Pressemitteilung | Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA)

IQWiG-Bericht gefährdet die Augengesundheit von Kindern

(Düsseldorf) - Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat gestern (2. Juni 2008) einen Bericht zu Früherkennungsuntersuchungen von Sehstörungen bei Kleinkindern veröffentlicht. Dieser Bericht kommt trotz massiven Protests aller augenärztlicher Fachgremien zu unsinnigen und für die betroffenen Kinder gefährlichen Schlussfolgerungen. Die seit vielen Jahren etablierte und bewährte augenärztliche Diagnostik und Therapie wird unsachlich kritisiert, und deswegen werden voraussichtlich auch in Zukunft augenärztliche Vorsorgeuntersuchungen auf Sehstörungen bei Kleinkindern nicht von den gesetzlichen Kassen bezahlt werden. Die augenärztlichen Verbände appellieren an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), diesen Bericht zurückzuweisen und für seine weiteren Beratungen nicht zu verwenden.

„Es besteht die Gefahr, dass aufgrund dieses Berichts behandlungsbedürftige Kinder zu spät oder überhaupt nicht behandelt werden und deswegen nie die volle Sehkraft erreichen werden.“ Prof. Dr. Bernd Bertram, 1. Vorsitzender des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands (BVA) macht klar: „Der Bericht des IQWiG zum Sehscreening ist ein Skandal.“

Er meint damit den Bericht „Früherkennungsuntersuchung von Sehstörungen bei Kindern bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres“ des IQWiG. Die Augenärzte sind entsetzt über die Methodik, mit der dieser Bericht erstellt wurde, und erst recht über die Folgen, die er nach sich zieht. Denn wenn der G-BA die Aussagen des Berichts berücksichtigt, dann scheitern die gemeinsamen Anstrengungen von Kinder- und Augenärzten, ein frühzeitiges augenärztliches Amblyopiescreening in den Katalog der Früherkennungsuntersuchungen aufzunehmen.

Die Gefahr einer Amblyopie oder Sehschwäche entsteht, wenn das Gehirn in den ersten Lebensjahren von einem Auge nur unscharfe Bilder erhält. Dann wird das störend unscharfe Bild dieses Auges unterdrückt und das Gehirn „lernt“ die Sehverarbeitung der Informationen dieses Auges nicht. Wenn dies nicht in den ersten Lebensjahren durch eine Therapie behoben wird, wird dieses Auge nie seine volle Sehkraft erreichen – das Kind wird im schlimmsten Falle funktionell einäugig.

Augenärzte begegnen der Amblyopie, indem sie die Eltern anleiten, das stärkere Auge für einige Zeit und in einem bestimmten Rhythmus abzudecken, nachdem ein Sehfehler mit einer Brille korrigiert wurde. Diese Therapie ist aufwendig und erfordert die Mitarbeit der Eltern, doch sie führt zu dem Erfolg, dass das Kind im Jugend- und Erwachsenenalter mit beiden Augen gut sehen kann. Je früher die Behandlung beginnt, desto besser sind die Erfolgsaussichten.

Bisher bezahlt die gesetzliche Krankenversicherung diese augenärztliche Vorsorgeuntersuchung bei Kindern nicht. Kinderärzte überprüfen bei den Vorsorgeuntersuchungen zwar auch Sehfunktionen, doch sie sind nicht in der Lage, die Faktoren, die eine Amblyopie verursachen können, sicher zu erkennen. Deshalb fordern die Berufsverbände der Kinder- und der Augenärzte gemeinsam seit Jahren, dass eine augenärztliche Vorsorgeuntersuchung für Kinder zur Kassenleistung wird. 2004 hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung auf Initiative des BVA und des BVKJD (Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Deutschlands) einen entsprechenden Antrag beim G-BA eingebracht. Daraufhin erhielt das IQWiG den Auftrag, ein Gutachten zu diesem Thema zu erstellen. Dieses Gutachten liegt nun vor - mit „unsinnigen und für die Patienten sehr gefährlichen Schlussfolgerungen, die bei Befolgung durch die Augenärzte keinem Kunstfehlerprozess standhalten würden“, wie Prof. Joachim Esser, Vorsitzender der Bielschowsky-Gesellschaft für Schielforschung, und Dr. Arndt Gutzeit vom Arbeitskreis Kinderophthalmologie des BVA urteilen.

Diese haben das IQWiG-Gutachten eingehend geprüft und kritisieren sowohl die Methodik als auch die Aussagen des Berichts, die eine verengte Sichtweise zur Folge haben:

- Der IQWiG-Bericht blendet die gesamte sinnesphysiologische und ophthalmologische Literatur der vergangenen acht Jahrzehnte aus.

- Der IQWiG-Bericht blendet 142 Studien aus anfechtbaren formalistischen Gründen aus und stützt seine Erkenntnisse auf sieben Studien, die darüber hinaus auch noch falsch interpretiert werden.

- Der Vorteil einer möglichst frühen Amblyopietherapie ist ausreichend belegt, auch durch die im IQWiG-Bericht eingeschlossenen Studien.

- Prospektive, randomisierte Doppelblindstudien mit einer bis zum zehnten Lebensjahr (oder später) nicht behandelten Amblyopen-Kontrollgruppe gibt es nicht: Sie wären nach dem heutigen Wissensstand auch unethisch.

Prof. Bertram ergänzt: „Es werden die Grundlagen der Kinderophthalmologie, die seit vielen Jahrzehnten bekannt sind und von allen Augenärzten im Alltag praktiziert werden, bezweifelt, weil es keine Studien gebe, die heutigen Kriterien der evidenzbasierten Medizin standhielten.“ Sogar die mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Erkenntnisse von Hubel und Wiesel werden letztlich in der Bewertung abgelehnt. Nach dieser Logik, sagt Prof. Bertram, „müsste man auch das EKG zur Diagnostik nach einem Herzinfarkt oder die Kataraktoperation zur Behandlung des Grauen Stars abschaffen“.

Der BVA ist entsetzt darüber, dass dieser Abschlussbericht überhaupt veröffentlicht wurde. Er fordert, dass er zurückgezogen wird und appelliert an den G-BA, das Gutachten bei der Entscheidung über das augenärztliche Ambylopiescreening nicht zu berücksichtigen.

Seit vielen Jahren arbeiten Kinderärzte und Augenärzte vor Ort sehr eng und gut zusammen. Viele Kinderärzte schließen sich den Empfehlungen der Berufsverbände an und überweisen die Kinder mit besonderem Risiko nach der U5 (im Alter von sechs Monaten) und alle Kinder mit 31 bis 42 Monaten an einen Augenarzt zum Amblyopiescreening. Dieses im Alltag bewährte Vorgehen sollte nun in die Regelversorgung aufgenommen werden, damit endlich eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen erfolgen kann. Wenn der G-BA dem IQWiG-Bericht folgt und den Antrag ablehnt, werden die Augenärzte diese Vorsorgeuntersuchung nur noch als Selbstzahlerleistung anbieten können. „Diese Einsparung der Krankenkassen zu Lasten der Augengesundheit von Kindern oder des Geldbeutels der Eltern lehnen wir strikt ab“, sagt Prof. Bertram. In der Pressemeldung des IQWiG erfolgt der Verweis auf ein Sehscreening im Rahmen der kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen. Diese sind bezüglich Amblyopie nur sehr grob und decken viele Amblyopien und insbesondere die Mehrzahl der Ursachen für eine Amblyopie nicht auf. Deswegen unterstützt der Kinderarztverband die Einführung der augenärztlichen Untersuchung explizit. Die Gründe des IQWiG für die Ablehnung des augenärztlichen Screenings träfen für das kinderärztliche Sehscreening noch viel mehr zu. Dies geht sogar aus dem Fazit des IQWiG-Berichts hervor. Eine Ablehnung des augenärztlichen Screenings bei gleichzeitigem Belassen des kinderärztlichen Screenings wäre damit geradezu grotesk.

Weitere Informationen zum Thema Auge und Sehen inklusive Bild- und Statistikdatenbank:
www.augeninfo.de
Ausführliche Informationen über Augenerkrankungen bei Kindern:
www.aad-kongress.de/presse/vollseite.php?presse_id=110 und
www.aad-kongress.de/presse/vollseite.php?presse_id=119
www.kinderaugen.info
www.augeninfo.de/presse/pr_kids.php

Quelle und Kontaktadresse:
Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA) Dr. Georg Eckert, Presse Tersteegenstr. 12, 40474 Düsseldorf Telefon: (0211) 4303700, Telefax: (0211) 4303720

(tr)

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