Scheitern der Föderalismusreform eine "Katastrophe" / Wiederaufnahme der Verhandlungen
(Berlin) - NOZ Interview vom 17.12.04 mit Dr. Gerd Landsberg: Die Kommunen haben das Scheitern der Föderalismusreform als "Katastrophe" kritisiert und eindringlich an Bund und Länder appelliert, "nach einer Bedenkzeit von wenigen Monaten die Verhandlungen wieder aufzunehmen."
In einem Interview mit unserer Zeitung betonte das Geschäftsführende Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, die Kommissionschefs Franz Müntefering und Edmund Stoiber seien jetzt gefordert, die verbleibenden Stolpersteine doch noch aus dem Weg zu räumen.
Landsberg nannte es ein "fatales Signal", dass Bund und Länder nicht bereit seien, Opfer zu bringen und aufeinander zuzugehen, während man den Bürgern Nachteile zumute. Das werde die Politik- und Parteienverdrossenheit weiter steigern. Das Scheitern der Reform bedeute zugleich den Verzicht auf die dringend erforderliche Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland.
Nach einjährigen Gesprächen in der Föderalismuskommission hatten Müntefering und Edmund Stoiber zuvor das Aus für die größte Staatsreform seit Jahrzehnten eingeräumt. Sie gaben dafür jeweils der anderen Seite die Schuld. Das gesamte Reformpaket scheiterte, weil sich Bund und Länder in Fragen der Bildungspolitik nicht einigen konnten.
Das Interview, das das Geschäftsführende Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Gerd Landsberg unserer Zeitung gab, hat folgenden Wortlaut:
Herr Dr. Landsberg, die Reform des Föderalismus ist gescheitert. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht?
Landsberg: Das Scheitern der Föderalismuskommission ist eine dreifache Katas-trophe. Sie sendet das fatale Signal an die Bürger, dass die Ebenen im Staat nicht bereit sind, Opfer zu bringen und aufeinander zuzugehen, um Reformen voranzubringen. Umgekehrt wird aber von den Bürgern immer mehr die Bereitschaft eingefordert, sich Reformen nicht zu verschließen und dafür auch Nachteile in Kauf zu nehmen.
Was sind die Folgen?
Landsberg: Das wird die Politik- und Parteienverdrossenheit weiter steigern. Auch ist es aus Sicht der Kommunen nicht akzeptabel, dass ihnen der Bund auch künftig milliardenschwere Aufgaben übertragen kann, ohne dass dabei die Finanzierung fair nach dem Motto geregelt wird: "Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch". Und nicht zuletzt verzichten Bund und Länder mit dem Scheitern der Föderalismusreform auf die dringend erforderliche Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Von einer schnelleren und effektiveren Gesetzgebung hätte insbesondere auch der Wirtschaft profitiert.
Was muss denn jetzt geschehen?
Landsberg: Die Städte und Gemeinden werden es nicht hinnehmen, dass dies nun auf Jahre das Ende der Reform des Föderalismus sein soll. Wir appellieren deshalb eindringlich an die Verantwortlichen in Bund und Ländern, nach einer Bedenkzeit von wenigen Monaten die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Hier sind insbesondere die Vorsitzenden der Kommission, Stoiber und Müntefering, gefordert, die verbleibenden Stolpersteine doch noch aus dem Wege zur räumen. Die Politik, die sich in Sonntagsreden ständig zur Reformfähigkeit bekennt, darf die Flinte nicht so schnell ins Korn werfen..
Was sagen Sie denn zu dem Hauptstreitpunkt, nämlich der Bildungs- und Hochschulpolitik?
Landsberg: Das betrifft die Kommunen bestenfalls indirekt. Aber wie immer die Lösung auch aussieht: Auf jeden Fall muss sichergestellt werden, dass Schulen und Hochschulen ausreichend finanziert sind. Denn Bildung und Forschung sind die erste Voraussetzung dafür, dass wir im internationalen Wettbewerb auch künftig bestehen können. Und aus Sicht der Bürger, die wir ja als Kommunen vertreten, ist es unerlässlich, dass es gleiche Bildungschancen und damit auch vergleichbare Bildungsgänge in allen Regionen gibt. Wie das sichergestellt wird - über eine bessere Abstimmung zwischen den Bundesländern oder durch entsprechende Kompetenzen des Bundes - ist aus Sicht der Gemeinden zweitrangig, für Bund und Länder aber offenbar kriegsentscheidend.
Was bedauern denn die Kommunen am meisten?
Landsberg:Das ist die geplante und jetzt nicht mehr machbare Änderung des Artikels 84 Grundgesetz. Es gab den Konsens, dass der Bund künftig den Kommunen unmittelbar keine Aufgaben mehr übertragen darf. Dafür sollte es nicht nur ein Anhörungsrecht der Kommunen geben, sondern auch eine verbindliche Kostenregelung vorgelegt werden. In Österreich hat eine entsprechende Regelung dazu geführt, dass sich die Zahl der Gesetze deutlich verringert hat und die Kommunen künftig ohne Neuverschuldung auskommen. Davon haben wir im Zuge der Föderalismusreform auch geträumt. Dieser Traum ist erst einmal zerstört worden.
Aber insgesamt ging es ja sowieso nur um eine eng begrenzte Föderalismusreform?
Landsberg: Das stimmt. Aber es gab doch zahlreiche positive und unbestrittene Ansätze. Dazu zählt die Halbierung der zustimmungspflichtigen Gesetze. Die große Zahl der Vorlagen, bei denen der Bundesrat mitentscheiden kann, hat die Handlungs- und Reformfähigkeit der Politik gelähmt. Sie hat zudem dazu geführt, dass die Gesetzgebung überdurchschnittlich lange dauert und die Verantwortlichkeiten verwischt wurden. Nun bleibt es also offenbar vorerst bei den oft nicht mehr nachvollziehbaren Nacht- und Nebelentscheidungen des Vermittlungsausschusses. Auch der wichtige Ansatz, die Zahl der Gesetze insgesamt zu reduzieren und gleichzeitig deren Vollzugsfähigkeit und Kosten zuverlässig im Voraus zu prüfen, ist erst einmal vertan.
Quelle und Kontaktadresse:
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