Pressemitteilung | ifo Institut - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V.
Anzeige

„Im Schlepptau der Weltwirtschaft“

(München) - Die Weltwirtschaft wächst derzeit so schnell wie bislang nur einmal in den letzten fünfzehn Jahren. Sie wird, wie der World Economic Survey des ifo Instituts belegt, von einem kräftigen Aufschwung in Asien und den USA getragen. In den USA wurde die Konjunktur durch eine expansive Geld- und Fiskalpolitik angeschoben, wie sie in der Geschichte bislang noch kein Beispiel hatte. Für das Jahr 2004 rechnet das ifo Institut mit einer Steigerung von 4,7 Prozent, und für das nächste Jahr mit 3,4 Prozent. Auch der jüngste Preisschub bei den Öl- und Rohstoffpreisen kann den Aufschwung nicht verhindern, weil er nicht in erster Linie auf exogene Ursachen zurückzuführen, sondern vor allem das Ergebnis des Nachfrageschubes ist, der mit diesem Wachstum einherging.

Die deutsche Konjunktur folgt dem weltweiten Trend nur im langen Schlepptau. Zwar stieg die gesamtwirtschaftliche Produktion seit der zweiten Jahreshälfte 2003 wieder, doch hat die Konjunktur nicht die Dynamik wie in anderen Ländern. Zu viele strukturelle Probleme kommen derzeit für Deutschland zusammen, als dass es möglich wäre, am Aufschwung der Weltwirtschaft wie andere Länder zu partizipieren. Sie werden einerseits durch exogene Faktoren verursacht wie durch den Verlust des Zinsvorteils der deutschen Unternehmen unter dem Euro und den Verlust des relativen Vorteils aus dem größeren eigenen Binnenmarkt, der mit der europäischen Integration einherging. Andererseits sind sie auf endogene Faktoren zurückzuführen wie die finanziellen Kosten der deutschen Vereinigung und die bekannten Fehler im deutschen Arbeits- und Sozialsystem.

Dessen ungeachtet sind Produktion und Auftragseingang in den ersten Monaten des laufenden Jahres von der Grundtendenz weiter aufwärts gerichtet. Nach den neusten Ergebnissen des ifo Konjunkturtests hat sich die Geschäftslage der Industrieunternehmen im Mai weiter verbessert. Nur die Geschäftserwartungen der befragten Unternehmen haben ihren Höhenflug beendet und sind auf den Boden der Realität zurückgekehrt. Insgesamt ist das reale Bruttoinlandsprodukt im ersten Halbjahr 2004 gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum nach Schätzungen des ifo Instituts um 1,6 Prozent gestiegen. Im Jahresdurchschnitt 2004 im Vergleich zum Jahresdurchschnitt 2003 wird das Wirtschaftswachstum voraussichtlich 1,7 Prozent betragen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass rund 0,5 Prozentpunkte der Mehrproduktion auf die ungewöhnlich große Zahl an Arbeitstagen zurückzuführen sind. Die konjunkturelle Grundtendenz wird deshalb zuverlässiger von der Veränderung der kalenderbereinigten Produktion wiedergegeben, die mit nur 1,2 Prozent zu veranschlagen ist. Im nächsten Jahr dürfte die kalenderbereinigte Produktion etwas stärker, nämlich um 1,9 Prozent, steigen. Da aber dann die Zahl der Kalendertage wieder geringer ist, wird sich dem Ursprungswert nach das reale Bruttoinlandsprodukt um 1,7 Prozent erhöhen.

Leider wird die Konjunktur derweil nur von den Exporten mitgezogen. Eigene Antriebseffekte fehlen noch. Allerdings scheinen die Ausrüstungsinvestitionen nun allmählich wieder Tritt zu fassen, und als Spätfolge der Wirtschaftsbelebung in diesem Jahr könnte im nächsten Jahr auch der private Konsum etwas stärker anziehen.

Die Inflation ist nach wie vor kein Thema. Der Euro hat nicht zu viel, sondern eher zu wenig Inflation gebracht.

Die Lage auf dem Arbeitsmarkt wird im Prognosezeitraum desolat bleiben, weil die Geschäftslage der Unternehmen immer mehr vom Arbeitsmarkt abgekoppelt wird. Die hohen deutschen Lohnkosten veranlassen die Unternehmen, auf dem Wege einer exzessiven Rationalisierung und eines übermäßigen Outsourcing in andere Länder eine betriebswirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit herzustellen, der das volkswirtschaftliche Pendant zunehmend abhanden kommt.

Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte zunächst noch weiter abnehmen. Erst ab Ende dieses Jahres zeichnet sich eine leichte Besserung ab. Im Jahresdurchschnitt 2004 wird die Erwerbstätigenzahl um 145 000 zurückgehen. Allein schon ab Februar dieses Jahres ist die Zahl der Arbeitslosen saisonbereinigt schon wieder um 100 000 gestiegen.

Bei der Arbeitslosenzahl wurde zwar der vergleichbare Stand des Vorjahres zuletzt noch um 50 000 unterschritten, doch um echte ökonomische Effekte handelt es sich dabei nicht. Maßgeblich waren verschiedene Maßnahmen der Statistikbereinigung. Zum einen hat die Bundesagentur für Arbeit durch besondere Aktivierungsbemühungen viele Menschen veranlasst, sich nicht mehr als arbeitslos zu melden. Zum anderen wurde Anfang dieses Jahres die Arbeitslosenzahl durch die Ausgliederung von Teilnehmern an Eignungsfeststellungs- und Trainingsmaßnahmen statistisch gesenkt. Ohne diese Änderungen in der statistischen Abgrenzung läge die Arbeitslosenzahl derzeit um 230 000 über dem gemessenen Wert. Im Jahresmittel 2004 wäre nach alter Zählweise mit 4,6 Mill. Arbeitslosen zu rechnen, und im nächsten Winter würde die 5-Millionen-Grenze überschritten. Durch die bloße Änderung der Erhebungsmethoden wird der Arbeitsmarkt freilich nicht gesunden.

Eine ähnliche Bemerkung ist zu den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen zu machen, die im Jahr 2003 nach heutigem Erkenntnisstand um mindestens 200 000 Personen zunahmen. Diese durch die Minijob-Regelung zustande gekommenen Beschäftigungsverhältnisse haben großenteils nur die reguläre, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung verdrängt und konnten deshalb noch nicht in erkennbarem Umfang zur Erhöhung des Beschäftigungsvolumens beitragen

Die öffentliche Finanzlage wird weiterhin durch die schwache wirtschaftliche Entwicklung und den fehlenden Konsolidierungswillen der Politik geprägt. Das Staatsdefizit wird im laufenden Jahr voraussichtlich rund 79 Mrd. Euro betragen, was 3,6 Prozent des BIP entspricht. Die Defizitgrenze des Maastricht-Vertrages wird zum dritten Mal in Folge überschritten. Auch die im deutschen Stabilitätsprogramm in der aktualisierten Fassung vom Januar 2004 veranschlagte Defizitquote von 3 ¼ Prozent wird deutlich übertroffen. Die gegenüber der EU-Kommission gemachte Zusage, die Defizitquote um 0,6 Prozentpunkte zurückzuführen, wird ebenfalls nicht eingehalten. Auch für das Jahr 2005 ist keine nachhaltige Besserung in Sicht, da einerseits die Einnahmen durch die letzte Stufe der Steuerreform 2000 gedrückt werden und andererseits auf der Ausgabenseite der Einmaleffekt durch die Gesundheitsreform entfällt. Das gesamtstaatliche Defizit wird rund 75 Mrd. Euro (3,4 Prozent des BIP) betragen, was einen erneuten Verstoß gegen den Stabilitätspakt bedeutet. Die auf das Bruttoinlandsprodukt bezogene Staatsschuldenquote wird zum Ende des Jahres 2004 bei 66 Prozent und am Ende des Jahres 2005 bei 67 Prozent liegen. Die Entwicklung der Staatsfinanzen ist angesichts des aus strukturellen Gründen geringen deutschen Wirtschaftswachstums im Ganzen gesehen als bedrohlich einzustufen.

Quelle und Kontaktadresse:
ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V. Poschingerstr. 5, 81679 München Telefon: 089/92240, Telefax: 089/985369

Logo verbaende.com
NEWS TEILEN:

NEW BANNER - Position 4 - BOTTOM

Anzeige