Schüler konsequent individuell fördern / Bildungsgewerkschaft zur Vorstellung der Ergebnisse der PISA E-Studie: wenig Neues und abenteuerliche Vergleiche
(Frankfurt am Main/Berlin) Schülerinnen und Schüler müssen endlich konsequent individuell gefördert werden. Ein qualitativ gutes Bildungssystem zeichnet sich sowohl durch hohe Leistungsfähigkeit als auch durch Chancengleichheit aus. Die PISA-Ergebnisse stellen dem deutschen Bildungsföderalismus ein schlechtes Zeugnis aus, erklärten Ulrich Thöne, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), und PISA-Expertin Marianne Demmer mit Blick auf die heute in Berlin vorgestellten Ergebnisse der PISA E-Studie. Die Untersuchung mache deutlich, dass sich die Abhängigkeit des Schulerfolges der Kinder und Jugendlichen vom Geldbeutel der Eltern in den vergangenen Jahren weiter verstärkt hat. Obwohl spätestens seit PISA 2000 bekannt sei, dass Deutschland hier einen unrühmlichen Spitzenplatz einnehme. Die Kultusminister haben aber lieber ihren Steckenpferden gefrönt, statt Maßnahmen für mehr Chancengleichheit ins Zentrum ihres Handelns zu stellen, sagten die GEW-Sprecher.
Die Tabuisierung der Schulstrukturfrage durch die Kultusminister habe offenbar auch in der Arbeit der PISA-Wissenschaftler ihre Spuren hinterlassen. Statt Chancengleichheit und die frühe Auslese der Kinder öffentlich zu diskutieren, empfehlen die PISA-Autoren nebulös ein Sortieren in die richtige Schulart wohl wissend, dass sich dies schon lange als Holzweg erwiesen hat, betonten Thöne und Demmer.
Scharf kritisierten die Gewerkschafter den bundesweiten Vergleich der Daten für alle Schulformen. Da werden Äpfel mit Birnen verglichen. Mit Ausnahme der Gymnasien gibt es so große strukturelle Unterscheide, dass ein seriöser Schulformvergleich nicht möglich ist, betonten die GEW-Sprecher. In manchen Bundesländern wie Sachsen gebe es keine Haupt- und Realschulen mehr. In anderen faktisch keine Gesamtschulen. Dies gelte etwa für Bayern und Baden-Württemberg. Zudem sei die Verteilung der Schüleranteile auf die Schulformen sehr unterschiedlich: So besuchten in Hamburg nur zehn Prozent der 15-Jährigen eine Hauptschule, in Bayern dagegen weit über 30 Prozent. Die Daten denunzieren lediglich die Schüler. Niedrige Mittelwerte sagen nichts über die pädagogischen Anstrengungen der einzelnen Schule und die Leistung einzelner Schüler aus, sondern nur über den Anteil schwächerer Schüler in einer Schulform, sagten Thöne und Demmer.
Gleichzeitig kritisierten sie, dass die sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen für schulisches Lernen in der Studie nicht ausreichend berücksichtigt und zudem widersprüchlich dargestellt seien. Eine kürzlich von dem Essener Bildungsforscher Klaus Klemm vorgestellte Studie hatte gezeigt, dass niedrige Arbeitslosenquoten, die vergleichsweise besten Wirtschaftsdaten sowie ein hoher Bildungsstand und überdurchschnittliche Familieneinkommen etwa in Bayern und Baden-Württemberg gute Leistungen der Schüler begünstigten. Die PISA-Studie bestätigt diese Zusammenhänge, um sie aber im nächsten Absatz zu dementieren, sagten Thöne und Demmer.
Die Kultusminister sollten sich insbesondere auf gezielte Förderprogramme für Kinder aus einkommensschwachen Haushalten und Migrantenfamilien verständigen. Zudem muss ein Programm zur Förderung der Lesekompetenz aufgelegt werden. Dazu müssen Lehrkräfte und Sozialpädagogen ein- sowie Finanzmittel bereit gestellt werden. Individuelle Förderung ist nicht zum Nulltarif zu haben. Die Gewerkschafter mahnten zusätzliche Aus- und Fortbildungsprogramme für die Lehrkräfte an. Die Kultusminister seien gut beraten, die Lehrkräfte bei der Entwicklung der Programme und Maßnahmen auf Augenhöhe einzubeziehen.
Der Ausbau der Ganztagsangebote und der frühkindlichen Bildung muss zügig voran getrieben werden. Gleichzeitig sollte sich Deutschland jetzt so schnell wie möglich auf den Weg zu einem integrativen Schulsystem nach dem Vorbild der skandinavischen Länder machen, unterstrichen die GEW-Experten. Jedes Kind soll seine Talente bestmöglich entwickeln können!
Quelle und Kontaktadresse:
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)
Ulf Roedde, Pressesprecher
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(mm)
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