Pressemitteilung | Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)

GEW fordert offensive Debatte über Schulstrukturen in Deutschland / Reaktion der Bildungsgewerkschaft auf neue DIPF-Studie zu PISA

(Frankfurt am Main) - “Wir wissen jetzt genug über die Erfolgsrezepte anderer Länder. Nun müssen alle – Wissenschaftler, Bildungsminister und Pädagogen – an einen Tisch und einen konkreten gemeinsamen Masterplan erarbeiten. Wir haben keine Stunde mehr zu verlieren, sonst sind wir in zehn Jahren nicht an der internationalen Spitze, sondern ein bildungspolitisches Entwicklungsland. Die Versäumnisse haben unsere Kinder zu zahlen", sagte Eva-Maria Stange, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), am 5. Juli in Reaktion auf die neue PISA-Auswertung des Deutschen Instituts für internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt.

Sie forderte, dass die Kultusminister endlich ohne Scheuklappen und Tabus zur Kenntnis nehmen sollten, warum andere Länder bei PISA viel besser als Deutschland abschneiden. Diese Länder gäben nicht nur Bildung in der Gesellschaft einen höheren Stellenwert, sondern täten auch alles, damit kein Kind zurück bleibt. Verschiedenheit sei bei ihnen normal und kein Grund, jemanden wie in Deutschland auszusortieren. Die heilige Kuh des gegliederten Schulsystems müsse bei uns geschlachtet werden, unterstrich Stange. Als Ergänzung brauche Deutschland einen Maßnahmen-Mix: längeres gemeinsames Lernen mindestens bis Klasse 9, individuelle Förderung von Anfang an, besondere Unterstützungsmaßnahmen für sozial benachteiligte Schüler und Regionen, mehr Eigenverantwortung der Schulen bei gleichzeitiger Qualitätskontrolle und Beratung durch unabhängige staatliche Institutionen. Dazu gehörten auch Ganztagsschulen mit einem pädagogischen Konzept, das Lernen und Freizeit sinnvoll verbindet und vor allem Zeit zur Förderung gibt.

Die aktuelle DIPF-Studie bestätige, dass Einzelmaßnahmen zu kurz greifen. Sie müssten in ein Gesamtkonzept eingebettet sein. “Es gibt ein gemeinsames Erfolgsrezept, das die PISA-Siegerländer auszeichnet”, betonte Stange. “Die Stichworte lauten: integriertes Schulsystem, individuelle Förderung der Schüler und ein hohes Maß an Eigenverantwortung der Schulen.” Qualität und Vergleichbarkeit des Angebotes der Schulen werde durch landesweit für alle Schulen geltende Bildungsziele gesichert. Diese beschrieben Basiskompetenzen, über die alle Schüler bis zum Ende ihrer Schulzeit verfügen sollen. Hierauf hätten alle einen Anspruch, die Schule habe die Bedingungen dafür bereitzustellen. “In Deutschland gibt es dagegen über 4.200 verschiedene Lehrpläne. Das ist Wahnsinn und hat nichts mit Qualität zu tun!” sagte Stange. "Diesem Wildwuchs muss die Politik mit für alle verbindlichen Regelungen einen Riegel vorschieben. Wer jetzt schon wieder wie Baden-Württemberg anfängt, Bildungsstandards auf Kleinstaatenniveau einzuführen, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.”

Zudem erhalten Lehrer in den erfolgreichen PISA-Ländern laut DIPF durch regelmäßige und gezielte Fortbildungen mehr Unterstützung als in Deutschland. “Die Weiterqualifikation verbessert die Diagnosefähigkeiten der Lehrkräfte und ihre pädagogische Flexibilität. Lehrer in anderen Ländern haben gelernt, Unterschiede der Schüler zu akzeptieren und individuell darauf zu reagieren”, erläuterte Stange. Dies ermögliche ihnen, mit sehr unterschiedlichen Kindern umzugehen und Schwächere oder Migranten speziell zu fördern.

“In den PISA-Siegerländern ist man davon weggekommen, einfach viel Geld in die Bildung in der Hoffnung zu stecken, dass hinten automatisch mehr rauskommt. Jetzt schaut man auf die Ergebnisse, die man erreichen will, und ergreift entsprechende Maßnahmen”, beschreibt die GEW-Chefin die Bildungsphilosophie in diesen Staaten.

“Kanada, Schweden und andere haben vor zehn Jahren kräftig in Bildung investiert und gleichzeitig die Ergebnisse kontrolliert. Jetzt ernten sie die Früchte. Wenn wir diese Länder 2015 eingeholt haben wollen, müssen wir sofort den Startschuss geben”, forderte Stange.
Info:
Das DIPF hatte am Freitag in seiner auswertenden Studie zu PISA die Länder Kanada, England, Finnland, Frankreich, Niederlande und Schweden unter die Lupe genommen. Die Studie hat drei Aspekte untersucht: soziale Ungleichheiten, das Schulsystem und die Steuerung des Bildungssystems. Auftraggeber für die Expertise war das Bundesbildungsministerium.

KMK-Pressemitteilung vom 4. Juli 2003
Kultusministerkonferenz mit Vorlage konkreter Entwürfe nationaler Bildungsstandards auf dem richtigen Weg

BMBF-Pressemitteilung vom 4. Juli 2003:
„Deutschland muss von erfolgreichen PISA-Ländern lernen“

Die DIPF-Studie können Sie unter www.dipf.de/aktuelles/PISAVerglProjStudie-aktuell.pdf herunterladen.

Quelle und Kontaktadresse:
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Reifenberger Str. 21, 60489 Frankfurt Telefon: 069/789730, Telefax: 069/

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