionellem Unterrichtsmaterial, innovativen Unterrichtsformen und neuen Lernorten. Im vhs-Lernportal mit derzeit 3 Mio. Lernenden-Accounts können nicht nur Deutschkenntnisse erworben, sondern auch systematisch Lesen und Schreiben trainiert werden. Und im Projekt "vhs-Lerntreff im Quartier" haben seit 2023 bereits 14,5 Prozent der Volkshochschulen dafür gesorgt, dass Menschen direkt vor ihrer Haustür besser lesen, schreiben, rechnen lernen und sich in anderen grundlegenden Fertigkeiten verbessern können.

Wenn die Alphadekade 2026 ohne Anschlussinitiative ausläuft, stehen die erzielten Fortschritte auf dem Spiel. Dabei steigen die Anforderungen in Alltag und Beruf kontinuierlich. Die Digitalisierung macht gute Lese- und Schreibkenntnisse nicht überflüssig, sondern noch wichtiger als bisher. In der agilen Arbeitswelt sind Schlüsselkompetenzen wie die Fähigkeit, Probleme systematisch anzugehen und zu lösen, unverzichtbar. Mündige Verbraucher*innen müssen sich im Netz auskennen, und der Erhalt der Demokratie erfordert Bürger*innen mit Informationskompetenz. "Der denkbar schlechteste Moment, um in der Alphabetisierung und Grundbildung die Segel zu streichen!", warnt DVV-Direktorin Julia von Westerholt. "Wir brauchen eine Regelförderung der bewährten Lernangebote, sonst fallen leistungsschwache Menschen in Deutschland noch weiter zurück".

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Volkshochschul-Verband e.V. (DVV), Sabrina Basler, Referent(in) Öffentlichkeitsarbeit, Königswinterer Str. 552 b, 53227 Bonn, Telefon: 0228 975690

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