Pressemitteilung | Bayerischer Anwaltverband e.V.

Knappe Ressourcen verhindern den flüssigen Ablauf in der Justiz

(München) - Initiiert vom Verein der Freunde des Obersten Landesgerichts München, fand am 01.06.2006 unter dem Motto „Justiz nach Kassenlage – Abhängigkeit der Unabhängigen“ im Forum der Süddeutschen Zeitung eine Podiumsdiskussion zum Thema „Knappe finanzielle Ressourcen in der Justiz“ statt.

Zu den Podiumsteilnehmern gehörten neben dem Moderator Christian Faul vom Bayerischen Rundfunk Horst Böhm (Direktor des Amtsgerichts und Vorsitzender des Bayerischen Richtervereins), Prof. Dr. Walter Odersky (Präsident des Bundesgerichtshofs a. D.), Prof. Dr. Johannes Hager (Ludwig-Maximilian-Universität München) und Rechtsanwalt Anton Mertl (Präsident des Bayerischen AnwaltVerbands).

Vor wenigen Monaten hat das Bundesverfassungsgericht die überlange Untersuchungshaft eines noch nicht verurteilten Angeklagten bemängelt und damit öffentlich die Unfähigkeit des Staates angeprangert, die Justiz mit den notwendigen personellen und sachlichen Mitteln auszustatten. Nicht zuletzt gab auch die Schließung des Bayerischen Obersten Landesgerichts den Anstoß zu der Debatte, bei der auch nach der Podiumsdiskussion reichlich Beiträge aus dem Publikum kamen.

Doch nicht nur die finanzielle Verknappung durch die Verwaltung belastet die Justiz, sondern auch die Besetzung leitender Positionen durch justizfremde Verwaltungsbeamte. Die Nichtbesetzung offener Stellen führt überdies zu einem Stau in der Abarbeitung aufgelaufener Fälle. „Viele der gut qualifizierten Hochschulabsolventen finden den Weg in den Beruf des Anwaltes und streben keine Laufbahn in der Justiz mehr an“, so Prof. Dr. Andreas Heldrich vom Verein der Freunde des Obersten Landesgerichts und ehemaliger Rektor der Ludwig-Maximilian-Universität München .

Unabhängigkeit der Justiz
Odersky sieht das Problem hauptsächlich in der immer größer werdenden Einflussnahme der Politik auf die Justiz. „Die Justiz darf nur an die Gesetze gebunden sein, ansonsten muss sie völlig frei und unabhängig agieren können“, so Odersky. Als Lösung für die Problematik aus seiner Sicht, bietet er zwei Vorschläge an: Einerseits kann er sich die völlige Trennung von Judikative und Exekutive vorstellen. Die Verwaltung der rechtssprechenden Organe sollte in diesem Fall bei einem Justizverwaltungsrat liegen, dessen Mitglieder vom Parlament gewählt werden. Dieses Modell fördert die Unabhängigkeit der Justiz von der Exekutive. Odersky verwies darauf, dass dieses Modell bereits in unterschiedlichen Ländern der EU eingesetzt wird.

Als weitere Lösung präferiert der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofs die Fortentwicklung des bisherigen Systems dahingehend, dass ein auf Lebenszeit berufener Präsidialrat eingesetzt wird, der die Seite der Justiz aus eigener Erfahrung kennt. Dieser soll bei der Besetzung wichtiger Stellen, aber auch bei sonstigen weit reichenden Entscheidungen ein Vetorecht erhalten und so die Entscheidungen des Justizministers kontrollieren.

Alte Themen neu diskutiert
„Die aktuell diskutierte Problematik ist nicht neu. Bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurde die Schieflage der Justiz diskutiert“, darauf verwies der Direktor des Amtsgerichts und Vorsitzender des Bayerischen Richtervereins Böhm. Mittlerweile sind wir so weit, dass die Justiz nur noch einem Kostenansatz zu Grunde gelegt wird und dadurch auch richterliche Entscheidungen beeinflusst werden. „Die Richter werden mittlerweile als Kostenverursacher, das Urteil als Produkt angesehen“ so Böhm. Trotz Mehrarbeit und permanent steigender Fallzahlen wird immer mehr am Personal gespart. Dadurch kann nicht zeitnah auf die vorliegenden Fälle – oftmals aus Verbrechen und Gewalttaten resultierend – reagiert werden. Dies bestätigt auch Rechtsanwalt und Präsident des Bayerischen AnwaltVerbandes (BAV) Anton Mertl. Bereits für die erste Instanz muss man Zeitfenster von sechs bis acht Monaten in Kauf nehmen. Dies liegt unter anderem daran, dass die Richter schon durch die letzte „Reform“ der Prozessordnung zusätzlich belastet wurden. Die Neubesetzung einer frei gewordenen Stelle dauert auf Grund einer Wiederbesetzungssperre sechs Monaten. Bis dahin laufen die Fälle unbearbeitet auf. Dies führt vor allem bei den Opfern, aber auch bei der Gesamtöffentlichkeit, zu einem Vertrauensverlust in die Justiz. Um diesem Problem entgegen zu wirken, schlägt Böhm einen „richterlichen Notdienst“ vor, der auch außerhalb der üblichen Geschäftszeiten zeitnah auf akute Fälle eingehen kann.

Mertl macht darüber hinaus auch noch auf ein weiteres Problem aufmerksam. Laut Koalitionsvertrag der Bundesregierung soll die Bereinigung der Rechtsmittelstruktur weiter fortgesetzt werden – nicht zum Besten für den Rechtssuchenden. Neben weiteren personellen Reduzierungen und Einschränkungen der möglichen Berufungen – auch hier nimmt die Politik wieder Einfluss auf die Rechtsfindung – sollen Richter künftig flexibler eingesetzt werden. „Stellt sich die Frage, wie das funktionieren soll. Gerade in der heutigen Zeit ist die Spezialisierung der Justizkräfte auf bestimmte Rechtsgebiete unumgänglich, um eine möglichst einwandfreie Rechtssprechung zu gewährleisten“, so der Präsident der BAV. Letztlich sollen Kosten gespart werden, indem man „Outsourcing“ betreibt und die Aufgaben der Nachlassgerichte auf Notare überträgt. Doch dies ist aus Sicht des BAV eine Milchmädchenrechung. Gerade dieser Zweig der Justiz ist mit einem Überschuss von 24 Millionen Euro pro Jahr alleine in Bayern ein sehr gewinnbringender. Dieses Thema wird sicher noch mehr als einmal Anlass zu Diskussionen geben.

Weitere Einschnitte in die Justiz sind nicht mehr hinnehmbar. Das gilt auch für die Pläne einer so genannten großen Justizreform. Das Ausbluten der Ressourcen der Justiz muss gestoppt werden, wenn die Justiz ihren verfassungsmäßigen Auftrag erfüllen soll. Maßnahmen, die der Justiz die Mittel weiter entziehen, dürfen nicht umgesetzt werden. Deshalb lehnen die Diskutanten eine Verlagerung von Aufgaben aus der Justiz ab. Eine Zusammenlegung der Gerichtszweige ist unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Qualitätsstandards abzulehnen. Die Selbstverwaltung der Justiz muss gestärkt werden.

Quelle und Kontaktadresse:
Bayerischer Anwaltverband Julia von Kuester, Geschäftsführerin Prinzregentenstr. 6-8, 83002 Rosenheim Telefon: (08031) 9089-433, Telefax: (08031) 9089-477

(sk)

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