Pressemitteilung | Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung e.V. (BGL)

Protestaktion / Sternfahrt des deutschen Güterkraftverkehrsgewerbes am 26. September 2000 nach Berlin

(Berlin) - Rede von Hermann Grewer, dem Präsidenten des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) anlässlich der Sternfahrt des deutschen Güterkraftverkehrsgewerbes am 26. September 2000 nach Berlin.

>>es gilt das gesprochene Wort<<<

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Transportunternehmen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich freue mich, Sie so zahlreich zur Sternfahrt des deutschen Verkehrsgewerbes in Berlin begrüßen zu können. Ihre Wut und Empörung, aber auch die Verzweiflung, die Sie heute nach Berlin geführt hat, kenne ich nur zu gut. Noch nie in der Nachkriegsgeschichte war das deutsche Güterkraftverkehrsgewerbe von derartigen Existenznöten geplagt wie heute. Die Bundesregierung hat bisher außer schönen Worten nichts für uns übrig gehabt. Proteste und Verhandlungen in Brüssel, das ist bisher alles gewesen, was greifbar gegen Subventionswettlauf in der EU und Dumping-wettbewerb unternommen wurde. Das ist nichts im Vergleich zu dem, was sich in den EU-Nachbarländern abspielt, um dem dort ansässigen Transportgewerbe eine Überlebensperspektive in Europa zu bieten. Wir werden im Gegensatz dazu von ei-ner Ökosteuer, die in Wahrheit eine Rentensteuer ist, gebeutelt, zahlen hohe Kraftfahrzeugsteuern und sind das am höchsten kontrollierte Transportgewerbe in ganz Europa. Kurz: Bei uns gibt es ein hausgemachtes Gewerbevernichtungsprogramm. Um uns herum päppeln die EU-Staaten ihr Gewerbe mit Geldspritzen in Hochform. Das geht so nicht weiter!

Unsere internationalen Marktanteile schrumpfen jedes Jahr aufs neue, nicht weil wir nicht tüchtig sind, nicht weil unsere Fahrer nicht arbeiten wollen, sondern weil uns gerechte Wettbewerbsbedingungen durch die eigene Regierung verweigert werden. Die sogenannte Liberalisierung des Europäischen Binnenmarktes dauert nunmehr fast 15 Jahre, und fast 15 Jahre werden wir damit vertröstet, man werde dem deutsche Güterkraftverkehrsgewerbe einen harmonisierten Wettbewerb bescheren.

Schrieb diese Bundesregierung, genau wie die Bundesregierungen vor ihr, noch das Thema Harmonisierung in ihre Regierungserklärung, so erfolgten bis heute keine Schritte in diese Richtung. Das Gegenteil ist der Fall! Ankündigungen und Taten der Rot-Grünen Regierung stimmen nicht überein. Keine Harmonisierung im Sozialbereich, keine Harmonisierung bei den Fiskallasten, sondern die Einführung einer Ökosteuer, die dem deutschen Gewerbe bei raketenhaft steigenden Spritpreisen jede Luft zum Überleben nimmt.

Wie ist das möglich, werden Sie sich fragen, dass die Bundesregierung an der Öko-steuer festhält, koste sie was sie wolle und seien es auch 100.000 Arbeitsplätze im Transportgewerbe? Ich kann Ihnen die Motivation nicht erklären, zumal ich aus vielen Gesprächen im politischen Raum weiß, dass unsere Wettbewerbsproblematik sehr wohl bekannt ist. Nicht nur oberflächlich, sondern im Detail. In Gesprächen hinter den Kulissen teilt man auch unsere Besorgnis. Nur, vor laufenden Kameras wird das schöne Ökomärchen erzählt, durch die ökologische Steuerreform und die bisherige Verkehrspolitik würden Güter von der Straße auf die Schiene verlagert, um die Umwelt zu schonen. Tatsächlich ist die Schiene gar nicht umweltfreundlicher und zudem ein Mrd. DM-Massengrab. 103 Mrd. DM sind seit der Bahnreform in das System Schiene geflossen, ohne dass wir eine Stabilisierung oder Trendwende erkennen können. Unsere Verkehrspolitiker scheinen unter dem deutschen Verkehrsgewerbe nur das bundeseigene Unternehmen zu verstehen. 2 Mrd. DM jährlich zusätzlich aus den UMTS-Lizenzen - für uns nur höhere Ökosteuern gegen eine über-mächtige, subventionierte Konkurrenz. Jeder Kenner weiß, so auch der Bundesminister für Verkehr, der immerhin eine Expertenkommission zu diesem Thema um Rat gebeten hat, dass mit der Bahn im Güterverkehr kein Staat zu machen ist. Kurzum, die versprochene Verlagerung ist ein politisches Placebo für unruhige Autofahrer geworden.

Weder qualitativ noch von den Schienenkapazitäten her gibt es überhaupt eine Alternative zum Straßenverkehr. Wenn man also in der Bundesregierung offiziell zur Kenntnis genommen hat, dass der Straßengüterverkehr der Wachstumsmotor bleiben wird, um die europäische Integration des Binnenmarktes, aber auch der mittel- und osteuropäischen Staaten voranzubringen, dann ist es schon fast an Schizophrenie grenzend, dem deutschen Güterkraftverkehrsgewerbe diesen Markt ideologisch vorzuenthalten und auf seine Beschäftigungschancen zu Gunsten von EU-Unternehmen zu verzichten. Andere EU-Regierungen sind im Gegensatz hierzu angesichts steigender Energiepreise bereit, ihr Gewerbe in massivem Umfang zu subventionieren. In Deutschland das krasse Gegenteil: Zum 1. 1. 2001 werden weitere Ökosteuerstufen einfach aufgesattelt. Egal, ob der Wettbewerb das hergibt. Das absolut falsche Signal, nicht nur an unsere Wettbewerber, sondern auch an die Ölmultis. Denn, wenn ein weltfremder Wirtschaftsminister lauthals verkündet, die derzeitigen Energiepreise seien keine Bedrohung für Wachstum und Beschäftigung, und deshalb könnten die nächsten Ökosteuerstufen mit preußischer Pickelhaubenmetalität umgesetzt werden, ist die Antwort postwendend. Die Konzerne haben dankend den Hinweis aufgenommen und die Preise erhöht. Schließlich ist er der Regierung noch nicht hoch genug.

Darüber hinaus ist angekündigt, im nächsten Jahr sog. nichtschwefelarmen Kraftstoff mit noch höheren Fiskalbelastungen zu versehen. Das deutsche Gewerbe bleibt bei diesem Horrorszenario buchstäblich auf der Strecke. Unsere ausländischen Kollegen reiben sich bereits fröhlich die Hände, in die von uns hinterlassenen, von Konkursen erzwungenen Lücken vorstoßen zu können. Es ist gut, Sprit zu entschwefeln, aber wer entschwafelt die Gedanken unserer Politiker?

Wie soll beispielsweise ein deutscher Unternehmer im Wettbewerb überleben, wenn jetzt bereits durch die Subventionspraktiken in Holland die Steuerbelastung 16 Pfg unter dem deutschen Mineralölsteuerniveau liegt? Was passiert, wenn im Januar weitere 6 Pfg. bei uns aufgesattelt werden und im Verlauf des Jahres weitere 4 Pfg. für den nichtschwefelarmen Kraftstoff? Glaubt wirklich jemand ernsthaft, das deutsche Gewerbe könnte durch Fleiß oder irgendwelche Maßnahmen diese Beträge im Wettbewerb überhaupt wettmachen? Pro Tankfüllung sind das 200,-- DM, für die sich ein niederländischer Transportunternehmer dank staatlichen Fürsorgeprogramme nicht zu bücken braucht. Wir hingegen wissen nicht einmal, wie wir die nächste Treibstoffrechnung in diesem europäischen Dumpingwettbewerb überhaupt noch zahlen sollen.

Aber das sind längst nicht alle Wohltaten, denen sich unsere Kollegen aus den EU-Nachbarstaaten erfreuen dürfen. Die niederländischen Kollegen erhalten neben der Subventionierung des Kraftstoffs Zahlungsziel bei der Kfz.-Steuer und ab nächstem Jahr eine weitere Senkung der Verbrauchssteuer auf schwefelarmen Kraftstoff um rund 7,5 Pfg.. Also keine Mehrbelastung, sondern Entlastung. Auch unsere belgischen Kollegen können sich nicht über das beklagen, was ihre Regierung für sie tut. Eine Rückerstattung auf die Eurovignette, andere Steuervergünstigungen in Bezug auf die Fahrzeughaltung, die Stundung der Kraftfahrzeugsteuer im Jahr 2001 für ein ganzes Jahr, die Senkung der Steuern für luftgefederte Fahrzeuge, und Versiche-rungssteuern auf Kfz-Haftpflicht- und Güterschadensversicherungen werden rückwirkend gesenkt. Es gibt Investitionsanreize für kleine und mittlere Unternehmen, damit sie auch wirklich in der Lage sind, sollten jetzt in Deutschland reihenweise Betriebe in die Pleite getrieben werden, in die entstehenden Lücken vorzustoßen.

Auch unsere französischen Kollegen erfreuen sich der besonderen Fürsorge ihrer Regierung. Neben direkten Lohnsubventionen von ca. 6.300,-- DM pro Fahrer und Jahr erhalten sie eine Rückerstattung auf die Mineralölsteuer in Höhe von rd. 10 Pfg.. Und aus Italien hören wir, dass die Mineralölsteuern noch einmal über das bereits bekannte Maß hinaus um rd. 12 Pfg. pro Liter gesenkt werden. Daneben erhalten unsere italienischen Kollegen einen Teil der Autobahngebühren zurück. Sie dürfen auf eine Teilrückerstattung der Versicherungssteuern bauen und ein italienischer Fahrer kann rd. 150,-- DM steuerfrei am Tag verdienen.

Was ich Ihnen beschrieben habe, sind europäische Realitäten und nicht das Schlaraffenland, sondern eher die Auswirkungen des Brüsseler Rinderwahns. Man fragt sich wirklich, was hat die französische Ratspräsidentschaft umgetrieben, vergangene Woche einen Sondergipfel zu den Mineralölpreissteigerungen einzuberufen, wenn sie selbst im Vorfeld bereits Nägel mit Köpfen gemacht hatte? Es ist kaum noch an Heuchelei zu überbieten, wenn diese Hilfen in Frankreich zwei Tage vor dem Sondergipfel der europäischen Verkehrsminister auch noch zeitlich auf den Jahresanfang 2000 vorgezogen werden. Und alle anderen Ministerkollegen aus Europa treffen in Luxemburg zusammen, beklagen z.T. heuchlerisch und unredlich die Situation. Eine substanzielle Antwort, wie die Probleme fair und gerecht gelöst werden, bleiben sie zu Gunsten nationaler Programme schuldig. Im Augenblick gilt die europäische Devise wie schon lange nicht mehr: Rette sich wer kann! Wer am meisten subventioniert, wird die meisten Arbeitsplätze erhalten. So wie es jetzt aussieht, werden wir Deutsche genügend Kapazitäten durch Pleiten und Firmenabmeldungen aus dem Verkehr ziehen, damit alle anderen mit auskömmlichen und hochsubventionierten Preisen so weitermachen wie bisher. Auf deutschen Straßen wird es dann noch mehr gebietsfremde Fahrzeuge geben, die mit bescheidenen Wegekostenbeiträgen das deutsche Gewerbe noch weiter an die Wand drücken als bisher.

Dazu zwei Zahlen. Nach unseren Schätzungen sind heute arbeitstäglich 800.000 schwere Nutzfahrzeuge im Bezirks- und Fernverkehr unterwegs. Davon tragen be-reits ca. 120.000 gebietsfremde Nummernschilder. Wenn nichts geschieht, werden deutsche Unternehmen massiv aus dem Wettbewerb gedrängt mit dem Effekt, dass Transporte, die leicht durch Billiganbieter ersetzt werden können, gänzlich für deutsche Anbieter aus Kosten- und Ertragsgründen wegfallen. Dies müssten rd. 100.000 Fahrten sein, die spätestens in zwei Jahren unwiederbringlich an subventionierte Konkurrenz verloren gehen. 100.000 Fahrten sind auch 100.000 Lkw und sie sind auch 100.000 Mal Steuern- und Sozialabgaben in diesem Land. Mit jedem Lkw, der sein Nummernschild auf Dauer abgibt, verliert Herr Eichel 130.000,-- DM durch Steuerausfälle und zusätzliche Sozialleistungen für arbeitslose Fahrer. Welch ein regierungsamtlicher Wahnsinn! Nicht der wettbewerbsfähigste gewinnt im Augenblick, sondern der am höchsten subventionierte und skrupelloseste, und das ist bei unserer derzeitigen Haltung der Bundesregierung nicht der deutsche Anbieter. Marktwirtschaft ist das nicht. Die schlechteste Note gibt es für Verkehrspolitik. Am Ende steht das Arbeits- und Sozialamt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte hier an dieser Stelle unsere Grundüberzeugung darstellen, dass wir als deutsches Verkehrsgewerbe keine Subventionen gefordert haben. Wir fordern seit 15 Jahren faire Wettbewerbsbedingungen und die Angleichung fiskalischer Lasten. Dass nunmehr andere europäische Regierungen einen unseriösen und arbeitsplatzvernichtenden Subventionswettbewerb zu unseren Lasten angezettelt haben, das kann man uns wahrlich nicht anlasten. Wir müssen deshalb von unserer Bundesregierung Taten einfordern, die uns ein Überleben bei explodierenden Dieselpreisen und zunehmendem Dumpingwettbewerb sichern. Dazu haben wir heute früh dem Präsidenten des Deutschen Bundestages, Herrn Thierse, eine Resolution übergeben, damit den Vertreterinnen und Vertretern des Souveräns - nämlich des Volkes, und das sind wir - mit Nachdruck unsere verzweifelte Lage und unsere Forderungen bekannt werden. Um das Überleben deutscher Betriebe im internationalen Wettbewerb kurz- und langfristig zu sichern, bedarf es eines ganzen Maßnahmenbündels, das ich hier nur kurz und stichpunktartig anreißen kann.

1. Wir brauchen als kurzfristig wirkende Maßnahme die Angleichung der uns in Rechnung gestellten Fiskallasten an das „neue Niveau“ maßgeblicher EU-Mitwettbewerber. Wir wissen, das ist Subventionswettlauf! Wer aber Arbeitsplätze im deutschen Gewerbe retten will, der kann sich diesen massiven Wettbewerbsverzerrungen ausländischer Regierungen in Deutschland nicht einfach entziehen. Die Bundesregierung ist in einer Mitverantwortung, wenn sie keinen Einfluss auf Partnerregierungen der EU nehmen kann, die hemmungslos die Subventionshähne geöffnet haben.

2. Wir wissen, dass wir in Deutschland auf eine leistungsfähige Infrastruktur angewiesen sind, die ausgebaut und erhalten werden muss. Dazu wollen wir unseren Beitrag leisten, denn wir waren und sind niemals Kostgänger der Nation gewesen. Schon jetzt zahlen deutsche Lkw rd. 17 Mrd. an Sonderabgaben des Kraftverkehrs. Das ist doppelt soviel, wie der Bund überhaupt für Straßen jährlich ausgibt. Wir brauchen uns deshalb auch keine Vorwürfe zu machen, wir fielen dem Steuerzahler zur Last, denn wir zahlen mehr an Sonderabgaben für unsere Fernstraßen ein, als die Öffentlichen Hände dafür ausgeben. Allerdings, und hier setzt unsere zentrale Forderung ein: Es kann nicht so bleiben, dass nur inländische Fahrzeuge im wesentlichen die Bau- und Unterhaltungslasten tragen. Die heutigen Finanzierungsinstrumente über Steuern und Abgaben müssen auf Gebühren umgestellt werden. Diese sind dann In- und Ausländern im gleichen Maße anzulasten, so dass von vornherein die krankhafte Subventionitis ausländischer Regierungen in der Bundesrepublik Deutschland auf ein Gegenmittel stößt. Nach unseren Vorstellungen müssen alle fiskalischen Ansprüche des Staates an den Straßengüterverkehr - das betrifft auch die Ökosteueranteile in der Mineralölsteuer - in die kilometerabhängige Gebühr verlagert werden. Mineralölsteuern und Kfz-Steuern können dann ohne Einnahmenverluste für den Finanzminister auf EU-Niveau gesenkt werden. Wenn wir das schaffen, ist es eben nicht mehr möglich, dass unsere Wettbewerber im grenzüberschreitenden Verkehr die deutsche Ökosteuer einfach durch Tanken im Ausland legal umgehen. Wenn eine Tankfüllung reicht, mit gebietsfremden Fahrzeugen bis zu 3000 km in Deutschland zu fahren, ohne zu tanken, dann wird es Zeit zum Handeln. Nur wenn wir marktwirksam harmonisieren, wird es fairen Wettbewerb geben. Dann wird aber auch die Stunde der Wahr-heit sein, wenn Leistungsqualität den Markt macht und nicht mehr der „billige“ und hochsubventionierte „Jakob“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir uns nichts vor, wenn wir hochwertige Infrastruktur für den Standort Deutschland und für unsere Leistungserstellung wollen, dann müssen wir sie uns etwas kosten lassen. Aber, das betone ich, alle Wettbewerber müssen ihren fairen und gleich hohen Anteil für die Infrastrukturvorhaltung in Deutschland zahlen.

3. Als weiteren und ebenfalls wichtigen Punkt für die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Gewerbes muss von der Bundesregierung auch ein Maßnahmenpaket zur Unterbindung des Sozialdumpings und illegaler Praktiken auf den Transportmärkten eingefordert werden. Es ist aus unserer Sicht unerträglich, und viele Kollegen empfinden es als eine Unverschämtheit, wenn zunehmend bei Verkehrskontrollen festgestellt wird, dass auf EU-Fahrzeugen Fahrer aus Mittel- und Osteuropa zum Einsatz kommen, die mit Hunger- und Dumpinglöhnen im europäischen Wettbewerb beschäftigt werden. Das ist ein sozialpolitischer Skandal, der aber bisher auf Grund einer völlig diffusen europäischen Rechtsregelung nicht greifbar ist. Nach wie vor gibt es kein Instrument festzustellen, ob Fahrer auf EU-Fahrzeugen mit einem Drittstaatenpass legal oder illegal auf dem Fahrzeug sitzen. Man braucht sich diese bedauernswerten Kollegen nur anzuschauen. Die Not steht in ihren Gesichtern, sie sehen oftmals wochenlang ihre Heimat nicht und für sie ist der Dumping-Job in Westeuropa das einzige, was ihnen nach dem Zusammenbruch des Sozialismus geblieben ist. Die Situation zu Hause ist äußerst schwierig für diese Menschen. Sie darf aber nicht das Alibi dafür sein, unter dem Deckmantel der europäischen Öffnung die sogenannten Segnungen der „Marktwirtschaft-Total“ mit ihrer ärgsten Fratze nach Osten zu exportieren. So, wie der Sozialismus zusammengebrochen ist, könnten derartige Praktiken dem Prozess der europäischen Integration und der Entfaltung der Kräfte der Marktwirtschaft in Mittel- und Osteuropa einen Bärendienst erweisen. Die Akzeptanz der dortigen Bevölkerung zu dem, wie sich Marktwirtschaft präsentiert, wird kleiner. Und jeder, der diese Entwicklung beobachtet, sieht wie nostalgische Strömungen und der Hang zum Nationalismus wieder zunehmen. Es wird Zeit, dass die Politik und vor allen Dingen die EU Regeln finden, Sozialdumping zu unterbinden, um auf diesem Gebiet für fairen Wettbewerb zu sorgen. Dies nützt nicht nur deutschen Fahrern und deutschen Arbeitsplätzen, sondern auch der Stellung von EU-Beitrittskandidaten für eine planbare und vertretbare wirtschaftliche Entwicklung. Von Sozialdumping profitieren nur wenige. Von einem funktionierenden Binnenmarkt haben langfristig alle ihren Vorteil. Deshalb unsere Forderung: Weg mit Sozialdumping, für mehr Wettbewerbs- und Chancengleichheit in der Europäischen Union.

Aber, auch auf diesem Gebiet tut sich die EU mehr als schwer. Wir fordern deshalb von der Bundesregierung nationale Maßnahmen zur Eindämmung illegaler Praktiken, so wie wir sie mit einem interministeriellen Arbeitskreis bereits erörtert haben. Die Umsetzung muss zügig erfolgen und darf nicht durch das parlamentarische Verfahren auf die lange Bank geschoben oder gar zerfleddert werden.

Meine Kolleginnen und Kollegen, dass wir mit steigenden Kraftstoffpreisen im Markt keine hinreichenden Preissteigerungen umsetzen können, hat sicherlich nicht allein etwas mit der Ökosteuer zu tun, sondern, wie ich dargestellt habe, auch mit dem Nichtfunktionieren der Märkte durch Subventionspraktiken und sozialem Dumpingwettbewerb. In verstärktem Maße kommt nunmehr auch noch hinzu, dass illegale Konkurrenz auf den Verkehrsmärkten sich breit macht. Immer mehr selbständig gemachte Fahrer mit dubioser Finanzierung geleaster Fahrzeuge tummeln sich auf den Verkehrsmärkten. Nach Auskunft der Genehmigungsbehörden und dort festgestellter Bußgeldverfahren besitzen diese Unternehmen keine EU-Lizenz oder nationale Erlaubnis und sie haben auch nicht die obligatorische Transportversicherung. Gerade deswegen sind sie willkommenes Objekt der Ausbeutung durch einige Auftraggeber. Sie fahren, bis buchstäblich kein Rad mehr herumgeht und der Konkursrichter den Betrieb schließt. Deshalb unsere dringende Forderung: Illegale Praktiken auf den Transportmärkten durch wirksame Kontrollen und fühlbare Sanktionen, die bei den Auftraggebern den Gewinn aus Dumpingpraktiken rigoros abschöpfen. Nur so haben wir eine Chance, dass ordentlich geführte Transportunternehmen Wettbewerbsbedingungen vorfinden, die sie für eine kostenorientierte Preisbildung brauchen.

An den von mir geschilderten Missständen kann keine Regierung in diesem Land vorbeigehen, ohne konsequent und schnell zu handeln. Die Problematik ist jedoch so komplex, dass sie mit einzelnen Schrittchen und Zaudern nicht behoben werden kann. Deshalb nochmals unsere Forderung:

Kurzfristige Hilfen gegen Subventionitis in Europa
Mittel- und langfristig Dumpingwettbewerb abstellen und
eine saubere Finanzierung der fiskalischen Lasten durch eine gerechte
Straßenbenutzungsgebühr.

Wenn dies alles erreicht ist, braucht man sich um ein leistungsfähiges Gewerbe in Deutschland und Europa keine Sorgen mehr zu machen. Nur eines geht nicht: Das Gewerbe darf jetzt nicht allein gelassen werden. Uns nützen keine langfristig orientierten Schritte der Bundesregierung, die in zwei oder drei Jahren vielleicht Wirkungen im Sinne einer Neuformierung der Märkte zeigen, wenn unsere Betriebe nicht mehr wissen, wie sie über den nächsten Winter kommen sollen. Unser dramatischer Appell an das Parlament, an die Bundesregierung und zuallererst an den Bundeskanzler lautet: Schauen Sie nicht länger zu, wie ein Gewerbe in Deutschland unter die Räder kommt. Handeln Sie jetzt, sofort und zielbewusst, damit sie Ihr Ver-sprechen, mehr Arbeitsplätze in Deutschland, einlösen können. Bis jetzt ist jedenfalls das Handeln der Bundesregierung kontraproduktiv für unseren Bereich. Schließlich ist der Straßengüterverkehr, das sagen alle Prognosen, eine „Job-Maschine“. Diese Chancen nicht wahrzunehmen und das heimische Gewerbe zu knebeln und unfairer Dumpingkonkurrenz auszusetzen, ist unverantwortlich, Herr Bundeskanzler. Ein Weltstaatsmann hat auch Hausaufgaben. Zeigen Sie endlich, dass deutsche Politik kein Küchenkabinett ist und auch den Mut hat, europäische Politik zu gestalten und nicht hilflos zu ertragen.

Meine Damen und Herren, die Politik hat schwere Versäumnisse für das Funktionie-ren der Transportmärkte zu vertreten. Aber, auch das müssen wir dazu sagen, ein Teil der Probleme muss von uns selbst aus eigener Kraft angegangen werden. Ich weiß, dass ich damit keine Popularität ernte, wenn ich heute auf die Preisverantwortung eines jeden einzelnen von Ihnen hinweise. Wir müssen damit aufhören, trotz aller Not, in der wir stehen, das Preisdiktat unserer Auftraggeber weiter hinzunehmen. Das Wort Nein muss für uns eine neue Bedeutung gewinnen. Haben wir Mut, lehnen wir nicht kostendeckende Aufträge ab. Lassen wir uns nicht gegenseitig missbrauchen, in dem wir uns bei sogenannten Ausschreibungen mit dem billigsten Angebot verblüffen lassen. Unsere Auftraggeber wissen selbst am besten, was sie an uns haben. Sie wollen nicht den billigsten Anbieter, sondern den besten zum billigsten Preis. Das ist aus ihrer Sicht verständlich. Aber wir müssen lernen, den Wert unseres Angebots zu erkennen und in gleicher Augenhöhe über notwendige Preisanpassungen zu verhandeln.

Ich weiß, es wird weh tun, im einen oder anderen Fall den „billigen Jakob“ heranzulassen. Ich weiß aber auch, dass dort, wo der „billige Jakob“ fährt, die Qualität nicht stimmt und das Karussell der ausgewechselten Transportunternehmer sich immer schneller dreht. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann auch unsere Qualität wieder gefragt sein wird. Wir dürfen deshalb unsere Substanz nicht im Kampf um den Verlader, sondern für die Qualitätserhaltung einsetzen. Insoweit kann ich und kein Verband der Welt Ihnen die Entscheidung dafür abnehmen, wie viel Kapazität sie bei den derzeitigen schlechten Preisen in den Markt bringen wollen. Deshalb appelliere ich an Sie, Ihr Investitionsverhalten zu überprüfen und nachzudenken, ob es nicht besser ist, auf Neubeschaffungen zu verzichten und die Kapazitäten auf die Nachfrage besser abzustimmen. Nur wenn wir uns rarer machen, wird unser Preis steigen. Wenn wir so weitermachen wie bisher und ein Neuzulassungsrekord den anderen jagt, dann wird sich unsere Situation nicht verändern.

Hier kreuzt sich die unternehmerische Verantwortung mit dem Anspruch an die Politik, für geordnete Marktverhältnisse zu sorgen. Wenn beides sich zielgenau trifft, haben wir die Chance, unsere Preise kostenorientiert zu gestalten. Die Politik muss dafür sorgen, dass Dumpingkonkurrenz und Subventionitis in Europa der Vergangenheit angehören. In diesem Sinne bitte ich Sie, die Gewerbeführung massiv zu unterstützen und jeder für sich im Tagesgeschäft aktiv zu werden. Gemeinsam sind wir stark. So stark, wie dieses Gewerbe sich heute auf diesem traditionsreichen Platz vor dem Brandenburger Tor präsentiert. Machen wir der Öffentlichkeit und unseren Auftraggebern klar, wie unverzichtbar unsere Leistung ist und was geschieht, wenn das deutsche Gewerbe den Gang zum Konkursrichter erst einmal angetreten hat. Ich behaupte hier und heute, alles, was nach uns kommt, dürfte der Regierung erhebliches Kopfzerbrechen in Bezug auf Standortqualität, Zuverlässigkeit, Sicherheit und Ressourcenschonung bringen. Deshalb wollen wir uns auch nicht als Gegner unserer Auftraggeber oder gar der Regierung verstehen, sondern als Partner. Wir verlangen allerdings, dass man uns auch als Partner wahrnimmt und auf unsere Bedrohungen und Nöte in angemessener Form eingeht. Dafür müssen wir einander die Hand reichen und gemeinsam an die schwierigen Probleme der Zukunft herangehen. Wenn wir uns hier und heute auseinanderdividieren, einmal gewerbeintern, aber auch was unsere Dialogfähigkeit zur Öffentlichkeit und zur Regierung betrifft, dann werden wir nicht gewinnen können. Es gibt dann keine Sieger mehr, sondern nur noch Besiegte. Um dies deutlich zu machen, stehen wir hier und protestieren gegen die bisherige Tatenlosigkeit und auch Apathie, die man dem Gewerbe entgegenbringt. Es ist 5 nach 12 und nicht mehr 5 vor 12. Wer jetzt nicht handelt, nimmt bewusst die massenhafte Vernichtung eines ganzen Berufszweigs und von 100.000 Arbeitsplätzen in Kauf.

Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch ein Wort zum Ablauf dieser Veranstaltung hinzufügen. Das deutsche Güterkraftverkehrsgewerbe versteht sich als Dienstleister der Bevölkerung und der Wirtschaft. Vergessen wir dies nicht, wenn wir den Abschluss der heutigen Protestveranstaltung beginnen. Wir wollen nicht den Bürger mit unserer Aktion über Gebühr strapazieren, aber wir müssen ihn an die Gefährlichkeit der derzeitigen Situation auch für ihn als Verbraucher erinnern. Dies geht nur durch sichtbare Maßnahmen. Und auch wenn wir uns heute nicht ganz klein gemacht haben, so haben wir dennoch keine Straßen blockiert, um Bürger zu traktieren. Das wird auch in Zukunft so bleiben. Bei der Heimfahrt sollten wir uns aber an unseren Feldversuch erinnern, den wir ja für heute eingeplant haben. Lassen wir es einmal langsamer angehen, und sparen wir Energie. Vielleicht erkennt dann der eine oder andere von sich aus, und es wird ihm wie Schuppen von den Augen fallen, ohne den Lkw läuft nichts. Diese Einsicht wollen wir nicht schulmeisterlich und mit der Größe unserer Fahrzeuge erzwingen. Aber, wir wollen ein sichtbares Zeichen für alle setzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung dieses bundesweiten Aktionstages, die in dieser schwierigen Zeit eine zusätzliche Anspannung in Ihren Betrieben und in der finanziellen Situation bedeutet. Wenn wir Zukunft gestalten wollen, dann müssen wir uns erheben. Jetzt, und nicht erst dann, wenn unsere Betriebe den Marsch zum Konkursrichter angetreten haben.

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung e.V. (BGL) Breitenbachstr. 1, 60487 Frankfurt Telefon: 069/79190 Telefax: 069/7919227

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