Pressemitteilung | Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Konjunkturelle Belebung zu erwarten / DIW Berlin stellt Konjunkturprognose 2005/2006 vor

(Berlin) - Die Konjunktur kann im Jahr 2005 beschleunigte Fahrt aufnehmen und im Jahresdurchschnitt um 1,8 Prozent zulegen. Das konjunkturelle Wachstum, das die Zahl der Arbeitstage berücksichtigt, liegt bei zwei Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt das DIW Berlin in seinen "Grundlinien der wirtschaftlichen Entwicklung 2005/2006", veröffentlicht im aktuellen Wochenbericht 1-2/2005. Die Voraussetzungen für ein Einschwenken auf einen stetigen, wenn auch flachen Aufschwungspfad sind in diesem Jahr günstig. Die Exporte werden die gesamtwirtschaftliche Entwicklung insgesamt stützen, wobei die europäischen Länder mehr und mehr die gedämpfte Dynamik bei wichtigen außereuropäischen Handelspartnern kompensieren. In diesem Umfeld kann sich die Binnenwirtschaft allmählich stärken. Im Jahr 2006 dürfte es zu einem Wechsel der konjunkturellen Kräfte kommen. So wird die Weltwirtschaft insgesamt auf eine ruhigere Gangart einschwenken. Die Dynamik von Exporten und Investitionen wird etwas nachlassen. Die binnenwirtschaftliche Expansion wird indes höher ausfallen als in diesem Jahr und die gesamtwirtschaftliche Produktion wird im Jahr 2006 um 1,8 Prozent steigen.

Wie schon in den vergangenen Jahren bleibt der private Konsum auch in diesem Jahr die Achillesferse der hiesigen Konjunktur. Hierfür sprechen die anhaltend schwache Lohnentwicklung und die nur wenig zurückgehende Arbeitsplatzunsicherheit. Dennoch wird sich mit wieder zunehmender Beschäftigung in diesem Jahr auch der private Konsum stabilisieren. Die Effektivverdienste werden etwas stärker als bisher expandieren. Auch die Bruttolohn- und -gehaltssumme pro Arbeitnehmer wird mit 0,9 Prozent etwas stärker anziehen. Durch die erneute Senkung des Steuertarifs verbleiben darüber hinaus etwa 6,5 Milliarden Euro mehr für Nettolöhne und ¬gehälter. Durch den Übergang zu einer nachgelagerten Besteuerung kommt es zu einer weiteren Entlastung der Einkommen. Doch entstehen auch Mehrbelastungen, so der höhere Beitragssatz zur Pflegeversicherung für Kinderlose und eine zu erwartende Beitragssatzsteigerung für Arbeitnehmer bei der Krankenversicherung. Die verfügbaren Einkommen dürften zusammengenommen um 2,3 Prozent steigen.

Mit einer deutlichen Entspannung auf dem Arbeitsmarkt ist in diesem Jahr nicht zu rechnen, weil der Aufschwung keine zusätzliche Dynamik entwickeln wird. Die Zahl der Erwerbstätigen wird nur wenig zunehmen, wenngleich etwas stärker als im Vorjahr. Fraglich ist, ob der Trend zur Ausweitung selbständiger Beschäftigung unvermindert anhält, besonders bei den Ich-AGs. Es ist zu erwarten, dass die Zahl der Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich, vor allem in Form von Ein-Euro-Jobs, wächst, und vermutlich dürfte auch die geringfügige Beschäftigung zunehmen. Im Jahr 2006 kommt es zu einem beschleunigten Beschäftigungsaufbau. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen dürfte ab Mitte 2005 sinken. Ende 2006 dürften merklich weniger als vier Millionen Menschen arbeitslos registriert sein.

Unter den für die Prognose unterstellten Annahmen – ein Wechselkurs von gut 1,30 US-Dollar/Euro und ein Ölpreis von etwa 33 Dollar/barrel – bleiben die Rahmenbedingungen für die deutsche Warenausfuhr günstig. Zwar wird die weltwirtschaftliche Dynamik etwas an Fahrt verlieren, und auch von der zurückliegenden Aufwertung des Euro werden noch dämpfende Effekte ausgehen. Doch der dadurch entstehende Nachfragerückgang wird durch die EWU-Länder kompensiert, die aufgrund der fortgesetzten konjunkturellen Erholung im Euroraum verstärkt Investitionsgüter nachfragen werden. Der Trumpf der deutschen Exporteure ist und bleibt ihre hohe Wettbewerbsfähigkeit, die sich bis 2006 noch verbessern wird. Im Jahresdurchschnitt 2005 dürfte das Wachstum der Exporte 5,7 Prozent, im Jahre 2006 5,2 Prozent betragen.

Nach der hier vorliegenden Einschätzung wird sich die weltweite konjunkturelle Dynamik im Zeitraum bis 2006 allmählich wieder kräftigen. Zwar wird das Expansionstempo in den USA abnehmen, die Auftriebskräfte in Europa werden hingegen mit der Zeit fester werden und die Weltkonjunktur stützen. In Asien wird sich das Wachstumstempo verringern, aber immer noch hoch bleiben. Allerdings sind sowohl die Wechselkurs- wie die Ölpreisannahme mit hohen Risiken verbunden. Eine Alternativsimulation mit dem NiGEM-Modell ergab, dass bei einem dauerhaft höherer Ölpreis (50 US-Dollar/barrel) und einem dauerhaft geringeren Kurs für den US-Dollar (1,50 US-Dollar/Euro) das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr im Euroraum und in Deutschland knapp 1 % niedriger ausfallen könnte als hier unterstellt.

Angesichts der verschlechterten monetären Rahmenbedingungen aufgrund der Aufwertung des Euro im Jahr 2004 plädiert das DIW Berlin für eine Zinssenkung durch die Europäische Zentralbank, um die Wachstumskräfte weiter zu stützen. Eine anhaltend kräftige Expansion der Binnennachfrage im Euroraum würde möglicherweise auch mit einer Erhöhung des realen Wechselkurses einhergehen. Die Folgen einer sich daraus ergebenden verschlechterten Wettbewerbsposition würden aber auf eine weit robustere Konjunktur treffen als die derzeitige. Gleichzeitig würden langfristig damit auch die Ungleichgewichte zwischen den USA und Europa abgebaut.

Infolge der Konsolidierungsbemühungen wird sich das Budgetdefizit Deutschlands in diesem Jahr voraussichtlich auf 67 Milliarden Euro verringern, obwohl weitere Steuerentlastungen in Kraft treten. Die Defizitquote wird voraussichtlich auf drei Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts sinken. Alles in allem werden von der Finanzpolitik erhebliche restriktive Wirkungen auf die konjunkturelle Entwicklung ausgehen, da die expansiven Impulse aus den Steuerentlastungen durch die Einsparungen auf der Ausgabenseite überkompensiert werden. Im Jahre 2006 kann unter den zugrundeliegenden gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit einem weiteren spürbaren Rückgang des staatlichen Defizits gerechnet werden, wenn die Finanzpolitik an ihrem Sparkurs festhält. Es ist mit einer Größenordnung von 57 Milliarden Euro zu rechnen, was einer Relation von 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Das DIW Berlin empfiehlt, auf ein weiteres Sparprogramm zu verzichten, da es Gift für die Konjunktur wäre und die Finanzpolitik ohnehin restriktiv ausgelegt ist. Vielmehr sollten die Ausgaben in die Infrastruktur erhöht werden. Aber auch in Bezug auf weitere Steuerentlastungen sollte sich die Politik nicht unter Zugzwang setzen. In erster Linie geht es darum, finanzpolitische Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. In diesem Zusammenhang wäre der Abbau von steuerlichen Vergünstigungen und die verschärfte Bekämpfung von Steuerbetrug hilfreich. Das DIW Berlin plädiert weiterhin für das Konzept eines nachhaltigen Ausgabenpfades mit einer jährlichen Steigerung um 1 ½ %; bei einem unterstellten Anstieg des nominalen Bruttoinlandsprodukts um jährlich 3% könnte im Jahre 2010 mit einem nahezu ausgeglichenen Staatshaushalt gerechnet werden.

Der vermeintliche Widerspruch in den Anforderungen an die Lohnpolitik zwischen einer ständigen Forderung nach Kostensenkung und der Notwendigkeit der Einkommensstabilisierung lässt sich in Deutschland nicht über Lohnsenkungen lösen, sondern sollte über eine Senkung der Beitragssätze in der Sozialversicherung bei gleichzeitiger Kompensation der Einnahmenausfälle durch Subventionsabbau oder – als zweitbeste Lösung – höhere Steuern erfolgen. Die Finanzpolitik kann auch heute noch die bei der Finanzierung der deutschen Wiedervereinigung gemachten Fehler korrigieren, indem sie die in den letzten Jahren vorgenommenen Beitragssatzerhöhungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zurücknimmt. Dies würde die Arbeitskosten deutlich entlasten.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Renate Bogdanovic, Pressestelle Königin-Luise-Str. 5, 14195 Berlin Telefon: 030/89789-249, Telefax: 030/89789-119

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