Pressemitteilung | Wirtschaftsvereinigung Stahl - Standort Düsseldorf

Hohe Energiepreise gefährden die industrielle Wertschöpfungskette / Erklärung des Präsidenten der Wirtschaftsvereinigung Stahl und des Vorsitzenden des Stahlinstitut VDEh Prof. Dr.-Ing. Dieter Ameling

(Düsseldorf) - Der gegenwärtige Trend am Strommarkt ist Besorgnis erregend. Seit Beginn dieses Jahres haben die Nettostrompreise das Niveau vor der Marktliberalisierung deutlich überschritten. Staatliche Abgaben wie die Umlage für die Förderung erneuerbarer Energien kommen noch hinzu. Dies schlägt nicht nur auf das Portemonnaie der Haushalte. Weit schlimmer sind die Folgen für die Volkswirtschaft. Deutschland hat neben Italien die zweithöchsten Industriestrompreise in der Europäischen Union. Die energieintensive Industrie, Basis der industriellen Wertschöpfungskette, büßt durch den massiven Anstieg der Stromkosten ihre Wettbewerbsfähigkeit ein. Für die Aluminiumindustrie ist die Schmerzgrenze bereits erreicht. Doch auch für die Stahlindustrie, vor allem die Elektrostahlerzeugung, verschlechtern sich die Standortbedingungen zusehends. Dies bleibt langfristig nicht ohne Auswirkungen auf die Kunden der Stahlindustrie – Weiterverarbeitung, Automobilindustrie und Maschinenbau mit einem Umsatzvolumen von zusammen 700 Milliarden Euro und rund 3,7 Millionen Beschäftigten. Für die Stahlunternehmen haben die Preissteigerungen am Stromgroßhandelsmarkt innerhalb von zweieinhalb Jahren zu Zusatzkosten von 180 bis 200 Millionen Euro im Jahr geführt. Dies entspricht einem Fünftel der jährlichen Investitionssumme.

Wer ist verantwortlich für die Stromkostenmisere? Politik und Energieversorger schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu. Tatsächlich liegen die Ursachen in beiden Bereichen: Zum einen herrscht am Strommarkt kein Wettbewerb. Zum anderen experimentiert der Staat ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Notwendigkeiten mit Eingriffen in den Energiemix, etwa durch die Förderung erneuerbarer Energien, den Kernkraftausstieg oder den Emissionshandel.

Allein die Förderung erneuerbarer Energien war für die Stromverbraucher im Jahr 2004 mit zusätzlichen Kosten von 2,4 Milliarden Euro verbunden. In den kommenden Jahren werden sie auf über fünf Milliarden Euro im Jahr steigen. Zwar ist bei der Finanzierung der erneuerbaren Energien für energieintensive Unternehmen eine Belastungsbegrenzung eingeführt worden. Aber auch für sie wird im Jahr 2010 der Stand vor Einführung der Härtefallregelung wieder erreicht sein. Erst im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung einen Ausbau des Anteils erneuerbarer Energien an der Stromversorgung von gegenwärtig etwa 9 Prozent auf mindestens 20 Prozent im Jahr 2020 ausgerufen. Dies ist ein unrealistisches Ziel. So ist die Windenergie wegen ihrer geringen Energiedichte, ihrer unregelmäßigen Einspeisung und der notwendigen Reservekraftwerksleistung von 96 Prozent sowie des erforderlichen Netzausbaus schlichtweg unwirtschaftlich.

Nicht weniger kurzsichtig ist der im Jahr 2000 beschlossene Ausstieg aus der Kernenergie. Als wichtigste Grundlastenergie liefert sie kostengünstigen Strom. Ein adäquater Ersatz ist nicht erkennbar. Im Gegenteil ist höchst fraglich, wie Deutschland bei Verzicht auf diese CO2-freie Energiequelle seine Klimaziele einhalten will. Insofern ist die diskutierte Verlängerung der Restlaufzeiten zu begrüßen, sofern die Kostenvorteile auch bei den Verbrauchern ankommen. Dabei darf es nicht stehen bleiben. Langfristig müssen neue Kernkraftwerke nach neuestem Sicherheitsstandard gebaut werden. Ein Vorbild könnte Finnland sein, wo gerade die Bauarbeiten an einem Kernkraftwerk der neuen Reaktor-Generation begonnen haben. Die Forschung an der Kernenergienutzung muss wieder aufgenommen werden.

Es ist eine Rückbesinnung nötig auf die Stärken, die den bewährten Energiemix in Deutschland auszeichnen: Kernenergie und Braunkohle sichern eine kostengünstige Stromerzeugung in der Grundlast. Und auch die Steinkohle leistet einen wichtigen Beitrag, unter Kostengesichtspunkten wie auch durch die geringen internationalen Versorgungsrisiken. Während die Stromerzeugung aus Kernenergie ohnehin CO2-frei erfolgt, können die CO2-Emissionen auch durch den Bau effizienterer Kohlekraftwerke mit höheren Wirkungsgraden deutlich gesenkt werden.

Eine kostengünstige Ausgestaltung des Stromerzeugungsmixes bringt aber keinen Nutzen, wenn die resultierenden Kostenvorteile nicht beim Verbraucher ankommen.

Tatsächlich liegt der Verdacht nahe, dass die gegenwärtig zu beobachtenden Strompreissteigerungen auch auf mangelnden Wettbewerb zurückzuführen sind. Durch die Kostenentwicklung sind sie jedenfalls nicht allein erklärbar. Rund 80 Prozent der
Stromerzeugungskapazitäten konzentrieren sich auf die vier großen Verbundunternehmen. Dabei stellt auch die Monopolkommission in ihrem jüngsten Gutachten fest, dass der Elektrizitätsmarkt anfällig für Marktmacht und strategisches Angebotsverhalten ist. Dies liegt vor allem daran, dass Strom nicht speicherbar oder ersetzbar ist und die Nachfrager auf Preiserhöhungen nicht flexibel reagieren können.

Das im Sommer dieses Jahres in Kraft getretene neue Energiewirtschaftgesetz soll den Wettbewerb am Strommarkt beleben. Bisher ist die Marktöffnung enttäuschend ausgefallen. Die Entflechtung der Netze und die geplante Anreizregulierung müssen daher so schnell wie möglich umgesetzt werden, um die im europäischen Vergleich zu hohen Netzentgelte zu senken und den Marktzugang zu verbessern. Es sind aber auch die grenzüberschreitenden Leitungen auszubauen, damit ein europäischer Markt mit einer größeren Anzahl konkurrierender Anbieter entstehen kann.

Das beste Beispiel für das gemeinsame Versagen von Staat und Markt liefert die gegenwärtig feststellbare unheilvolle Liaison zwischen Emissionshandel und Strommarkt. Ein massiver Anstieg der Strompreise um 30 Prozent seit Einführung des Emissionshandels deutet darauf hin, dass CO2-Zertifikate zu ihrem Marktwert als Kosten in die Strompreise einfließen. Und das, obwohl sie ganz überwiegend kostenfrei zugeteilt wurden. Energieversorger und Ökonomen rechtfertigen dies damit, dass der Emissionshandel die variablen Kosten des marktpreisbestimmenden Grenzkraftwerkes erhöht. Nicht nur, wenn Emissionsrechte für die Stromproduktion hinzugekauft werden müssen, sondern auch, wenn sie kostenlos zur Verfügung stehen und alternativ gewinnbringend am Markt verkauft werden können. Die Folge sind zusätzliche Gewinne für die Energieversorger, denen völlig unnötige Kostensteigerungen auf Verbraucherseite gegenüber stehen.

Tatsächlich gibt es gute Gründe, dieses Kalkül in Frage zu stellen. Im Stahlsektor, der ebenfalls zur Teilnahme am Emissionshandel verpflichtet ist, ist ein solcher Zusammenhang jedenfalls nicht zu erkennen. Je nach Produkt konkurrieren in der Europäischen Union zwischen 10 und 60 Unternehmen miteinander. Zusätzlichen Druck bringen Importe aus rund 30 Ländern aller Kontinente.

Preissteigerungen auf Basis kostenfrei zugeteilter Zertifikate sind am Weltmarkt für Stahl schlichtweg nicht durchsetzbar. Demgegenüber herrscht am regional abgeschotteten Strommarkt offenbar eine unzureichende Wettbewerbsintensität.

Verwundern müssen allerdings die überraschten Reaktionen aus der Politik. Sie war rechtzeitig vorgewarnt. Die Drohung, die Emissionsrechte künftig zu versteigern, wenn die Energieversorger die Einpreisung der Zertifikate nicht unterlassen, führt in die Irre. Zwar könnte der Staat durch solche Maßnahmen seine Kasse aufbessern. Für die Verbraucher allerdings ändert sich dadurch nichts. Nebenbei müsste die energieintensive Industrie, die schließlich auch direkt am Emissionshandel teilnimmt, für jede Tonne Kohlendioxid einen hohen Preis bezahlen. Stahlerzeugung am Standort Deutschland wäre dann nicht mehr möglich. Zweifellos steht die Politik in der Pflicht, praktikable Lösungsvorschläge zu machen: Sie hat den Emissionshandel eingeführt und sogar versprochen, der Wirtschaft keine zusätzlichen Belastungen aufzubürden. Die Industrie hat den Emissionshandel nicht gewollt. Die Stahlindustrie hat auch ohne dieses Instrument ihre CO2-Emissionen seit 1990 um 14,7 Prozent gesenkt. Die Verringerung der Energiekosten durch eine Erhöhung der Energieeffizienz gehört für die energieintensive Industrie zum täglichen Geschäft.

Die neue Legislaturperiode bietet die Chance für ein Umlenken in der Energiepolitik. Sie muss sich stärker darauf konzentrieren, den Wettbewerb am Strommarkt zu forcieren, statt den Strom durch Eingriffe in den Energiemix zu verteuern. Die hohen Strompreise bedrohen die noch funktionsfähige industrielle Wertschöpfungskette. Stärker als bisher muss dieser Gefahr entgegengewirkt werden.

Quelle und Kontaktadresse:
Wirtschaftsvereinigung Stahl Pressestelle Sohnstr. 65, 40237 Düsseldorf Telefon: (0211) 6707-0, Telefax: (0211) 6707-165

(tr)

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