Pressemitteilung | Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband e.V. im VBE (BLLV)

Gespräche und Gelenkklassen sind keine Lösung / BLLV-Präsident Wenzel zum Übertrittsverfahren: „Grundsätzlich ist der Auslesezeitpunkt zu früh“/ Solange das so ist, sollte der Elternwille frei gegeben werden

(München) - Als „hilfloses Herumdoktern an einem schwer kranken System“ hat der Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Klaus Wenzel, Überlegungen der künftigen Staatsregierung bezeichnet, das Übertrittsverfahren mit Hilfe sog. „Gelenkklassen“ erleichtern zu wollen. Für große Unruhe sorgen auch Pläne, übertrittsorientierte Beratungsgespräche in ersten oder zweiten Grundschulklassen einzuführen. „Grundschullehrerinnen und -lehrer sind fassungslos. Das Vorhaben ist in ihren Augen unpädagogisch und kontraproduktiv“, erklärte Wenzel. Der Übertrittsdruck würde noch weiter vor verlagert von den dritten und vierten Jahrgangsstufen in die zweiten und ersten, die Grundschule noch mehr unter das Diktat der Auslese gestellt. „Moderne Schulpolitik sollte sich nicht mit der Frage eines wie auch immer gestalteten des Übertrittsverfahren befassen, sondern damit, wie altersgerechtes Lernen im 21. Jahrhundert organisiert werden muss, um alle Kinder bestmöglich zu fördern. Die Schule von heute muss attraktive Abschlüsse für morgen gewährleisten und berufliche Perspektiven eröffnen, die junge Menschen am Arbeitsmarkt brauchen“, sagte Wenzel und betonte erneut: „Die Auslese zehnjähriger Kinder in drei verschiedene Schultypen ist unpädagogisch, ungerecht und überholt. Sie schafft Jahr um Jahr Tausende Bildungsverlierer. Sie gehört abgeschafft.“

Mit der Einführung von „Gelenkklassen“ werden weder Probleme gelöst, noch Prognosesicherheit gewährleistet. Der BLLV-Präsident: „Solange Kinder so früh sortiert werden, müssen wir den Elternwillen frei geben.

Schließlich sind es immer die Eltern, die die Verantwortung für die Übertrittsentscheidung übernehmen müssen. Damit wird der Notendruck vorübergehend von den Kindern genommen. Das kann kurzfristig für Erleichterungen sorgen. Nicht genommen wird den Kindern aber die Demütigung, wenn sie später auf dem Gymnasium oder auf der Realschule scheitern, weil dort die Fördermöglichkeiten zu gering sind.“ Für den BLLV bleibt die deutlich längere gemeinsame Schulzeit mit intensiver und individueller Förderung für alle Kinder der einzig richtige Weg.

„Grundschullehrerinnen und -lehrer beraten die Eltern ihrer Schüler über deren Stärken und Schwächen und die Möglichkeiten individueller Förderung bereits intensiv - von der ersten Klasse an. Insofern ist die als Innovation gepriesene Einführung von Beratungsgesprächen geradezu absurd“, kritisierte Wenzel. „Sie ist eine schallende Ohrfeige für alle Grundsschullehrerinnen und -lehrer, die sich täglich bemühen, jedem Kind in einem zutiefst ungerechten System gerecht zu werden.“ Als geradezu aberwitzig bezeichnete Wenzel die Annahme, dass Beratungsgespräche den unerträglichen Druck aus der Grundschule nehmen könnten. „Eltern wissen, dass nach der vierten Klassen die Weichen für die berufliche Laufbahn, für Zukunftsperspektiven und späteren Einkommensverhältnisse ihres Kindes gestellt werden und wollen nur das Beste. In vielen Familien kommt es zu Spannungen und Belastungen. Viele Kinder werden krank. „Das Klima an den Grundschulen ist beherrscht von der Übertrittsfrage.

Grundschullehrer/innen werden weiterhin als diejenigen wahrgenommen, die über Bildungskarrieren entscheiden, das erschwert die konstruktive Zusammenarbeit mit den Eltern.“

Wenzel wies darauf hin, dass der frühe Auslesezeitpunkt kindlichen Bedürfnissen in keiner Weise gerecht wird. „Die Konzentration auf Auslesediagnostik und die Vernachlässigung von Förderdiagnostik führen dazu, dass ertragreiches und nachhaltiges Lernen zu kurz kommt. Weil Bildungs- und Erziehungsarbeit immer auch Beziehungsarbeit ist, brauchen Schüler und Lehrer auch die dafür erforderliche Zeit. Wer die gewachsenen Beziehungen und Bindungen in einer Klasse bereits am Ende der vierten Jahrgangsstufe zerstört, muss sich über die geringen Lernerfolge und die zunehmenden Verhaltensauffälligkeiten vieler Kinder nicht wundern.“ An diesen Tatsachen ändern „Gelenkklassen“ nichts, „die lediglich den Fundus an phantasielosen Reparaturmaßnahmen der vergangenen 50 Jahre erweitern.“

Ein Argument für die Einführung der sechsstufigen Realschule war, in die Hauptschule mehr Kontinuität und Ruhe zu bringen. „Gelenkklassen“ konterkarieren das damalige Ansinnen, vielmehr verlängern sie die Ausleseproblematik von der Grundschule in die Hauptschule und sorgen so für vermehrte Schülerfluktuation und Unruhe.

Wenzel: „In einem modernen Schulsystem muss die professionelle Organisation von Lernen die Hauptsache sein. Das vorzeitige Aus- und Umsortieren der Kinder ist kontraproduktiv. Wer möchte, dass junge Menschen Lust auf lebenslanges Lernen bekommen, darf sie nicht unter Druck setzen, sondern muss ihnen Erfolgserlebnisse ermöglichen. Schülerinnen und Schüler brauchen keine `Gelenkklassen´, sondern eine längere gemeinsame Schulzeit.“

Quelle und Kontaktadresse:
Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband e.V. im VBE (BLLV) Andrea Schwarz, Pressereferentin Bavariaring 37, 80336 München Telefon: (089) 72100129, Telefax: (089) 72100155

(el)

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