Pressemitteilung | Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed)

Neurostimulation: „Für viele Betroffene ein Gamechanger“

(Berlin) - Bei den medizintechnischen Verfahren der Neurostimulation gab es in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte. „So können wir beispielsweise chronische Schmerzen lindern, Symptome wie Zittern reduzieren oder auch Depressionen positiv beeinflussen“, sagt PD Dr. Dirk Rasche von der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neuromodulation (DGNM).

Im Interview mit dem Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) bemängelt er allerdings, dass die Neurostimulation aktuell „noch weit hinten in der Behandlungskette“ stehe. „Bei vielen Betroffenen wäre es sinnvoll, ihnen viel früher eine Neurostimulation zu vermitteln“, so der medizinische Experte. Rasche fordert unter anderem, dass die Neurostimulation neben Bewegungsstörungen wie Parkinson oder Tremor „auch bei anderen Indikationen in die Therapie-Leitlinien aufgenommen wird“. Das vollständige Interview und mehr Informationen zu Verfahren und Anwendungsbieten gibt es im BVMed-Themenportal unter www.bvmed.de/neuro.

Verfahren der Neurostimulation können bei zahlreichen Beschwerden helfen – von chronischen Schmerzen über Epilepsie bis hin zu Depressionen. Bei der Neurostimulation wird das Nervensystem mit elektrischen Impulsen beeinflusst. Neurostimulation zählt zu den Methoden der Neuromodulation, die noch weitere Verfahren zur Beeinflussung des Nervensystems wie Medikamente, Anwendung von Hitze oder Kälte sowie Medikamentenpumpen umfasst. „Es gibt derzeit mehr als ein Dutzend Verfahren, die an unterschiedlichen Stellen des Nervensystems ansetzen. Je nach Symptomen oder Erkrankungen wählen wir das passende Verfahren aus“, so Rasche. Dafür nennt er zwei konkrete Beispiele:

• Bei der Rückenmarkstimulation wird eine kleine Elektrode im Bereich der Wirbelsäule implantiert, um etwa chronische Schmerzen zu bessern. Die Elektroden senden Impulse in das Rückenmark, dadurch kommt es zu einer Beeinflussung der Schmerzweiterleitung und Schmerzempfindung.

• Bei der Tiefen Hirnstimulation werden Elektroden in bestimmte Gehirnareale eingesetzt. So können Bewegungsstörungen etwa bei Parkinson behandelt werden, aber auch Depressionen und Zwangsstörungen.

Andere Verfahren sind weniger invasiv, die Elektroden werden zum Bespiel nur unter die Haut gesetzt. Die Betroffenen erhalten zudem einen Stimulator, über den sie die Impulse selbst steuern können. „Für viele unserer Patient:innen sind die Verfahren ein echter Gamechanger. Sie erhalten dadurch eine völlig neue Lebensqualität“, so DGNM-Präsident Rasche.

Der technologischen Fortschritte habe dazu geführt, dass sowohl die Elektroden als auch die Stimulatoren heute deutlich kleiner sind. Die kleinsten Geräte können durch die Haut hindurch aufgeladen werden und müssen nur noch alle 10 bis 15 Jahre ausgetauscht werden. Auch die Handhabung ist einfacher geworden, berichtet Rasche. Die Verbindung zwischen Elektroden und Stimulator funktioniert inzwischen per Bluetooth, früher waren Kabel notwendig. Die neuesten Geräte sind zudem MRT-tauglich, was deshalb bedeutsam ist, da die Kernspintomographie heute eine der wichtigsten Diagnostikverfahren ist.

„Früher mit den Verfahren behandeln – und Kosten sparen“

Die Hürden für die Anwendung von Neurostimulationsverfahren sind nach Ansicht Rasches hoch. „Die Krankenkassen fordern etwa, dass Betroffene zunächst eine multimodale Schmerztherapie oder eine psychologische Begleitbehandlung machen müssen. Das ist angesichts der extrem langen Wartezeiten aus meiner Sicht nicht haltbar. Bei vielen Betroffenen wäre es sinnvoll, ihnen viel früher eine Neurostimulation zu vermitteln.“

Dass das nicht passiere, liegt auch an fehlendem Wissen über die Therapien. Deshalb informiert die Fachgesellschaft auch verstärkt andere medizinische Disziplinen über die Verfahren. „Hier ist der Schulterschluss mit den beteiligten Firmen und Herstellern sinnvoll“, so der Experte. Die im Herbst 2025 anstehende Gründung des „Netzwerkes Neuromodulation“ könnte ebenfalls unterstützen und eine Brückenfunktion erfüllen.

Um den Betroffenen die Verfahren früher zur Verfügung stellen zu können, fordert die DGNM, dass die Neurostimulation auch bei anderen Indikationen in die Therapie-Leitlinien aufgenommen wird. PD Dr. Dirk Rasche: „Wenn Patient:innen bestimmte Kriterien erfüllen, sollten sie viel früher mit den Verfahren behandelt werden. Dafür gehen wir auf Kongresse, sprechen mit den Fachgesellschaften, veröffentlichen Publikationen.“ Eine frühere Behandlung mit der Neurostimulation würde auch Kosten gegenüber medikamentösen Therapien sparen. „Zwar sind Anfangsausgaben für die Implantate höher, aber schon nach zwei Jahren kehrt sich die Rechnung in der Regel um. Leider schauen wir im Gesundheitssystem nur auf die Anfangskosten, das setzt falsche Anreize“, bemängelt Rasche.

Sein technologischer Ausblick fällt dagegen positiv aus: „Wir forschen daran, weitere Erkrankungen mit den Verfahren zu behandeln. Auf jeden Fall ist noch viel Luft nach oben. Letztlich wissen wir immer noch viel zu wenig über die Funktionen des Nervensystems und Gehirns. Ich bin daher zuversichtlich, dass wir noch viele Bereiche entdecken werden, in denen die Neuromodulation eingesetzt werden kann und für Besserung sorgen wird.“ Mit den im BVMed-Fachbereich ‚Neuromodulation und Neurostimulation‘ zusammengeschlossen Herstellern der Verfahren eint uns das Ziel, die besten Lösungen für die Patient:innen zu finden.“

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed), Manfred Beeres, Leiter(in) Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Georgenstr. 25, 10117 Berlin, Telefon: 030 246255-0

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