Pressemitteilung | Deutscher AnwaltVerein e.V. (DAV)

Konzeptlose „Rolle rückwärts“ beim Strafverfahren / DAV wendet sich gegen Dreiländerinitiative zur „Effektivierung des Strafverfahrens“

(Berlin) - In einer gemeinsamen Initiative haben die Bundesländer Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen einen Gesetzentwurf zur „Effektivierung des Strafverfahrens“ vorgelegt. Die Einbringung in den Bundesrat ist für den 22. September 2006 geplant. Nach ihrem eigenen Bekunden sollen die Vorschläge „zur Beseitigung des bestehenden Reformstaus im Strafprozessrecht“ dienen und darüber hinaus einen „wichtigen Beitrag zur Verwirklichung einer erforderlichen Justizreform“ leisten. Nach Ansicht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) ist genau das Gegenteil der Fall. Aus den Vorschlägen ergibt sich das Bild einer rechtspolitischen Landschaft, in der mehr oder weniger wahllos ohne jedes zukunftsgewandte reformerische Konzept im Strafverfahren herumgeflickt wird. Zu Tage tritt die unverhohlene Absicht, das, was vom liberalen Strafprozess übrig geblieben ist, im Sinne der Restauration eines autoritären Verfahrens zu demolieren. Die Vorstellungen, Beweisanträge der Angeklagten oder auch der Nebenklage zu beschneiden, sind mit einem rechtsstaatlichen Strafverfahren unvereinbar. Die Möglichkeiten des Bürgers, sich gegen falsche oder ungerechte Urteile zu wehren, würden drastisch verschlechtert.

„Die Vorschläge stammen aus der Mottenkiste rückwärts gewandter Überlegungen eines modernen, liberalen Strafprozesses“, so Rechtsanwalt Dr. Stefan König, Vorsitzender des DAV-Strafrechtsausschusses. Was noch bliebe, wenn diese Blütenträume reiften, wäre ein Hau-Ruck-Prozess, in dem mit demjenigen, der in den - manchmal unberechtigten! - Verdacht strafbaren Handelns geraten ist, „kurzer Prozess“ im buchstäblichen Sinne des Wortes gemacht werde. König weiter: „Dieses Sammelsurium uralter Kamellen würden weder zu einer Reform noch zu einer Verbesserung des Strafverfahrens führen.“

Im Einzelnen:
So soll die schleichende Umwandlung des Ermittlungsverfahrens in einen Verfahrensabschnitt, der allein von der Polizei beherrscht wird, fortgeführt werden durch die Einführung einer Verpflichtung der Bürgerinnen und Bürger, polizeilichen Ladungen Folge zu leisten. Eine solche Verpflichtung mag es im Polizeistaat geben. Der Rechtsstaat kennt sie nicht. Dort muss nur einer Ladung durch die Staatsanwaltschaft oder eines Gerichts Folge geleistet werden.

In der Hauptverhandlung vor dem Strafgericht soll die Möglichkeit des Angeklagten - und von Nebenklägern, letztlich auch der Staatsanwaltschaft - durch eigene Beweisanträge auf das Verfahren einzuwirken, beschnitten werden. Die Abweisung solcher Anträge soll wegen angeblicher Prozessverschleppung erleichtert werden. Auch das ist eine stets abgelehnte Forderung, die mit dem Grundgedanken eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens unvereinbar ist. Die Dokumentation des Geschehens in der Verhandlung vor Gericht soll durch Abschaffung des Inhaltsprotokolls beim Amtsgericht weiter verschlechtert werden. Das Gegenteil wäre notwendig: Die Einführung einer vollständigen Aufzeichnung der Verhandlung auf Tonträger für alle strafgerichtlichen Hauptverhandlungen.

Die Möglichkeiten des Bürgers, sich gegen falsche oder ungerechte Urteile zu wehren, würden drastisch verschlechtert, wenn die Annahmeberufung auf alle Urteile erweitert würde, mit denen ein Angeklagter zu einer Strafe von bis zu 60 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt wurde. Die schon jetzt existierende Annahmeberufung, welche für Verurteilungen bis zu 15 Tagessätze gilt, hat eine schwer erträgliche Situation geschaffen: Der Anteil derjenigen Fälle, in denen die Berufung nach geltendem Recht noch zugelassen wird, ist viel geringer als derjenige der vor Einführung der Annahmeberufung erfolgreich durchgeführten Berufungsverfahren. Das bedeutet, dass heute eine Vielzahl falscher, ungerechter Urteile rechtskräftig werden, weil die Möglichkeit ihrer Überprüfung nicht mehr gegeben ist. Dieser Zustand darf nicht verschärft, er muss beendet werden durch gänzliche Abschaffung der Annahmeberufung, wie sie seitens des Bundesjustizministeriums auch geplant ist.

Die Erweiterung des Strafbefehlsverfahrens auf Verurteilungen zu Bewährungsstrafen von bis zu zwei Jahren ist nach Ansicht des DAV bedenklich. Auf diese Weise könnten gravierende Sanktionen in einem rein schriftlichen Verfahren verhängt werden, in denen das Gericht den Angeklagten nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen hat.

Die Ausweitung des Anwendungsbereichs des sogenannten beschleunigten Verfahrens brächte eine Hoppla-Hopp-Justiz selbst in gravierenden Fällen, wo Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren verhängt werden können. Der geplante Wegfall der Möglichkeit, gegen Urteile im Ordnungswidrigkeitsverfahren eine Rechtsbeschwerde einlegen zu können, verkennt die einschneidende Bedeutung einer solchen Sanktion. In solchen Verfahren kann ein Fahrverbot von bis zu einem Monat verhängt werden. Dies ist besonders für Menschen, die aus beruflichen oder gesundheitlichen Gründen auf ihren Pkw angewiesen sind, bedeutsam. Eine Fehlerkontrolle muss möglich sein.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher AnwaltVerein e.V. (DAV) Swen Walentowski, Pressesprecher Littenstr. 11, 10179 Berlin Telefon: (030) 7261520, Telefax: (030) 726152190

(sk)

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