Mehr Klarheit durch Präzisierung des Aktiengesetzes / Gutachten: Unternehmensvorstände müssen auch Interessen von Beschäftigten und Allgemeinheit berücksichtigen
(Düsseldorf) - Unternehmensvorstände sind nach der Rechtstradition des Aktiengesetzes nicht nur den Kapitalgebern verpflichtet, sondern ebenso den Arbeitnehmern und der Allgemeinheit - auch wenn das im vergangenen Jahrzehnt in Vergessenheit geraten ist. Eine Präzisierung des Aktiengesetzes könnte Klarheit schaffen, zeigt ein Rechtsgutachten von Prof. Dr. Gerald Spindler.
Vielen Vorständen gilt die Maximierung des Shareholder Value als höchstes Gebot. Diese einseitige Orientierung widerspricht jedoch den Vorstellungen des Gesetzgebers bei der Verabschiedung des Aktiengesetzes. Darauf weist Spindler, Professor für Wirtschafts- und Handelsrecht an der Universität Göttingen, in einem Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung hin.
Zwar enthält das 1965 beschlossene Aktiengesetz anders als seine Vorläufer keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Interessen der Beschäftigten und das Gemeinwohl. Doch dies liegt Spindler zufolge vor allem daran, dass die damalige Regierung nicht die Möglichkeit einkalkulierte, Vorstände könnten sich einseitig am Börsenkurs orientieren. So heißt es in der Gesetzesbegründung: Dass der Vorstand "die Belange der Aktionäre und der Arbeitnehmer zu berücksichtigen hat, versteht sich von selbst und braucht nicht ausdrücklich im Gesetz bestimmt zu werden. Gleiches gilt für die Belange der Allgemeinheit."
Nach Spindlers Expertise gilt dieses "pluralistische Unternehmensinteresse", das der Vorstand zu verfolgen habe, bis heute fort: "Diese nach wie vor gültige gesetzgeberische Entscheidung muss grundsätzlich respektiert werden." Allerdings sei in den letzten Jahren ein anderes Konzept in Konkurrenz zu der traditionellen Vorstellung getreten: Mit der zunehmenden Orientierung der Aktiengesellschaften am Kapitalmarkt und der Globalisierung der Kapitalmärkte habe sich der Shareholder-Value-Gedanke auch in gesellschaftsrechtliche Diskussionen eingeschlichen. Gewisse Anhaltspunkte einer Anteilseignerorientierung könne man dem Gutachten zufolge zwar im 1998 erlassenen Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) finden. Eine "völlige Neuorientierung" könne daraus aber keinesfalls abgeleitet werden, schreibt Spindler.
Dennoch würde eine ausdrückliche Erwähnung der Interessen von Beschäftigten und Allgemeinheit im Aktiengesetz mehr Rechtssicherheit schaffen. Eine entsprechende Bestimmung lediglich aus den Mitbestimmungsgesetzen abzuleiten oder in den Corporate-Governance-Kodex aufzunehmen, ist nach Spindlers Analyse hingegen nicht sinnvoll, da sie dann nur für Gesellschaften mit mehr als 500 Beschäftigten beziehungsweise nur für börsennotierte Unternehmen gelten würde.
Dr. Sebastian Sick, Experte für Corporate Governance in der Hans-Böckler-Stiftung, hält es deshalb für sinnvoll, den Begriff des Unternehmensinteresses im Aktiengesetz zu präzisieren: "Damit ließe sich eine zusätzliche Leitplanke einziehen, an der sich eine nachhaltige Unternehmenspolitik orientieren kann", sagt der Unternehmensrechtler.
Artikel im neuen Böckler Impuls 18/2008 mit Infografik und Link zum Gutachten von Prof. Spindler: www.boeckler.de/32014_93392.html.
Quelle und Kontaktadresse:
Hans-Böckler-Stiftung
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(el)
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