Krankenkassen kritisieren Drohung mit Notversorgung / "Ärztefunktionäre handeln unverantwortlich"
(Bonn) - Patienten in Westfalen-Lippe stehen vom 22. Januar an mittwochs vor verschlossenen Wartezimmern. So hat es der Ärzteverband Hartmannbund am 7. Januar angekündigt. Praxisschließungen in anderen Regionen und Wartelisten für "weniger dringende Fälle" sollen folgen. Der vorgebliche Protest gegen die Honorar-Nullrunde 2003 stößt bei Bundesregierung und Krankenkassen auf Unverständnis und heftige Kritik.
Nach der AOK hat jetzt auch Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt die Patienten aufgefordert, den Krankenkassen mitzuteilen, wenn Ärzte ihre vertragsärztlichen Pflichten verletzen. Das Vorgehen der Ärztefunktionäre habe mit Protest nichts mehr zu tun, sagte Dr. Rolf Hoberg vom AOK-Bundesverband. "Es geht nicht an, dass Patienten zu Geiseln für Einkommensinteressen der Ärzte gemacht werden," stellte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der AOK im Interview mit "Freien Presse" aus Chemnitz fest. Man werde es nicht hinnehmen, dass die Versorgung von Patienten bewusst beeinträchtigt werden, um eine Nullrunde zu verhindern.
Vertragswidriges Handeln
Aus Sicht des AOK-Bundesverbandes verstoßen Ärzte, die dem Aufruf des Hartmannbundes folgen, sowohl gegen die geltenden Verträge mit den Krankenkassen als auch gegen den Gesetzesauftrag. Als Vertragspartner der Krankenkassen seien sie verpflichtet, die medizinische Versorgung sicherzustellen. "Sollten Ärzte ihre Patienten nicht ausreichend behandeln, müssen sie mit dem Verlust ihrer Kassenzulassung rechnen," unterstrich Rolf Hoberg.
Was sind Bagatellfälle?
Bundesgesundheitsministerin Schmidt zeigt sich besonders besorgt über die Ankündigung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, so genannte Bagatellfälle auf die lange Bank zu schieben: "Wer stellt denn in den zigtausenden von Fällen, die Tag für Tag in die Praxen kommen fest, was ein Bagatellfall ist und was nicht? Das kann in sehr vielen Fälle nicht durch puren Augenschein geschehen und schon gar nicht über die Patientenbefragung durch die Arzthelferin," sagte Schmidt am 8. Januar in Berlin.
Politik auf Kosten der Patienten
Mit der angekündigten Notversorgung und der Androhung von Wartelisten, so die Ministerin, "bewegen sich die kassenärztlichen Vereinigungen auf sehr dünnem Eis". Sie werde die Entwicklung nach Beginn der Protestaktionen sehr genau beobachten lassen. "Ich will keine Zuspitzung von Konflikten. Ich lasse aber auch keine Politik auf Kosten der Patientinnen und Patienten zu", betonte Schmidt.
Reine Standesinteressen
Dem Hartmannbund bescheinigte die Ministerin, "völlige Unfähigkeit zur notwendigen Reform." Dessen einziges Interesse sei es, "mehr Geld für seine Mitglieder zu beschaffen und den Patientinnen und Patienten Geld aus der Tasche zu ziehen."
Der Ärzteverband hat allerdings in den letzten Jahren erheblich an Rückhalt in den eigenen Reihen verloren. Von den rund 375.000 bei den Ärztekammern registrierten Ärztinnen und Ärzten sind mit etwa 37.000 nur knapp zehn Prozent im Hartmannbund organisiert, der für sich in Anspruch nimmt, alle Ärztegruppen zu vertreten. Dem gegenüber hat allein der Krankenhausärzteverband Marburger Bund 75.000 Mitglieder.
Quelle und Kontaktadresse:
AOK - Bundesverband
Kortrijker Str. 1
53177 Bonn
Telefon: 0228/8430
Telefax: 0228/843502
Weitere Pressemitteilungen dieses Verbands
- Reimann zur Bund-Länder-Arbeitsgruppe Pflege: Auf dem Spiel steht die Soziale Pflegeversicherung als wichtiger gesellschaftspolitischer Stabilitätsfaktor
- Forsa-Befragung zeigt Rückhalt in der Bevölkerung für Ziele der Krankenhausreform
- Reimann zu Pflege-Finanzen: Sofortmaßnahmen und dauerhafte Lösungen kombinieren