Pressemitteilung | Zentralverband des Deutschen Handwerks e.V. (ZDH)

Handwerk zum Koalitionsvertrag: Reformen nicht vertagen und Handwerks- und mittelstandspolitische Maßnahmen umsetzen

(Berlin) – Mit dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD hat sich heute bei seiner Sitzung in Berlin das ZDH-Präsidium befasst und folgende Bewertung abgegeben: Mit ihrem Koalitionsvertrag haben CDU/CDU und SPD die Grundlage für eine handlungsfähige stabile Bundesregierung mit großer parlamentarischer Mehrheit gelegt. Das Handwerk erwartet, dass damit umgehend der monatelange lähmende politische Stillstand in Deutschland beendet ist.

Es erwartet, dass auf dieser Grundlage eine reformorientierte Politik weiter ausgestaltet wird. Den Willen dazu haben die Koalitionsparteien zum Ausdruck gebracht - insbesondere die Absicht, durch eine Stärkung von Handwerk und Mittelstand Impulse für Wachstum und Beschäftigung zu setzen.

Das Handwerk begrüßt ausdrücklich die gezielte Ausrichtung des Koalitionsvertrages auf Handwerk und Mittelstand. Eine Vielzahl der Vorhaben der großen Koalition geht auf Vorschläge des Handwerks zurück. Es wird mit Wachsamkeit die Einhaltung der Zusagen verfolgen und anmahnen.

Um nachhaltig Wachstum und Beschäftigung zu schaffen und dadurch die Staatskassen zu sanieren, sind tiefgreifende Reformen notwendig – in der Steuer-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.

Diese Reformvorhaben werden jedoch in den Vereinbarungen vertagt oder ausgeklammert. Die große Koalition muss hier ihre Möglichkeiten noch erheblich entwickeln. Entscheidend für ihren Erfolg wird sein, ob es gelingt, Deutschland durch den Abbau struktureller Defizite wieder zukunftsfähig zu machen.

Die schwerwiegendsten und drängendsten Probleme liegen in der Finanz- und Haushaltspolitik. Die Sanierung der öffentlichen Kassen muss Priorität haben, und zwar durch eine Senkung der Ausgaben.

Solange jedoch die sozial- und arbeitsmarktpolitischen Konzepte fehlen, laufen die Vereinbarungen auf eine "Spar-Politik" durch Steuer- und Abgabenerhöhung hinaus.

Sie drohen damit, das ohnehin viel zu schwache Wachstum weiter abzuwürgen mit zusätzlichen Belastungen für den Staatshaushalt. Hier liegt der wesentliche Webfehler und die große Gefahr des Koalitionsvertrages.

Steuerpolitik
Schädlich ist vor allem die angekündigte Anhebung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent. Wachstumshemmend wirken sich desweiteren die Streichungen der sogenannten "Koch-Steinbrück-Liste" aus, insbesondere die Abschaffung der Eigenheimzulage zum 1.1.2006.

Von der Mehrwertsteuererhöhung erhält nur die Schwarzarbeit zusätzliche Impulse. Ein grundlegend falscher Ansatz ist erst recht, dass mit den Mehreinnahmen überwiegend die Löcher in den öffentlichen Kassen gestopft werden sollen. Zur Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ist eine Mehrwertsteuererhöhung nicht erforderlich. Eine Senkung um 2 Prozentpunkte könnte allein durch Einsparungen bei der Bundesagentur für Arbeit erreicht werden, vor allem durch Streichungen im zweiten Arbeitsmarkt.

Eine Mehrwertsteuererhöhung verstärkt im Handwerk den Ruf nach einem reduzierten Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Leistungen. Das Handwerk fordert deshalb die neue Bundesregierung auf, auf EU-Ebene unverzüglich einem Vorschlag der britischen Ratspräsidentschaft zu folgen, der in Deutschland diese Option öffnet.

Die Zusage einer "großen Steuerreform 2008" wertet das Handwerk als wichtige Zielperspektive und Selbstverpflichtung der Regierungsparteien. Es erwartet davon ein gerechtes, transparentes Steuersystem, das vor allem auch Personenunternehmen entlastet.

Dass gewerbliche Einkünfte von der Erhöhung der privaten Einkommensteuer für besonders hohe Einkommen (500.000/250.000 Euro) ausgenommen werden sollen, begrüßt das Handwerk als wichtige Korrektur der ursprünglichen Überlegungen, um gewerbliche Investitionen nicht zu gefährden.

Investitionsstärkung
Zu einer Stärkung der gewerblichen Investitionen werden vor allem verbesserte Abschreibungsbedingungen sowie eine gezieltere Ausrichtung öffentlicher Förder- und Finanzierungsinstrumente auf Handwerk und Mittelstand beitragen. Das Handwerk begrüßt diese Verabredungen.

Zusätzliche private Nachfrage nach Handwerksleistungen mit Wachstums- und Beschäftigungseffekten wird im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen die steuerliche Absetzbarkeit handwerklicher Modernisierungs- und Renovierungsarbeiten auslösen.

Ebenfalls eine wachstumsfördernde Stimulierung im Bau- und Ausbaubereich wird vom angekündigten Programm zur Förderung der "energetischen Gebäudesanierung" ausgehen. Dieses Programm greift wesentliche Elemente aus dem Handwerkskonzept zur Neujustierung der Eigenheimzulage auf, indem es private Modernisierungsarbeiten im Bestand direkt fördert.

Liquiditätsstärkung
Ein besonderes Anliegen des Handwerks ist die Liquiditätsstärkung der Betriebe. Dazu wird im Bereich der Umsatzsteuer die angekündigte Anhebung des Schwellenwertes zur Istbesteuerung auf 250.000 Euro in den alten Bundesländern und die Verlängerung des Schwellenwertes von 500.000 Euro in den neuen Bundesländern beitragen. Das Handwerk hält aber an seiner Forderung nach einer bundesweit einheitlichen Anhebung des Schwellenwertes auf 1 Mio Euro fest.

Ein weiteres Instrument zur Liquiditätsstärkung ist die vom Handwerk seit langem vorgeschlagene degressive Abschmelzung der Erbschaftssteuer über zehn Jahre bei Fortbestand eines Betriebes. Damit werden Betriebsübernahmen erleichtert.

Handwerk im fairen Wettbewerb
Das Handwerk erwartet faire Wettbewerbsbedingungen für den Mittelstand. Im innereuropäischen Wettbewerb werden dazu insbesondere beitragen:
- die Erweiterung des Entsendegesetzes auf die Gebäudereiniger,
- die intensivierte Bekämpfung des Missbrauchs der Dienstleistungs- und Niederlassungsfeiheit durch angestrebte Verwaltungsvereinbarungen, verstärkte Kontrollen und die Fortsetzung der Arbeit der -Taskforce Dienstleistungsmissbrauch sowie
- eine Überarbeitung der geplanten Dienstleistungsrichtlinie mit dem Herkunftslandsprinzip, durch die Berufsqualifikationen und hohe Qualität nicht ausgehöhlt werden dürfen.

Im nationalen Rahmen erwartet das Handwerk eine Stärkung fairer Wettbewerbsbedingungen bei der geplanten Modernisierung des Vergaberechts, die keinesfalls zu einer Aushöhlung der bestehenden mittelstandsfreundlichen Vergabeordnung führen darf.

Eine Ausrichtung auf mittelständische Belange erwartet es auch bei einer Ausweitung der öffentlich-privaten Partnerschaften.

Bildung
Mit seiner hohen Ausbildungsleistung begrüßt das Handwerk das Bekenntnis der neuen Bundesregierung zum dualen System der beruflichen Bildung und dessen Stärkung im europäischen Bildungswettbewerb.

Es begrüßt den Willen einer großen Koalition, die Durchlässigkeit zwischen den Bildungswegen zu erhöhen. Es erwartet dabei die Öffnung der Hochschulen für Meister.

Das Handwerk begrüßt die klare Aussage im Koalitionsvertrag, das erfolgreiche Meister-Bafög weiterzuführen.

Qualifizierte Handwerksunternehmer sind die Voraussetzung für ein innovatives Handwerk, das seine wirtschaftliche Stabilität auf Anpassungsfähigkeit an neue Entwicklungen in Technik und Markt baut.

Die angekündigte Evaluierung der novellierten Handwerksordnung unter Einbeziehung einer Mindestqualifikation für meisterfrei gewordene Berufe wertet das Handwerk als Bekenntnis der künftigen Bundesregierung zur Stärkung der Unternehmerqualifikation.

Die Organisationen des deutschen Handwerks sagen gerne ihre weitere Mitarbeit im Ausbildungspakt zu. Sie erwarten, dass durch die Zusammenarbeit aller Partner auch eine qualitative Verbesserung im Bereich der beruflichen Bildung gelingt.

Soziale Sicherungssysteme - Arbeitsmarktpolitik
Das Handwerk begrüßt die Aussage von CDU/CSU und SPD, am Ziel einer Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent festhalten zu wollen. Allerdings bleibt bis zur Ausarbeitung eines Zukunftskonzeptes in den Bereichen Gesundheit und Pflege offen, auf welchem Weg dieses Ziel erreicht werden soll.

Das Handwerk betont deshalb noch einmal die Notwendigkeit zu umfassenden Strukturreformen in den sozialen Sicherungssystemen, die durch eine Abkoppelung vom Faktor Arbeit und verstärkte Eigenverantwortung der Bürger die Arbeitskosten deutlich entlasten müssen.

Zunächst drohen jetzt im Zuge der steuerfinanzierten Maßnahmen sogar weitere Beitragssteigerungen. Das gilt selbst für den Beitragssatz zur Rentenversicherung, obwohl hier die Koalition mit der schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre einen anerkanntermaßen richtigen und mutigen Schritt gehen will.

So bleibt der Sozialversicherungsbeitrag auch nach der angekündigten 2-prozentigen Senkung bei der Arbeitslosenversicherung – davon 1 Prozent über die Mehrwertsteuer finanziert - deutlich über der 40-Prozent-Grenze.

Weiterhin erhebliche Mittel werden den nachgewiesenermaßen unwirksamen Instrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung gestellt, die als subventionierte Konkurrenz regulären Betrieben in einem unfairen Wettbewerb Aufträge entziehen.

Deshalb hat das Handwerk auch die geplante Verlängerung der Ich-AGs um ein weiteres halbes Jahr mit Unverständnis zur Kenntnis genommen.

Keine nennenswerten Impulse für den Arbeitsmarkt sollte sich die Bundesregierung von der optionalen Verlängerung der Wartezeit beim Kündigungsschutz auf 24 Monate versprechen. Diese Regelung vereinfacht zwar das Arbeitsrecht. Sie gibt allerdings kaum mehr Spielraum zur Flexibilisierung als bereits die bisherigen Befristungsregelungen erlaubt haben.

Bürokratieabbau - Föderalismusreform
Entlastende Wirkung erhofft sich das Handwerk von den vereinbarten Schritten zum Bürokratieabbau mit dem Ziel, dass sich mittelständische Betriebe künftig wieder stärker auf ihre gewerbliche und unternehmerische Tätigkeit konzentrieren können. Richtig ist vor allem der Ansatz, Entbürokratisierung nicht partiell, sondern systematisch in Angriff zu nehmen.

In diesem Zusammenhang verweist das Handwerk auf die zum Jahreswechsel anstehenden erheblichen bürokratischen Mehrbelastungen durch die Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge – neben dem damit verbundenen Liquiditätsentzug. Es erwartet eine Minimierung der administrativen Belastungen und eine Rücknahme der Regelung im Zuge einer generellen Reform der sozialen Sicherungssysteme.

Ausdrücklich begrüßt das Handwerk die Verständigung der Koalitionspartner auf eine Reform der föderalen Ordnung. Eine Entflechtung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern ist wesentliche Voraussetzung zum Abbau bürokratischer Hemmnisse und für die Reformfähigkeit unseres Landes.

Quelle und Kontaktadresse:
Zentralverband des Deutschen Handwerks e.V. (ZDH) Stefan Koenen, Leitung, Kommunikation Mohrenstr. 20/21, 10117 Berlin Telefon: (030) 20619-0, Telefax: (030) 20619-460

(sk)

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