Pressemitteilung | Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. (BDA)

Reform der Unfallversicherung: Statt überfälliger Beitragsentlastung droht kräftiger Kostenschub / Statement von Dr. Dieter Hundt

(Berlin) - Eine Generalüberholung der gesetzlichen Unfallversicherung ist lange überfällig! Seit ihrer Einführung unter Bismarck besteht die Unfallversicherung in ihren wesentlichen Grundzügen unverändert. Und wenn gesetzliche Änderungen vorgenommen wurden, bezogen sich diese regelmäßig nur auf Leistungsausweitungen.

Strukturreformen sind in der Unfallversicherung dagegen weitgehend unterblieben. Dabei lässt sich langfristig durchaus eine Beitragsentlastung von 25 Prozent erreichen, und zwar ohne eine angemessene soziale Absicherung der Versicherten in Frage zu stellen.

Die Zahl der Arbeitsunfälle sinkt seit Jahrzehnten. Seit 1991 ist sie um die Hälfte zurückgegangen. Im Gegensatz jedoch zu den großen Fortschritten bei der Verhütung von Arbeitsunfällen ist die Beitragsbelastung der Arbeitgeber im gleichen Zeitraum durchschnittlich nur um knapp 6 Prozent auf zuletzt 1,31 Prozent der Lohnsumme gesunken. Zudem täuscht dieser Mittelwert. Tatsächlich ist die Beitragsbelastung in einigen Wirtschaftsbereichen sogar gestiegen. Außerdem weichen die Beitragssätze von Branche zu Branche ganz erheblich vom Mittelwert ab. Die Spannbreite der Beitragssätze reicht von 0,7 Prozent bei der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft bis auf 7,7 Prozent im Bergbau. In manchen Bereichen der Wirtschaft – wie beispielsweise im Dachdeckerhandwerk – liegt der Beitragsanteil mit über 10 Prozent sogar höher als der Arbeitgeberbeitrag in jedem anderen Sozialversicherungszweig. Der Beitrag zur Unfallversicherung hat daher für viele Betriebe einen wesentlichen Einfluss auf die Arbeitskosten.

Schon der Gegensatz von ständig sinkenden Unfallzahlen und dennoch weitgehend stagnierenden Beitragssätzen ist ein Signal für das bestehende und dringend zu realisierende Beitragsentlastungspotenzial.

Wir begrüßen deshalb nachdrücklich, dass CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag jetzt endlich eine Reform der Unfallversicherung auf die politische Agenda gesetzt haben.

Reform des Leistungsrechts

Was hierzu nunmehr allerdings das Bundesarbeitsministerium plant, ist mehr als enttäuschend. Die überfälligen Beitragsentlastungen für die Unternehmen sind danach nicht in Sicht. Im Gegenteil: Nach dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf käme es auf Jahrzehnte hinaus zu kräftigen Mehrbelastungen der Arbeitgeber. Noch nicht einmal langfristig ist gewährleistet, dass die Reform zu einer Beitragsentlastung führt. Einer solchen Reform können und werden wir niemals zustimmen.

Dabei ist der Kern der Reform, die Neuordnung des Unfallrentenrechts, systematisch betrachtet, vernünftig. Insbesondere, weil vom bisherigen System der pauschalen und lebenslangen Entschädigung abgegangen werden soll, das in keiner Weise zielgenau ist:

- So werden die Erwerbsminderungsrenten der Unfallversicherung heute unabhängig von einer tatsächlichen Erwerbsminderung geleistet, also vielfach auch dann, wenn gar keine Einkommensminderung vorliegt.

- Außerdem erfolgt der Ausgleich des immateriellen Schadens bislang abhängig vom vorher erzielten Einkommen, was ebenfalls nicht zu begründen ist. Künftig soll stattdessen getrennt werden in einen Ausgleich des konkreten Erwerbsschadens und einen einkommensunabhängigen Ausgleich des immateriellen Schadens, also eine Art Schmerzensgeld.

Vom Grundkonzept her ist diese Neuordnung des Unfallrentenrechts überzeugend. Die positiven Reformansätze werden jedoch durch Leistungsausweitungen und Systembrüche konterkariert. Die bislang schon bestehende Überversorgung wird nicht nur beibehalten, sondern sogar ausgebaut.

Zudem geht der jetzige Entwurf auch noch deutlich über die im letzten Jahr zwischen Bund und Ländern getroffenen Absprachen hinaus und sattelt noch einmal zusätzliche Ausgaben von einer halben Milliarde Euro drauf.

Was jetzt geplant ist, bedeutet teure Leistungsausweitungen:

- Obwohl der Erwerbsschaden bereits mit der Erwerbsminderungsrente ausgeglichen wird, wird er mit einem Aufschlag von bis zu 200 Euro monatlich auch noch einmal bei der Höhe des immateriellen Schadensausgleichs berücksichtigt.

- Zudem wird der immaterielle Schadensausgleich im Alter bis zum Dreifachen erhöht. Es gibt jedoch keinen Grund, weshalb ein Schmerzensgeld im Alter höher ausfallen sollte als vorher. Auch im Zivilrecht gibt es bei der Bemessung des Schmerzensgelds keine Differenzierung nach Altersstufen.

- Obwohl sich die Höhe der Erwerbsminderungsrente ohnehin danach bestimmt, welches Einkommen nach dem Arbeitsunfall auf dem jeweiligen Arbeitsmarkt noch erzielbar ist, erhalten Erwerbsminderungsrentner bei Arbeitslosigkeit zusätzlich einen Aufschlag. Die Unfallversicherung wird damit gleich doppelt mit dem Arbeitsmarktrisiko belastet.

- Außerdem sollen bei der Rentenbemessung Risiken Berücksichtigung finden, die mit der Unfallversicherung nichts zu tun haben. Wenn ein Schwerbehinderter einen Arbeitsunfall erleidet, bekommt er bei anschließender Arbeitslosigkeit eine höhere Rente als ein Nichtbehinderter. Dafür gibt es keinen Grund.

Doch mit diesen Leistungsausweitungen und Konstruktionsmängeln nicht genug: Es fehlen darüber hinaus wesentliche notwendige Maßnahmen zur Beitragsentlastung. Das gilt vor allem für die Forderung der Arbeitgeber, Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit aus der Haftung der Unfallversicherung auszugliedern. Damit könnte die Unfallversicherung langfristig um rund ein Fünftel der Leistungsausgaben entlastet werden. Sinn und Zweck der Unfallversicherung ist die Ablösung der Unternehmerhaftung für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Deshalb kann und darf die Unfallversicherung auch nur dort eintreten, wo ein Unternehmer zivilrechtlich haften könnte. Bei Wegeunfällen, auf die der Arbeitgeber keinen Einfluss hat, ist dies in keinem Fall gegeben.

Organisationsreform

Was die Organisation betrifft, greifen die Vorschläge des Bundesarbeitsministeriums erfreulicherweise weitgehend die Vorschläge der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung auf:

Wie von der Selbstverwaltung beschlossen, soll die Zahl der gewerblichen Berufsgenossenschaften von 26 auf 9 Träger gesenkt werden.

Wir begrüßen auch, dass es künftig eine neue gemeinsame Spitzenorganisation der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der öffentlichen Unfallkassen geben soll. Denn genau dieses Ziel hat sich auch die Selbstverwaltung der Unfallversicherungsträger gesetzt. Voraussichtlich noch in dieser Woche werden die Vertreter der Arbeitgeber und Versicherten aus privater Wirtschaft, Bund, Ländern und Gemeinden daher die Gründung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung als neue gemeinsame Spitzenorganisation beschließen. Ich erwarte dann allerdings auch, dass das Bundesarbeitsministerium und der Gesetzgeber diese Entscheidung akzeptieren und die Pläne zur Zwangsverkörperschaftung aufgeben. Verkörperschaftung heißt mehr staatlicher Einfluss und davon verspreche ich mir nichts Gutes.

Der für uns wesentlichere Teil der Unfallversicherung bleibt jedoch die Reform des Leistungsrechts. Die hierzu vorgelegten Pläne verfehlen klar das Ziel, die Arbeitgeber von Beiträgen zu entlasten. Stattdessen werden die Leistungen ausgeweitet. Dies darf so nicht Gesetz werden.

Andernfalls würde der Prävention ein Bärendienst erwiesen. Seit Jahrzehnten betreiben die Betriebe einen sehr erfolgreichen Arbeits- und Gesundheitsschutz. Wenn der Gesetzgeber diese Erfolge in der betrieblichen Prävention jetzt für Leistungsausweitungen statt für Beitragssenkungen missbraucht, wird die Bereitschaft für betriebliche Prävention in einem erheblichen Maß leiden. Dies kann nicht gewollt sein.

Von einer Reform der Unfallversicherung kann keine Rede sein, wenn die Chance einer baldigen deutlichen Beitragsentlastung vertan wird. Deshalb darf es bei den jetzigen Plänen nicht bleiben.

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. (BDA) Pressestelle Breite Str. 29, 10178 Berlin Telefon: (030) 20330, Telefax: (030) 20331055

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