Pressemitteilung | Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung e.V. (BGL)

Halbzeitbilanz der EU-Kommission zum Weißbuch der Verkehrspolitik / Ernüchternde Analyse bleibt ohne greifbare politische Konsequenzen, Verlagerungsphantasien schwächen den Standort Europa

(Frankfurt am Main) – Die lange angekündigte Halbzeitbilanz der EU-Kommission zum Weißbuch der Verkehrspolitik wurde nach einigem Tauziehen in der Kommission vorgelegt. Inhalt und Formulierungen legen nahe, dass intensiv um eine Kompromissformel gerungen wurde, um die offen zutage getretene Dissonanz zwischen offizieller Verkehrspolitik der Gemeinschaft und real existierenden Fakten zu überbrücken. Verkehrskommissar Barrot ist offenkundig durch den Umweltkommissar „ausgebremst“ worden.

War bis zuletzt in Weißbuchentwürfen von der allgemeinen Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Europas und der Transportwirtschaft die Rede, steht ab sofort wieder umweltpolitisches Wunschdenken im Vordergrund. Verlagerungsphantasien und nicht das Machbare beschäftigen die EU-Kommission. Die mit dem Weißbuch veröffentlichten Prognosezahlen lassen keinen Zweifel daran, dass die bisher verfolgte Verlagerungstrategie von Straßenverkehren, vor allem auf die Schiene, aus den logistischen Anforderungen moderner Volkswirtschaften heraus als gescheitert gelten muss.

Bis zum Jahr 2020 wird der Straßengüterverkehr um 55 Prozent anwachsen, während der Schienenverkehr trotz hoher Infrastrukturaufwendungen auf Grund der Logistikmarktanforderung nur um 13 Prozent zunehmen kann. Dies bedeutet, dass das Wachstum auf der Straße 24-mal (!) größer sein wird als auf der Schiene. Wenn aber nicht mehr verlagert werden kann, hilft das politische Festhalten an gescheiterten Strategien nichts.

Auch wenn im Tenor der Weißbuchbilanz anders interpretiert, erwartet die EU-Kommission in der Realität keine Renaissance der Schiene. Vielmehr zeigen die nüchternen Zahlen einen weiteren Rückgang des Modal-Split-Anteils im Schienengüterverkehr von 11 Prozent auf nur noch 8Prozent im Jahr 2020. Die Straße wird ihren Anteil von 43 Prozent auf 45 Prozent erhöhen. Lediglich der Kurzstreckenseeverkehr zeigt tendenziell Entlastungspotentiale für den EU-Binnenmarkt. Sein Anteil soll leicht von 39 Prozent auf 41 Prozent - in gleichem Umfang wie der Straßengüterverkehr – steigen.

So ernüchternd die Analyse der EU-Kommission für Eisenbahnideologen gewirkt haben mag, so realitätsfern ist auch die Interpretation der EU-Kommission, um nötige Korrekturen an der bisherigen Verkehrspolitik vorzunehmen. Diese verweist auf den Ausbau der Transeuropäischen Netzwerke (TEN). Darin angestoßene Projekte betreffen selbstredend nur den weit hinter den Erwartungen zurückbleibenden Verkehrsträger Schiene und haben selten Infrastrukturvorhaben für den Straßengüterverkehr im Auge. Angesichts der prognostizierten Wachstumsraten folgt daraus ein entscheidendes Versäumnis der heutigen Verkehrsinfrastrukturpolitik.

Die Realität ignorierend, fehlt der Halbzeitbilanz der EU-Kommission ein Bekenntnis für den qualifizierten Ausbau der Straßeninfrastruktur. An ihre Stelle tritt das neue Schlagwort „intelligente Mobilität“. Was damit gemeint sein könnte, bleibt in konkreter Form offen. Neben der Prioritätensetzung bei der Mittelverwendung soll das so genannte „Smart-Charging“ - also das kluge Abkassieren – nach dem Willen der EU-Kommission zu einer optimalen Finanzmittelausstattung und Verkehrslenkung führen. In einem „Worst-Case-Szenario“ könnte damit gemeint sein, den Straßengüterverkehr mit hohen Gebühren auf zeitliche Randlagen der Verkehrsbelastung zu verdrängen, wenn schon eine Verlagerung auf alternative Verkehrsträger aus technischen und logistischen Gründen nicht möglich erscheint. Damit würde die EU-Kommission ihrer selbst formulierten Erkenntnis entgegen arbeiten, Logistik und Verkehr als Standortfaktor und Wachstumsmotor für die Wirtschaft als Ganzes zu begreifen.

Alles in allem bietet die Halbzeitbilanz der EU-Kommission zum Weißbuch politisch gesehen nahezu für jeden etwas. Die vorgestellten Lösungsansätze bleiben schon deshalb weit hinter den notwendigen Erfordernissen logistischer Entwicklungen zurück. Die Erkenntnis aus den von der EU-Kommission vorgelegten Verkehrsprognosen, nach der politisch propagierte Verlagerungseffekt auf so genannte „umweltfreundlichere Verkehrsträger“ nicht zu realisieren sind, hätte einen Paradigmenwechsel erfordert. Ganz offensichtlich wurde dieser nicht „gewagt“ oder war umweltpolitisch nicht konsensfähig. Ein Rückgang des Marktanteils der Schiene von 11 Prozent auf 8 Prozent entspricht einem Marktanteilsverlust von fast 30 Prozent trotz hoher Milliardenförderung des Systems Schiene. Die Frage nach der ökonomisch wie auch ökologisch sinnvollen Mittelverwendung im Verkehrsbereich wird trotzdem nicht aufgeworfen. Dieses Versäumnis wirft den EU-Binnenmarkt noch weiter zurück. Der Lissabon-Prozess, der Europa bis 2010 zur wachstumstärksten Region der Welt machen sollte, kann mit dieser Strategie zu den Akten gelegt werden.

Es ist Zeit zum Handeln, stellt der BGL fest, wenn nicht jetzt, wann dann? Jedenfalls darf nicht so lange gewartet werden, bis Europa seine internationale Wettbewerbsfähigkeit verloren hat, und die logistische Leistungsqualität im Verkehrsstau verloren geht. Ein „bisschen Optimierung“ und „Smart-Charging“ reichen nicht aus und können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Infrastrukturversäumnisse der aktuellen Verkehrspolitik die schwerste Hypothek des EU-Binnenmarktes sind. „Wenn nichts geschieht, werden die unterentwickelte Infrastruktur und der Logistiksektor zu einer entscheidenden Wachstums- und Beschäftigungsbremse in den nächsten 10 Jahren. So schafft die EU-Kommission Beschäftigung in Asien, aber nicht in Europa“, meint BGL-Präsident Hermann Grewer.

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung e.V. (BGL) Pressestelle Breitenbachstr. 1, 60487 Frankfurt am Main Telefon: (069) 79190, Telefax: (069) 7919227

(sk)

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