Öffnung des Marktes für Nahverkehrsleistungen in Europa
(Köln) - Wir sind froh, dass die EU-Kommission nach monatelangem Hin und Her nun doch noch in ihrer letzten Sitzung vor der Sommerpause am 26. Juli einen Verordnungs-vorschlag zur Öffnung des Marktes für Nahverkehrsleistungen in Europa verabschie-det hat, erklärt Dr.-Ing. E.h. Dieter Ludwig, Präsident des Verbandes Deutscher Ver-kehrsunternehmen (VDV) in Köln. Der Verordnungsentwurf entspreche zwar in vielen Punkten nicht den Vorstellungen und Erwartungen des VDV. Gleichwohl sei die Ge-setzesinitiative der Kommission zu begrüßen, weil sie zu einer politischen - und damit demokratisch legitimierten - Lösung von Wettbewerbs- und Marktzugangskonflikten führen werde. Das derzeit geltende Recht sei unklar und höchst umstritten, wie der Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. April 2000 an den Euro-päischen Gerichtshof zeige. Politisches Handeln dürfe nicht durch Richterrecht er-setzt werden.
Der Verordnungsvorschlag der Kommission muss jedoch in entscheidenden Punk-ten während des Gesetzgebungsverfahrens nachgebessert werden, fügt Ludwig ergänzend hinzu. Das Europäische Parlament und der Rat müssten sich in den kommenden Monaten sehr eingehend mit der komplexen und schwierigen Materie befassen und dabei auch den Rat und die Empfehlungen erfolgreicher Nahverkehrs-unternehmen berücksichtigen, wie sie im VDV zusammengeschlossen seien.
Positiv sei hervorzuheben, so VDV-Präsident Ludwig, dass der Verordnungsvor-schlag erstmals eine ausdrückliche Verpflichtung der zuständigen Behörden zur Be-reitstellung angemessener Verkehrsdienste im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) vorsehe. Zur Angemessenheit gehörten aufgrund des Entwurfs unter ande-rem auch die Integration der verschiedenen Verkehrsdienste und die Qualifikation des Personals. Beide Kriterien seien aus deutscher Sicht besonders wichtig, verge-genwärtige man sich die zahlreichen Verkehrsverbünde und den hohen Qualitäts-stand des ÖPNV in Deutschland.
Nach Auffassung Ludwigs beantwortet der Verordnungsentwurf der Kommission je-doch nicht zufriedenstellend die Frage, unter welchen Voraussetzungen Verkehrs-dienste europaweit ausgeschrieben werden müssen bzw. freihändig vergeben wer-den dürfen. Die konzipierten Vorschriften seien sehr kompliziert und selbst für Fach-leute schwer durchschaubar. Die vorgesehenen Ausnahmen von der Ausschrei-bungspflicht seien darüber hinaus in sich nicht schlüssig. So sei es zwar zu begrü-ßen, dass integrierte Schienen- und Busdienste gegen den Willen einer Stadt als Aufgabenträgerin des ÖPNV nicht unbedingt öffentlich ausgeschrieben werden müs-sen. Es sei jedoch nicht einleuchtend, dass diese Dienste von ein und demselben Unternehmen erbracht werden müssten. Nach Auffassung Ludwigs sollte es insoweit allein auf die enge Integration der angebotenen Verkehrsdienste z.B. in einem Ver-kehrsverbund ankommen. Hier müsse im Gesetzgebungsverfahren nachgebessert werden.
Der Verband hält es nach Aussage des VDV-Präsidenten auch keinesfalls für ak-zeptabel, dass alle Ausgleichszahlungen der öffentlichen Hand per se zur Gemein-wirtschaftlichkeit und damit zur Ausschreibungsnotwendigkeit des Verkehrs führen sollen, wenn sie mehr als zwanzig Prozent der Umsatzerlöse ausmachen. Hierunter fielen auch staatliche Ausgleichs- und Erstattungsleistungen für politisch gewollte Niedrigtarife im Ausbildungs- und Schwerbehindertenverkehr, die allen Unternehmen unter gleichen Bedingungen zustünden. Sie seien keine Subventionen, sondern Er-satz für erbrachte Leistungen und damit originäre Erträge der Unternehmen.
Schließlich sei auch die Übergangsfrist von drei Jahren, nach deren Ablauf die Ver-ordnung voll greifen solle, viel zu kurz bemessen, meint Ludwig. Die vorgesehene Verlängerungsmöglichkeit der Frist auf bis zu 6 Jahre betreffe nur die seltenen Fälle, in denen ein Betreiber aufgrund Vertrages verpflichtet ist, Investitionen in die Schie-neninfrastruktur vorzunehmen und der Abschreibungszeitraum nach drei Jahren noch nicht beendet ist. Die Übergangsfrist müsse nach Auffassung des Verbandes insgesamt mindestens acht Jahre betragen. Nur dann hätten die öffentlichen Nah-verkehrsunternehmen in Deutschland, die gegenüber der privaten Konkurrenz tarif-vertraglich bedingt erheblich höhere Personalkosten zu tragen hätten, die Chance, Wettbewerbsfähigkeit zu erlangen. Die Entwicklung eines einheitlichen Tarifvertrages für den Nahverkehr in Deutschland sei zwar auf den Weg gebracht worden, benötige aber noch mehrere Jahre, bis die gravierenden Unterschiede im Tarifgefüge abge-baut worden seien. Daneben müsse den öffentlichen Unternehmen ein angemesse-ner Zeitraum der Restrukturierung eingeräumt werden. Wettbewerb der Nahver-kehrsunternehmen untereinander setze Waffengleichheit voraus, die erst noch
geschaffen werden müsse.
Der Verordnungsvorschlag der Kommission muss jetzt in Ruhe und ohne Aufge-regtheiten gemeinsam mit der Bundesregierung, den Ländern, den kommunalen Spitzenverbänden und den anderen Beteiligten geprüft und analysiert werden, sagt VDV-Präsident Ludwig. Er fügt hinzu, dass es jetzt darauf ankomme, eine möglichst einheitliche Position der deutschen Seite zu entwickeln und dafür Verbündete in an-deren Mitgliedstaaten zu gewinnen, um im Europäischen Parlament und im Rat zu einer tragfähigen Lösung zu gelangen. Oberstes Ziel müsse es sein, die hohe Qua-lität und Verfügbarkeit des ÖPNV in Deutschland zu sichern und seine gesunde mit-telständische Struktur so weit wie möglich zu erhalten.
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