Pressemitteilung | KommOn - Informationssystem der Städte, Gemeinden, Kreise und Verbände

Kommunale Spitzenverbände zum Fortentwicklungsgesetz der Bundesregierung / Fehlanreize bei Hartz IV abbauen / Kosten reduzieren / Leistungsrecht überprüfen und an der früheren Sozialhilfe orientieren

(Berlin) - Die kommunalen Spitzenverbände unterstützen die Bundesregierung und die Koalitions-fraktionen bei der Korrektur von Fehlentwicklungen durch das Hartz-IV-Gesetz. Das am 03. Mai 2006 im Bundeskabinett behandelte Fortentwicklungsgesetz zum Sozialgesetzbuch II (SGB II) enthalte viele richtige Maßnahmen, die im Gesetzgebungsverfahren weiter ergänzt werden müssten, erklärten der Deutsche Städtetag, der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund am 03. Mai 2006 in einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin.

„Fehlanreize bei Hartz IV müssen abgebaut und die Kostenexplosion muss eingedämmt werden. Die Richtung des Gesetzes stimmt und muss auch Leitlinie für weitere Schritte sein“, erklärten die drei Hauptgeschäftsführer Dr. Stephan Articus, Prof. Dr. Hans-Günter Henneke und Dr. Gerd Landsberg.

Vor dem Hintergrund der stark gestiegenen Zahl der Leistungsempfänger und der Kosten für Bund und Kommunen müsse das Leistungsrecht eingehend überprüft und an der früheren Sozialhilfe orientiert überarbeitet werden. Denn Fehlanreize für den Bezug des Arbeits-losengeldes II und der Unterkunftskosten müssten noch stärker verringert werden, als dies durch das Fortentwicklungsgesetz in der vorliegenden Form zu gewährleisten sei.

Die kommunalen Spitzenverbände zeigten sich besorgt, dass die Zahl der Bedarfsgemein-schaften nach dem SGB II seit Januar 2005 von 3,33 Millionen um rund 600.000 auf

3,92 Millionen angestiegen ist. Wahrscheinlich werde die endgültige Zahl der Bedarfs-gemeinschaften für April erstmals die 4-Millionen-Grenze überschreiten. Die Kosten des Gesetzes für Bund und Kommunen beliefen sich 2005 auf rund 45 Milliarden Euro.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Dr. Stephan Articus, sagte: „Es ist richtig, dass die große Koalition das Prinzip Fördern und Fordern stärken will: Positiv zu bewerten sind im Fortentwicklungsgesetz zum Beispiel die vorgesehenen Sofort-angebote einer Beschäftigung oder Qualifizierung für neue Antragsteller. Die Leistungen des Gesetzes müssen auf die wirklich Bedürftigen konzentriert werden,

die seit langem arbeitslos sind und wieder eine Chance auf dem Arbeitsmarkt brauchen. Diesen Weg muss die große Koalition noch konsequenter beschreiten.“

Es gehe nicht darum, Regelsätze zu senken, sondern das Leistungsrecht so zu schärfen, dass Anreize für Arbeit im Mittelpunkt stehen: „Die Dynamik der stetig steigenden Bezieher-zahlen und Milliarden-Ausgaben muss gebrochen werden, damit das Sozialsystem Hartz IV nicht aus dem Ruder läuft und sich zu einer Grundsicherung für immer größere Teile der erwerbsfähigen Bevölkerung entwickelt.“ Der starke Anstieg der Bezieherzahlen und der Kosten seit Inkrafttreten des Gesetzes lasse sich nicht überwiegend mit einer immer höheren Langzeitarbeitslosigkeit und einer früheren verschämten Armut erklären, sondern gehe in hohem Maße auf Fehlanreize im System zurück.

„Mit Hartz IV hat unser Staat unbeabsichtigt auch eine Art Kombi-Wohnkosten-förderung für Niedrigverdiener eingeführt“, so Articus weiter. Im Herbst 2005 hätten bereits mehr als 900.000 Berufstätige mit Erwerbseinkommen ergänzende Leistungen nach dem SGB II erhalten. In vielen Fällen hätten Berechtigte nur einen geringen Anspruch auf das

vom Bund finanzierte Arbeitslosengeld II, weil ihr Einkommen darauf angerechnet wird.
Es verbleibe ihnen jedoch häufig ein hoher Anspruch auf die von den Kommunen zu finanzierenden Unterkunftskosten. Die Kommunen würden dadurch überproportional belastet. Grundlage der Revisionsberechnungen für die Jahre 2005 und 2006 war die Annahme, dass die Unterkunftskosten pro Jahr 12,25 Milliarden Euro betragen würden. Aufgrund der Ent-wicklung in den ersten Monaten sei inzwischen jedoch für das Jahr 2006 eine Mehrbelastung von etwa 1,7 Milliarden Euro zu befürchten, wovon die Kommunen 1,2 Milliarden Euro tragen müssten.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Dr. Gerd Landsberg, betonte, dass viele der von der Koalition im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen von den Kommunen gefordert worden seien. Landsberg sagte: „Das wundersame Aufsplitten von Bedarfsgemeinschaften bisher zusammenlebender Paare kann dadurch eingedämmt werden, dass Mann und Frau künftig beweisen müssen, dass es sich nicht um eine Lebensgemeinschaft, sondern nur um eine Wohngemeinschaft handelt.“ Es sei

notwendig, den automatisierten Datenabgleich zu erweitern und bei Verdacht auf Leistungs-missbrauch die Datenübermittlungsbefugnisse im Gesetz auszudehnen. So müssten zum Beispiel Kfz-Halterdaten oder auch Konten und Depots überprüft werden können.

„Wer den Missbrauch wirksamer bekämpfen will – und dies sind wir den Steuerzahlern schuldig – muss auch Außendienste einrichten, damit die notwendigen Überprüfungen stattfinden können. Es muss zulässig werden, durch telefonische Befragung zu über-prüfen, ob die Leistungsbezieher richtige Angaben gemacht haben. Der Einspareffekt durch all diese Maßnahmen wird voraussichtlich beachtlich sein, auch wenn sich durch die vom Bund genannten 1,2 Milliarden Euro jährlich die Kostenexplosion bei Hartz IV sicher noch nicht vollständig bewältigen lässt“, so Landsberg.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages, Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, machte deutlich, dass die Kommunen unter der Kostenexplosion von Hartz IV über die überwiegend von ihnen zu bezahlenden Wohnkosten der Hilfebezieher leiden würden. „Die Leistungsverbesserungen im neuen System führen zu Mehrbelastungen der öffentlichen Haushalte. Der Bund ist aufgefordert, mit seiner Beteiligung an den überproportional wachsenden Leistungen für Unterkunft und Heizung dauerhaft sicherzustellen, dass die gesetzlich zugesicherte Entlastung der Kommunen um 2,5 Milliarden Euro jährlich eintritt. Das muss ohne Wenn und Aber erfüllt werden. Ziel muss sein, auf der Grundlage von Daten aus dem unmittelbaren Verwaltungsvollzug zu einer gesicherten Tatsachengrundlage für die Kostenverteilung zu gelangen.“ Zur Berechnung der Kostenquote der Kommunen biete sich der 31.12.2004 als Tag des Systemwechsels an.

In diesem Zusammenhang hob er hervor, dass die Ausgestaltung des Leistungsrechts auch eine erhebliche Rolle für die Entwicklung der Unterkunftskosten spiele. Er sagte: „Wir wissen, dass Hartz IV an vielen Stellen zu großzügig ausgestaltet ist, um einen wirklichen Anreiz zur Arbeitsaufnahme zu bieten. Stattdessen wächst und wächst der Bezieherkreis und umfasst heute sogar eine Klientel, die vor der Reform keinen Anspruch auf Sozialleistungen hatte.“ Daher müsse unbedingt nachgesteuert und eine Orientierung an den Regeln der bisherigen Sozialhilfe angestrebt werden: „Auf diese Weise würden nicht nur Kosten gesenkt, sondern zudem die Leistungen auf die wirklich Bedürftigen konzentriert.“

Darüber hinaus erläuterte Henneke den Vorschlag, statistische Fragen von der Bundesagentur für Arbeit (BA) in die Hände des Statistischen Bundesamtes zu geben. Dies habe zwei Gründe: Die Kommunen erhielten nur so den unmittelbaren Zugang zu statistischen Daten, auf die sie für Haushalts- und Sozialplanung dringend angewiesen sind. Zudem werde nur dadurch gewährleistet, dass Bund und Kommunen mit der gleichen validen Datenbasis in die Verhandlungen über die Bundesbeteiligung gehen.

Als weitergehende Vorschläge zur Fortentwicklung des SGB II befürworteten die kommunalen Spitzenverbände, sich in größerem Umfang an dem schon früher im Sozialrecht bewährten Grundsatz der bedarfs- und bedürftigkeitsorientierten Hilfe zu orientieren. Sie nannten dazu beispielhaft zwei konkrete Punkte:

Der befristete Zuschlag, den Bezieher von Arbeitslosengeld I beim Übergang ins Arbeitslosengeld II erhalten, könnte sozialverträglich abgeschmolzen werden. Denn
eine Familie mit zwei Kindern kann durch Arbeitslosengeld II, Unterkunftskosten, die Mehraufwandsentschädigung bei Ein-Euro-Jobs und den Zuschlag ein Haushalts-nettoeinkommen von 2.200 Euro monatlich erzielen. Der Anreiz, eine niedrig vergütete Tätigkeit aufzunehmen, ist dadurch nicht mehr gegeben.

Der Schutz von Vermögen der Langzeitarbeitslosen könnte so überarbeitet werden, dass er für große Vermögenswerte wie ein Einfamilienhaus bzw. eine Eigentumswohnung zeitlich befristet gilt und pro Bedarfsgemeinschaft maximal ein Auto als Schonvermögen anerkannt wird. Bisher darf jeder Erwerbsfähige ein Kraftfahrzeug bis zum Wert von 5000 Euro haben, ohne dass dies seine Leistungen nach dem Hartz-IV-Gesetz schmälert.

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände Pressestelle Straße des 17. Juni 112, 10623 Berlin Telefon: (030) 377110, Telefax: (030) 37711999

(bl)

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