Hauptschüler brauchen bessere Perspektiven / Albin Dannhäuser: Hauptschulabgänger haben kaum Chancen auf dem modernen Arbeitsmarkt
(München) Mit scharfen Worten hat der Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), Albin Dannhäuser, die Heuchelei im Umgang mit der Hauptschule, ihren Schülern und Lehrern kritisiert. In Politik und Wirtschaft wird die Hauptschule seit Jahrzehnten verbal aufgewertet. In der Realität werden für Hauptschüler weder erforderliche Fördermöglichkeiten noch Ausbildungsplätze bereitgestellt. Eine wirkliche Verbesserung der Akzeptanz ist bis heute nicht gelungen. Oft sind die Bildungsbiografien von Hauptschülern/innen von Misserfolgserlebnissen gekennzeichnet. Durch den verschärften Verdrängungswettbewerb auf dem Ausbildungsmarkt werden die Chancen von Hauptschülern dramatisch geschmälert. Ausgrenzung und soziale Diskriminierung sind ein gefährlicher Nährboden für politische Radikalismen, warnte Dannhäuser. Auch die massenweise Schließung von Hauptschulen ist keine Lösung. Wer das dreigliedrige Schulsystem will, ist für alle Schüler in allen Schularten in gleicher Weise verantwortlich. Das heißt: Auch und gerade Hauptschulen müssen gestärkt und Hauptschüler besser qualifiziert werden. Für die Lehrerschaft an Bayerns Hauptschulen forderte er massive und nachhaltige Unterstützung bislang bleibt sie den Pädagogen versagt.
Die Schulpolitik hat es versäumt, für Hauptschulen ein exklusives Bildungsprofil zu entwickeln und für ihre Schüler/innen die notwendigen Fördermöglichkeiten bereit zu stellen, damit diese in der modernen Arbeitswelt Chancen haben. Wenn die Hauptschule nicht in die Lage versetzt wird, Jugendliche zur Teilnahme am beruflichen und gesellschaftlichen Leben zu befähigen, erfüllt sie keinen eigenständigen Bildungs- und Erziehungsauftrag - und wird in Frage gestellt, erklärte Dannhäuser bei einer Pressekonferenz in München.
Viele Hauptschüler/innen haben massive soziale Probleme. An den Hauptschulen gibt es jedoch schlechtere Präventions- und Fördermöglichkeiten als in Förderschulen. Oft befinden sich Hauptschüler/innen in einer hoffnungslosen Situation, sie wissen, dass sie mit einem Hauptschulabschluss geringe Aussicht auf eine berufliche Karriere haben. Im Schuljahr 2003 verließen 5600 Hauptschüler die Schule ohne Abschluss - der Anteil der deutschen Schüler lag bei 8,4 Prozent, der Migrantenkinder bei 22 Prozent. Andererseits absolvierten 2003 rund 7000 Schüler/innen den mittleren Bildungsabschluss an Hauptschulen.
Entsprechend groß ist das pädagogische Spektrum, dem die Lehrkräfte gerecht werden müssen. Ihre beruflichen Anforderungen sind enorm. Hauptschullehrer sind Lehrer, Sozialarbeiter, Psychologen, Erzieher und Trainer in einer Person. Dennoch werden sie in ihrer Arbeit nicht unterstützt - im Gegenteil: die finanziellen und personellen Ressourcen werden immer knapper, die Lern- und Arbeitsbedingungen verschlechtern sich dramatisch. Der Staat spart - und an den Hauptschulen spart er im Besonderen: Für einen Gymnasialschüler stehen jährlich 4900 Euro zur Verfügung, für einen Hauptschüler nur 3700 Euro Euro. Kontraproduktiv ist die geplante Streichung von 500 Stellen.
Die spezifischen pädagogischen Belastungen und fachlich-didaktischen Anforderungen werden weder in der Politik noch in der Gesellschaft anerkannt. Nicht umsonst ist die Zahl krankheitsbedingter Zwangspensionierungen bei Hauptschullehrer/innen sehr hoch. Viele Lehrerinnen und Lehrer leiden an chronischer Erschöpfung oder Depression. Mit einer Arbeitszeitbelastung von 29 Unterrichtsstunden und einer Fülle zusätzlicher pädagogischer und organisatorischer Aufgaben stoßen sie an gesundheitliche Grenzen. Die Politik muss die Probleme an Hauptschulen endlich zur Kenntnis nehmen und dafür sorgen, dass Lehrerinnen und Lehrer Rahmenbedingungen vorfinden, die ein vernünftiges Arbeiten ermöglichen. Dazu gehören zusätzliche Mittel für Fördermaßnahmen und die Bereitstellung sog. Intensivierungsstunden, deutliche Verbesserungen im Fachlehrerbereich, kleinere Klassen und Gruppen.
Dass Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulabschluss auf dem modernen Arbeitsmarkt kaum noch Chancen auf eine berufliche Karriere haben, ist auch in ländlichen Regionen traurige Realität. Jahr für Jahr wiederholen bayernweit Tausende Schüler/innen freiwillig die 9. Klasse, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern - allein im Schuljahr 2003 waren es 4100 Schülerinnen und Schüler. Die Stellen für Hauptschulabgänger werden auch im Landkreis Neumarkt immer knapper, berichtete Ursula Schroll, Rektorin an der Volksschule Mühlhausen im Landkreis Neumarkt. Dort werden zurzeit 230 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz in sog. Weiterbildungsmaßnahmen an der Berufsschule geparkt. Schroll: Die Jugendlichen wissen sehr genau, wie hoffnungslos ihre berufliche Situation ist, viele geben sich auf. Die Zahlen belegen den alarmierenden Trend: bayernweit schafften 10 Prozent aller Hauptschulabgänger im Jahr 2003 den Schulabschluss nicht. Das kann und darf sich unsere Gesellschaft einfach nicht leisten, prangerte Eugen Preiß, Rektor der Grund- und Teilhauptschule Valley im Landkreis Miesbach, an. Wer funktionierende Teilhauptschulen schließt, zerstört kleine, pädagogisch wertvolle Einheiten. Zentrale Standorte verschärfen die Probleme und damit die Abneigung der Eltern gegen die Hauptschule, erklärte Preiß. Der BLLV fordert bestmögliche Bildung für alle Bevölkerungsschichten. Elitebildung allein ist zu wenig und kann sich nur aus einer soliden Allgemeinbildung aller entwickeln.
Quelle und Kontaktadresse:
Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband e.V. im VBE (BLLV)
Bavariaring 37, 80336 München
Telefon: 089/7210010, Telefax: 089/7250324