Hausarzt als Gatekeeper? / Das ist in den USA ein Auslaufmodell!
(Wiesbaden) - In Deutschland sind Hausarztmodelle in aller Munde, in den USA befinden sie sich auf dem Rückmarsch. In den 90er Jahren war das Gatekeeper-Modell zentrales Merkmal der Managed-Care-Industrie: Mitglieder von Health Maintenance Organizations (HMOs) und vergleichbaren Managed Care-Organisationen mussten erst den Hausarzt aufsuchen, der sie bei Bedarf an einen Spezialisten überwies.
Auf dem Papier sollte der Gatekeeper den gleichen Nutzen erbringen, wie er heute von deutschen Hausarztmodellen erhofft wird. Der Primärarzt sollte
- den Patienten untersuchen und bei Gesundheitsproblemen in seinem Kompetenzbereich behandeln;
- den Patienten bei Gesundheitsproblemen außerhalb seines Kompetenzbereichs an einen Facharzt überweisen;
- Spezialistenbesuche koordinieren und so Doppeluntersuchungen und Wechselwirkungen von Medikamenten vermeiden.
Was auf dem Papier gut klang, hat sich in den USA nicht bewährt. Das Scheitern des Primärarztsystems hängt allerdings eng mit den Problemen von Managed Care in den USA zusammen: Die meisten von HMOs eingesetzten Kostenkontrollstrategien stießen in der Öffentlichkeit erst auf Skepsis und schließlich auf Feindseligkeit. Im Verlauf der neunziger Jahre wurden Managed-Care-Organisationen zunehmend als Institutionen wahrgenommen, denen Profite und Marktanteile wichtiger waren als das Wohl der Versicherten.
Kein positives Image für Primärärzte
Sie gerieten immer mehr in Verruf, den Zugang zu Gesundheitsleistungen zu erschweren, zu verzögern oder gar zu verweigern. In diesem negativen Licht bewerteten Versicherte denn auch zunehmend das Hausarztmodell. Der Begriff Gatekeeper war sicher nicht hilfreich, dem Primärarzt in seiner neuen Rolle ein positives Image zu verleihen. In seiner Analyse "Decline of the Family Doctor" schreibt zum Beispiel der kalifornische Arzt und Professor Dr. Philip R. Alper: "Den Primärarzt Gatekeeper zu nennen, von dessen Zustimmung es abhängt, ob ein Patient einen Facharzt aufsuchen darf, vermittelt den Eindruck, dass der Hausarzt ein Hindernis zur Gesundheitsversorgung darstellt, statt ein Leistungserbringer zu sein." Alpers erinnert sich aus seiner Zeit als Primärarzt an verärgerte Patienten, die nur deshalb zu ihm kommen mussten, weil ihre Managed-Care-Regeln es von ihnen forderten. "Das war besonders der Fall, wenn sie mich nur aufsuchten, weil sie eine Überweisung zu einem Spezialisten wollten, den sie sich bereits selbst ausgesucht hatten", so Alpers.
Versicherte fordern weniger Einschränkungen
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Mitte/Ende der neunziger Jahre sogenannte Preferred Provider Organizations in den USA einen rasanten Aufstieg verzeichneten. Sie versprachen Versicherten weniger Einschränkungen. Unter anderem war es die freie Arztwahl ("Open Access"), die Versicherte zu Tausenden anlockte. Der Erfolg hat dazu geführt, dass auch HMOs vom Gatekeeper-Ansatz abgerückt sind.
Ist mit dem Gatekeeper-Konzept auch die Integrierte Versorgung in den USA gestorben?
Mitnichten. Aktuelle Studien weisen darauf hin, dass Versicherungen vermehrt Strategien einsetzen, um die Versorgung chronisch Kranker zu optimieren. MCO gestehen dem durchschnittlichen Versicherten mehr Spielraum in der Arztwahl zu, achten aber zunehmend darauf, dass die Versorgung der Patienten, die mit komplexen und teuren Krankheiten kämpfen, besser koordiniert wird. Der Fokus auf die chronisch und komplex Erkrankten macht Sinn: Auf sie (rund 10 Prozent der Patienten) entfallen 70 Prozent der Gesundheitsausgaben. Laut dem Center for Studying Health System Change (HSC) bedienen sich die US-Versicherer vor allem zweier Ansätze für die koordinierte Versorgung chronisch und schwer Kranker. Zum einen sind diese Disease Management-Programme, die Patienten sowie Ärzten standardisierte Hilfsmittel zur Verfügung stellen um bestimmte Krankheiten effektiv zu kontrollieren. Zum anderen geht es um Intensive Case Management; ein neuerer Ansatz, der versucht, Menschen mit hohem Krankheitsrisiko zu identifizieren. Ziel ist es, sie aktiv medizinisch zu begleiten und ihre Behandlung im akuten Krankheitsfall optimal zu koordinieren. Mit beiden Ansätzen hoffen Versicherungen, die Versorgung komplex Kranker zu verbessern und Geld einzusparen.
Fazit: Das Gatekeeper-Modell war vielen Versicherten in den neunziger Jahren von Managed Care-Organisationen aufgezwungen worden und hatte daher deren schlechten Ruf (Analyse im Internet: www.policyreview.org/apr04/alper_print.html).
Heute ist "Open Access", die freie Arztwahl, wieder stark gefragt. Allerdings versuchen die Versicherer zunehmend, mit Disease Management und Intensive Case Management die Behandlung chronisch und schwer Kranker besser und damit kosteneffektiver zu koordinieren.
Quelle und Kontaktadresse:
Berufsverband Deutscher Internisten e.V. (BDI)
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