Lediglich 44 Prozent der Beschäftigten in der Privatwirtschaft erhalten Urlaubsgeld – in tarifgebundenen Betrieben ist der Anteil mit 72 Prozent deutlich höher - Pressemitteilung Hans-Böckler-Stiftung
(Düsseldorf) - In den letzten Jahren sind Reisen und Unterkünfte fast überall deutlich teurer geworden. Für viele Beschäftigte ist deshalb das zumeist im Juni oder Juli ausgezahlte Urlaubsgeld ein wichtiger Faktor, um sich den wohlverdienten Jahresurlaub leisten zu können. Allerdings erhält mit 44 Prozent noch nicht einmal die Hälfte aller Beschäftigten in der Privatwirtschaft Urlaubsgeld. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Online-Befragung des Internet-Portals Lohnspiegel.de, das vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung betreut wird. Für die Analyse wurden die Angaben von mehr als 67.000 Beschäftigten aus dem Zeitraum von Anfang Mai 2024 bis Ende April 2025 ausgewertet.
Ob Beschäftigte Urlaubsgeld erhalten oder nicht, hängt von mehreren Faktoren ab. Der mit Abstand wichtigste ist, ob im Betrieb ein Tarifvertrag gilt: In tarifgebundenen Betrieben der Privatwirtschaft erhalten 72 Prozent der Befragten Urlaubsgeld, verglichen mit 34 Prozent in Betrieben ohne Tarifvertrag (siehe auch Abbildung 1 in der pdf-Version dieser PM; Link unten). „Wer in einem Betrieb mit Tarifvertrag arbeitet, hat also deutlich bessere Aussichten auf Urlaubsgeld. Zugleich ist in tarifgebundenen Betrieben in der Regel auch das Grundgehalt höher als ohne Tarifvertrag“, sagt WSI-Lohnexperte Dr. Malte Lübker. „Tarifverträge lohnen sich also für die Beschäftigten nicht nur zur Urlaubszeit, sondern das ganze Jahr über.“
-Einfluss von Beschäftigten- und Betriebsmerkmalen auf das Urlaubsgeld-
Neben der Tarifbindung gibt es eine Reihe weiterer Strukturmerkmale, die die Zahlung von Urlaubsgeld beeinflussen (ebenfalls Abbildung 1 in der pdf-Version). Ein wichtiges Merkmal ist z. B. die Betriebsgröße. Demnach erhalten 59 Prozent der Arbeitnehmer*innen in Großunternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten Urlaubsgeld gegenüber lediglich 36 Prozent in kleineren Betrieben mit weniger als 100 Beschäftigten. Auch der regionale Standort der Unternehmen spielt eine wichtige Rolle: So ist die Wahrscheinlichkeit, in Westdeutschland Urlaubsgeld zu erhalten, mit 46 Prozent der Beschäftigten deutlich höher als in Ostdeutschland mit 33 Prozent. Sowohl bei der Betriebsgröße als auch bei dem regionalen Standort spielt wiederum auch die Tarifbindung eine wichtige Rolle, da größere Unternehmen wesentlich häufiger tarifgebunden sind und die Tarifbindung in Ostdeutschland immer noch unter dem westdeutschen Niveau liegt. Schließlich haben Frauen mit 39 Prozent deutlich seltener Aussicht auf Urlaubsgeld als Männer mit 48 Prozent. Dies lässt sich im Wesentlichen auf eine für Frauen ungünstige Verteilung der Beschäftigtenzahlen nach Betriebsgrößen und Berufsgruppen zurückführen. „Die Zahlen machen deutlich, dass eine höhere Tarifbindung ein wichtiger Faktor ist, um die Ungleichheit am Arbeitsmarkt zu reduzieren“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI.
-Große Unterschiede in der Höhe des tariflichen Urlaubsgeldes-
Wie hoch das tarifliche Urlaubsgeld ausfällt, hängt von den genauen Regelungen in den einzelnen Tarifverträgen ab. Diese unterscheiden sich zum Teil erheblich: Die Spannbreite reicht von 186 Euro für die Beschäftigten in der Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern bis zu 2.820 Euro für die Angestellten der Holz und Kunststoff verarbeitenden Industrie im Tarifbezirk Westfalen-Lippe. Dies zeigt eine aktuelle Auswertung des WSI-Tarifarchivs für ausgewählte Tarifbranchen (siehe auch Abbildung 2 sowie die Tabellen 1 und 2 in der pdf-Version). Die Angaben beziehen sich jeweils auf Beschäftigte in der mittleren Vergütungsgruppe (ohne Berücksichtigung von Zulagen/Zuschlägen, bezogen auf die Endstufe der Urlaubsdauer). In den meisten Tarifbereichen ist die Höhe des Urlaubsgeldes vom Tarifentgelt abhängig, in einigen Bereichen wird hingegen lediglich ein pauschaler Betrag bezahlt.
„Überall dort, wo vergleichsweise hohe Tariflöhne gezahlt werden, fällt auch das Urlaubsgeld deutlich üppiger aus“, sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Prof. Dr. Thorsten Schulten. „In den klassischen Niedriglohnbranchen wird hingegen in der Regel nicht nur ein niedrigeres Urlaubsgeld gezahlt. Die Chance, überhaupt eine entsprechende Sonderzahlung zu erhalten, ist aufgrund der niedrigeren Tarifbindung auch deutlich geringer“, so Schulten.
Zu den Branchen mit relativ niedrigem Urlaubsgeld gehört neben der Landwirtschaft auch das Hotel- und Gaststättengewerbe. In Bayern erhalten Tarifbeschäftigte dort 240 Euro extra, in Sachsen sind es 195 Euro. Mit Beträgen zwischen 1.000 und 2.500 Euro sind die Sonderzahlungen demgegenüber z. B. in der Papier verarbeitenden Industrie, in der Metallindustrie, in der Druckindustrie, im Kfz-Gewerbe, im Versicherungsgewerbe, im Einzelhandel, im Bauhauptgewerbe und in der Chemischen Industrie erheblich höher.
In einigen Branchen oder Großunternehmen, in denen bundesweite Tarifverträge gelten, gibt es auch beim Urlaubsgeld keine Ost-West-Unterschiede mehr. Hierzu zählen etwa das Versicherungsgewerbe, das Gebäudereinigungshandwerk und die Deutsche Bahn AG. Auch in der Druckindustrie und der Chemischen Industrie gibt es ein einheitliches Urlaubsgeld. In Branchen, in denen regional differenzierte Tarifverträge abgeschlossen werden, bestehen hingegen auch bei der Höhe des Urlaubsgeldes regionale Unterschiede. Besonders ausgeprägt sind die Unterschiede in der Holz und Kunststoff verarbeitenden Industrie.
Im öffentlichen Dienst gibt es kein gesondertes Urlaubsgeld mehr, da dies seit der Tarifreform des Jahres 2005 zusammen mit dem Weihnachtsgeld als einheitliche Jahressonderzahlung im November ausgezahlt wird. Auch im Bankgewerbe und in einigen Branchentarifverträgen der Energiewirtschaft gibt es kein tarifliches Urlaubsgeld. Eine Besonderheit gilt in der Eisen- und Stahlindustrie: Dort ist die Höhe der jährlichen Sonderzahlungen auf insgesamt 110 Prozent einer Monatsvergütung festgelegt – wobei offengelassen wird, wie sich dies auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld verteilt.
In 11 von 17 hier untersuchten Branchen mit tariflichem Urlaubsgeld hat sich dieses gegenüber dem Vorjahr erhöht. Steigerungen gab es insbesondere in jenen Branchen, in denen das Urlaubsgeld als Prozentsatz der Tarifentgelte festgelegt wird und in denen Tarifverhandlungen stattfanden. Am stärksten wurde das Urlaubsgeld mit 8,1 Prozent für die Arbeiter*innen im Bauhauptgewerbe angehoben. In den übrigen Branchen stieg das Urlaubsgeld zwischen 3,0 und 5,5 Prozent.
Neben einem Plus an Geld begründen Tarifverträge auch einen Anspruch auf mehr Urlaubstage: Während Beschäftigten nach dem Bundesurlaubsgesetz nur 20 Tage Jahresurlaub zustehen (bei einer 5 Tage Woche), liegt der Standard in Tarifverträgen – mit wenigen Ausnahmen – bei 30 Tagen bezahltem Urlaub pro Jahr (vgl. Tabellen 1 und 2).
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