Pressemitteilung | Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband e.V. im VBE (BLLV)

Referendare kritisieren universitäre Lehrerbildung / Referendare und Seminarleiter fordern mehr alltagstaugliche Anwendungsbezüge / LMU-Dozent Dr. Sigel und BLLV-Präsident Wenzel stellen Studie vor

(München) - Referendare aus allen vier allgemeinbildenden Schularten sehen sich nach vier Jahren Studium an der Universität zu wenig praxisnah für ihre Unterrichts- und Erziehungsarbeit vorbereitet. Das ist das Ergebnis einer Studie des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV) in Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und dem Lehrerbildungszentrum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, die im Sommer 2008 durchgeführt wurde. Die 557 Befragten kritisieren den fehlenden Berufsfeldbezug und den geringen Stellenwert von Fachdidaktik, Pädagogik und Schulpsychologie an den Hochschulen. Sie bemängeln insbesondere die Vorbereitung auf die tatsächlichen Anforderungen des Lehrerberufs. Die Studie stellten heute (19. Januar 2009) Initiator Dr. Richard Sigel, Dozent an der LMU-München, und BLLV-Präsident Klaus Wenzel in München vor. "Die Konsequenzen, die aus der Studie gezogen werden müssen, sind ein klarer Auftrag an die Politik", erklärte Wenzel. "Die universitäre Lehrerbildung muss sich künftig deutlich mehr an den realen Bedürfnissen des Schulalltags orientieren. Die Lösung des Problems liegt in einem von Anfang an berufsfeldorientierten Ausbildungskonzept, bei dem für alle Lehrämter die gleichen Standards gelten müssen", betonten Sigel und Wenzel.

"Der Satz eines Referendars - allein die Theorie hilft mir in meiner alltäglichen Unterrichtsarbeit viel zu wenig - fasst die Not der jungen Lehrerinnen und Lehrer zusammen, die bereits zu Beginn ihrer Vorbereitungszeit eigenverantwortlichen Unterricht halten müssen", erklärte Sigel. "Sie sehen sich in ihrer großen Mehrheit zu wenig alltagsnah von der Universität vorbereitet, um den komplexen Anforderungen an Unterricht und Erziehung gerecht werden zu können."

In der Umfrage sollten 557 Referendare und 52 Seminarleiter nach den Standards für die Lehrerbildung der Kultusministerkonferenz die Arbeit der bayerischen Lehrerbildung an den Universitäten bewerten. Die Ergebnisse sind ernüchternd: So fühlen sich zwei Drittel der befragten Referendare entweder "gar nicht" oder "eher nicht" professionell im Kompetenzbereich Unterrichten vorbereitet. Ähnlich sieht es in den Kompetenzbereichen Erziehen und Innovieren aus. Rund zwei Drittel der Befragten sind in diesen Bereichen unzufrieden mit der universitären Lehrerbildung. Nur der Kompetenzbereich Beurteilen fällt etwas weniger problematisch aus. Hier sind "nur" drei Fünftel der Befragten unzufrieden. Bestätigt wird die Bewertung der Referendare durch eine ähnliche Benotung durch die Seminarleiter. Auffallend ist, dass sie die schlechteste Bewertung im Kompetenzbereich Innovieren abgeben. Sigel fasste die Kritik der Referendare zusammen: " Im Grunde verlangen die Referendare vom universitären Lernen nur das, was wir an der Universität an Lerntheorie vermitteln, nämlich aktives, reflexives, handlungsorientiertes und an den realen Lebensproblemen orientiertes Lernen. Aber an der Universität schaffen wir es nicht ausreichend, die eigene Lerntheorie praktisch umzusetzen."

Für Wenzel, der selbst über 20 Jahre lang als Seminarleiter tätig war, ist die Kritik der Referendare nachvollziehbar: "Die Studierenden brauchen schnell Unterstützung und Reformen, so dass sie in konkreten Berufsfeldbezügen das theoretisch Gelernte erproben und damit erst wirklich verinnerlichen können." Die Aufteilung in eine vorwiegend theoretische Erstausbildung von sieben bis neun Semestern an der Universität und in eine praktische Phase von zwei Jahren Vorbereitungsdienst wird den Anforderungen des sehr komplexen schulischen Berufsfelds nicht mehr gerecht." Dies hat aus Sicht des BLLV mehrere Ursachen: Zwar ist jeder fünfte bayerische Student Lehramtsstudierender, in der finanziellen Ausgestaltung, insbesondere in den lehramtsspezifischen Disziplinen, spiegelt sich das allerdings in keiner Weise wider. Hochschulen haben an diesen Disziplinen häufig wenig Interesse, weil sie sich weder für Exzellenzinitiativen noch für die Einwerbung von Drittmitteln eignen. Für eine kompetenzorientierte Lehrerbildung in den Bildungswissenschaften braucht es aber deutlich mehr Dozenten als in der theoriebasierten Lehre. Hier ist eine Stellenmehrung dringend nötig.

Hinzu kommt, dass das Ansehen der Lehramtsstudiengänge viel zu gering ist, weil es breiter gefächert ist und keine Spezialisierung erfolgen kann. Die berufsfeldorientierte Lehre darf nicht länger als Makel für das wissenschaftliche Renommee angesehen, sondern muss endlich selbstverständlich werden. Auch das Kultusministerium muss innerhalb der Prüfungsordnung den Bildungswissenschaften den Raum zuweisen, der für den ausreichenden Kompetenzerwerb notwenig ist. Ein weiteres Problem ist, dass die Praktika, die Studierende bereits ableisten, in keiner Beziehung zueinander und zum übrigen Studium stehen. Den Studierenden fehlt die Rückmeldung über ihre Entwicklung zum Lehrer durch eine kontinuierliche Betreuung. Diagnose und Förderung der Kompetenzentwicklung finden nicht statt. "Beides würde angehenden Lehrerinnen und Lehrern helfen, ihrer Verantwortung beim Berufseinstieg gerechter zu werden", so Wenzel. Künftig müssen alle Lehramtsstudiengänge dieselben Standards erfüllen, denen ein berufsfeldorientiertes Ausbildungskonzept zugrunde liegen muss. Der Abschluss des universitären Lehramtsstudiums muss aufgrund der hohen beruflichen Anforderungen der Master sein. Eine Teilintegration des Referendariates in die Masterphase kann ein wesentlicher Beitrag für die Förderung der Kompetenzentwicklung im Studium sein. Dies kann nur gelingen, wenn Hochschuldozenten, Seminarleiter und Betreuungslehrer kooperieren. Sie können dann den Studierenden eine aussagekräftige Rückmeldung geben, mit der diese sich solide auf den Beruf vorbereitet fühlen.

"Die Universitäten befinden sich wegen des Bologna-Prozesses mitten in der Umstellung. Die Konzeption einer lehramtsspezifischen Masterphase, die dem Lehrerberuf im 21. Jahrhundert gerecht wird, ist jetzt die Aufgabe der Politik", forderten Sigel und Wenzel.

Quelle und Kontaktadresse:
Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband e.V. im VBE (BLLV) Andrea Schwarz, Pressereferentin Bavariaring 37, 80336 München Telefon: (089) 72100129, Telefax: (089) 72100155

NEWS TEILEN: