Pressemitteilung | Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)

GEW: „Rote Karte für Politik nach PISA - Lehrkräfte mehrheitlich für längeres gemeinsames Lernen“ / Bildungsgewerkschaft zur 3. Lehrerbefragung des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS)

(Frankfurt am Main) – „Die Lehrkräfte haben der Bildungspolitik nach dem PISA-Schock die Rote Karte gezeigt, während sie selbst große Reformbereitschaft an den Tag legen. Zum ersten Mal sprechen sich fast 60 Prozent der Lehrkräfte dafür aus, dass die Kinder nach der Grundschule weiter gemeinsam lernen sollen“, sagte Marianne Demmer, stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), während der Vorstellung der 3. Lehrerumfrage des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) Dortmund. Damit habe sich die Zahl der Pädagogen gegenüber 1998 verdoppelt, die der frühen Auslese der Schüler und dem gegliederten Schulwesen eine deutliche Absage erteilen. In den östlichen Bundesländern wollten sogar drei Viertel der Befragten eine gemeinsame Schule für alle Kinder. Selbst bei den traditionell eher ablehnenden Lehrkräften an Realschulen und Gymnasien sei die Quote der entschiedenen Gegner auf ungefähr ein Drittel geschrumpft, ein Fünftel der Befragten sei unentschieden. Ein ähnliches Ergebnis hatte die Elternbefragung vor zwei Jahren ergeben (IFS-Studie 2004: Zustimmung: 44 Prozent, Ablehnung: 34 Prozent). „Eine Schule für alle steht bei Wirtschaft, Eltern und Lehrkräften längst auf der Tagesordnung, auch wenn das die meisten Kultusminister noch nicht wahr haben wollen“, unterstrich Demmer.

Die Studie belege, dass das öffentlich gängige Bild der Lehrkräfte als Bremser und Blockierer nicht zutrifft. „Die Lehrerinnen und Lehrer sind mehrheitlich bereit, sich immer wieder auf Neues einzulassen und Verantwortung für das Gelingen von Bildungsprozessen zu übernehmen. Und das trotz des hohen Altersdurchschnitts in den Kollegien und der in den vergangenen Jahren erheblich gestiegenen Belastungen, etwa durch zusätzliche Unterrichtsstunden“, sagte Demmer. In diesem Zusammenhang bewertete sie das deutliche Votum für Ganztagsschulen, für die Nutzung von Computern und Internet sowie die große Bereitschaft, für die Qualitäts- und Schulentwicklung Verantwortung zu übernehmen, positiv. Die GEW-Vize forderte die verantwortlichen Schulpolitiker auf, die Lehrerschaft und ihre Interessenvertretungen endlich als wichtige Partner für notwendige Veränderungen anzuerkennen.

Demmer warnte allerdings mit Nachdruck davor, die Reformbereitschaft der Lehrkräfte auszunutzen, sie durch ständige Außenkontrolle zu entmündigen und zu gängeln sowie die Arbeitsbelastung weiter zu erhöhen. Lehrerinnen und Lehrer wollten, so die Untersuchung, „mehr pädagogische Gestaltungsfreiheit und starke Personalvertretungen“. Die Studie zeige zudem eine große Bereitschaft der Pädagogen zur Selbstevaluation. Für Lehrkräfte mit schweren Erschöpfungs-Symptomen (14 Prozent der Befragten zeigen Burnout-Symptome) verlangte die GEW-Vize professionelle Hilfe und erinnerte die Kultusminister an ihre Fürsorgepflicht gegenüber Lehrern und Schülern.

Demmer forderte von den Kultusministern, schulpolitische Veränderungen „endlich sorgfältig vorzubereiten“ und von der üblichen Basta-Politik Abschied zu nehmen. Gute Beispiele für richtiges Wollen, aber falsche Ausführung seien in jüngster Zeit die Themen Sitzenbleiben und individuelle Förderung. „Absichtserklärungen der Kultusminister reichen da überhaupt nicht. Diese Vorhaben müssen durch Fortbildung der Lehrkräfte und Unterstützungsangebote für die Schulen flankiert werden. Wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, werden die Lehrerinnen und Lehrer beispielsweise auf ihrer mehrheitlich ablehnenden Haltung gegenüber der Abschaffung des Sitzenbleibens beharren.“

Info: Das IFS hat für seine Studie Anfang 2006 bundesweit 1034 Lehrerinnen und Lehrer, die in der Sekundarstufe I allgemeinbildender Schulen unterrichten, befragt. Nach den Studien von 1995 und 1998 ist dies die dritte Untersuchung. Verantwortlich sind IFS-Leiter Prof. Dr. Wilfried Bos, Prof. em. Hans-Günter Rolff, der ehemalige Leiter des IFS, und Dr. Michael Kanders. Die Max-Traeger-Stiftung der GEW und das Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen haben die Studie finanziert.

Quelle und Kontaktadresse:
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Ulf Roedde, Pressesprecher Reifenberger Str. 21, 60489 Frankfurt am Main Telefon: (069) 78973-0, Telefax: (069) 78973-201

(sk)

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