Pressemitteilung | Deutscher Städtetag - Hauptgeschäftsstelle Berlin

Städte kündigen bundesweite Protestwelle und Demonstration an / Präsidentin Roth warnt vor Scheitern der Gemeindefinanzreform

(Berlin) - Die Städte wollen mit einer bundesweiten Protestwelle und einer kommunalen Demonstration in der Bundeshauptstadt reagieren, falls das Bundeskabinett in der kommenden Woche die bisher bekannten Pläne zur Gewerbesteuer und zur Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe beschließt und sich anschließend abzeichnet, dass der Bundestag diesen Plänen folgt. In einer Sondersitzung forderte das Präsidium des Deutschen Städtetages heute in Berlin die Bundesregierung eindringlich auf, die Gemeindefinanzreform nicht scheitern zu lassen und, wie ursprünglich versprochen, wirksame Hilfe gegen die schwere Finanzkrise der Städte zu leisten.

„Faule Kompromisse bei der Gewerbesteuer und eine völlig unzureichende Entlastung von Sozialausgaben führen die Städte nicht aus der Finanznot. Die bisher vorliegenden Pläne stellen keine grundlegende Gemeindefinanzreform dar, sondern sind Stückwerk. Die in der Agenda 2010 gegebenen Zusagen werden nicht eingehalten“, sagte die Präsidentin des Deutschen Städtetages, die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, nach der Sondersitzung zu den Plänen der Regierung. Sie erinnerte daran, dass die Kommission zur Gemeindefinanzreform Anfang Juli mehrheitlich gute Empfehlungen vorgelegt habe, die jetzt nicht einfach mit einem Federstrich beiseite gewischt werden dürften.

„Wenn das Kabinett seine Pläne tatsächlich verabschiedet und sich in den folgenden Verhandlungen im Bundestag daran nichts verändert, wäre die Gemeindefinanzreform gescheitert. Dann müssten die Städte bei ihren Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger neue, sehr schmerzhafte Einschnitte vornehmen. Wir wollen deshalb mit aller uns zur Verfügung stehenden Macht verhindern, dass die Menschen in unseren Städten hart getroffen werden. Dazu sind offensichtlich auch deutliche Zeichen des Protests erforderlich“, so Frau Roth.

„Die Pläne der Regierung sind eine Mogelpackung“, sagte sie. Die so genannte Reform der städtischen Gewerbesteuer solle zu drei Vierteln aus der staatlichen Umsatzsteuer finanziert werden. Angesichts der schwersten Finanzkrise der Städte seit Bestehen der Bundesrepublik könne die in Aussicht gestellte Entlastung der Kommunen nicht mehr bewirken als ein Tropfen auf dem heißen Stein: „Weil wir mit einem Teil der Finanzmittel die Kinderbetreuung ausbauen sollen, bleiben uns lediglich 3 bis 3,5 Milliarden Euro. Durch das Vorziehen der Steuerreform wird dieser Effekt im Jahr 2004 sogar völlig aufgefressen.“

Präsidentin Petra Roth setzte dem entgegen, wesentliche Ziele einer grundlegenden Gemeindefinanzreform bestünden darin, das Defizit der Kommunen zu beseitigen und ihre Investitionskraft zu stärken: „Ob man unser Haushaltsdefizit oder den Verfall der Investitionen betrachtet, ob man die Kassenkredite oder den gesunkenen Anteil der Kommunen an den Steuereinnahmen sieht – jedes Mal ergibt sich eine Größenordnung von etwa 10 Milliarden Euro. Deshalb hält der Deutsche Städtetag diese Zielgröße für eine vernünftige Verhandlungsbasis.“

Details zur Begründung der Zielgröße:

- Die Städte sparen seit Jahren hart. Dennoch wird das kommunale Haushaltsdefizit 2003 auf 10 Milliarden Euro steigen. Das heißt: Obwohl die Ausgaben etwa in der Höhe von 1994 liegen, übersteigen sie die Einnahmen um 10 Milliarden Euro.
- Die Kassenkredite der Kommunen dürfen eigentlich nur kurzfristige Liquiditätsengpässe überbrücken. Dennoch liegen sie bei 11,7 Milliarden Euro und sind damit mehr als zehn mal so hoch wie 1992.
- Die kommunalen Investitionen sind seit 1992 um 10 Milliarden Euro pro Jahr zurückgegangen – zum Schaden auch der Wirtschaft.
- Der Anteil der Kommunen an den gesamten Steuereinnahmen ist von 14,0 Prozent im Jahr 1980 auf inzwischen 11,5 Prozent gesunken. Damit gehen den Kommunen gegenüber dem Anteil von 1980 heute jährlich über 11 Milliarden Euro an Steuern verloren.

Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe

Zu den Entlastungen durch die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sagte der stellvertretende Präsident des Deutschen Städtetages, der Münchener Oberbürgermeister Christian Ude: „Wir sind Realisten genug, um zu wissen, dass die Entlastung nicht ausschließlich den Kommunen zugute kommt. Aber mehrere Milliarden Euro müssen allein aus diesem Teil der Reform, wie versprochen, bei den Kommunen verbleiben. Es darf nicht so sein, dass man uns mit der einen Hand großzügig Entlastung verschafft und uns dies mit der anderen Hand wegnimmt.“

Ude kritisierte, dass der Bund diesen Teil der Reform vollständig von Ländern und Kommunen finanzieren lassen wolle, für sich selbst aber Entlastungen anstrebe. Nach den bisher bekannten Plänen fordere der Bund von den Ländern über die Umsatzsteuer den überhöhten Betrag von 10 Milliarden Euro, obwohl er selbst je nach Ausgestaltung maximale Mehrkosten von 7 Milliarden Euro habe.

Gleichzeitig warnte der stellvertretende Städtetagspräsident vor den Gefahren, die eine im Gesetzentwurf zu Hartz IV vorgesehene Verordnungsermächtigung zur Definition des Erwerbsfähigkeits- und Hilfebedürftigkeitsbegriffs mit sich bringe. „Der Bund hat damit die Möglichkeit, einen neuen Verschiebebahnhof zwischen Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe zu eröffnen. Wir lehnen diese Regelung zu Lasten der Kommunen scharf ab. Denn es darf nicht sein, dass sogenannte arbeitsmarktferne Arbeitslose doch wieder in der Sozialhilfe landen.“

Reform der Gewerbesteuer

Die Gewerbesteuerpläne der Regierung beurteilten die Städte sehr kritisch. Der stellvertretende Städtetagspräsident Christian Ude sagte hierzu: „Die Gewerbesteuer würde durch die Pläne nicht wie versprochen gestärkt, sondern geschwächt, sie würde geradezu demontiert.“ Es fehle nicht nur die von allen drei kommunalen Spitzenverbänden geforderte Erweiterung der Bemessungsgrundlage, um Steuerschlupflöcher für Großunternehmen zu schließen.

Die Gewerbesteuer werde außerdem zu einer reinen Gewinnsteuer umfunktioniert, indem die heute bestehenden ertragsunabhängigen Elemente wie die Hälfte der Dauerschuldzinsen gestrichen werden. „Die Gewerbesteuer würde damit der Einkommen- und Körperschaftssteuer so stark angenähert, dass sie wahrscheinlich verfassungsrechtlich nicht mehr haltbar wäre. Damit würde der Gewerbesteuer – trotz aller anderen Schalmeienklänge - im Grunde das Totenglöcklein geläutet.“

Zur Einbeziehung der freien Berufe in die Gewerbesteuer verwies Ude darauf, dass sie wegen der Verrechnung mit der Einkommensteuer für die Betroffenen weitgehend belastungsneutral sei. Die Einbeziehung der Selbständigen sei richtig, weil sie mehr Steuergerechtigkeit schaffe. Es sei unlogisch und nicht mehr zeitgemäß, dass mit den Gewerbetreibenden nur eine Gruppe von Unternehmern Gewerbesteuer zahlen müsse, die gesamte Gruppe der Freiberufler aber außen vor bleibe: „Selbständige Rechtsanwälte, Steuerberater oder Ärzte nutzen die von den Städten finanzierte kommunale Infrastruktur genauso wie Handwerker oder mittelständische Betriebe. Es geht einfach gerechter zu, wenn nicht nur der Zahntechniker Gewerbesteuer zahlt, sondern auch der Zahnarzt.“ Allerdings, so Ude weiter, werde dieser Fortschritt durch andere Maßnahmen bei der Gewerbesteuer stark beeinträchtigt.

Als völlig unverständlich bezeichnete es Ude, dass die Regierung bei der Reform jetzt zu Gunsten der Wirtschaft und zu Lasten der Kommunen Partei ergriffen habe. „Die Wirtschaft ist von der Bundesregierung bisher in beispiellosem Umfang entlastet worden.“ Die Unternehmen hätten 2001 und 2002 zusammen etwa 44 Milliarden Euro weniger an Gewerbesteuer, Körperschaftssteuer und Kapitalertragssteuer gezahlt als im Jahr 2000: „Polemik der Wirtschaft gegen angebliche massive Belastungen durch unser Modell der Modernisierung der Gewerbesteuer ist deshalb völlig unangebracht.“ Jetzt seien endlich die Städte mit Entlastungen an der Reihe, damit sie ihren Bürgerinnen und Bürgern gute Leistungen bieten und die örtliche Wirtschaft mit ihren Aufträgen ankurbeln können.

Der stellvertretende Städtetagspräsident rief die Koalitionsfraktionen auf, ihre kommunalfreundlichen Eckpunkte zur Gemeindefinanzreform vom 4. Juli durchzusetzen und so die Pläne der Bundesregierung zu korrigieren: „Die Koalitionsfraktionen haben es in der Hand, kommunalpolitische Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Die Abgeordneten können jetzt zeigen, dass sie die Städte nicht im Stich lassen. In den nächsten Tagen muss sich erweisen, ob in der Gesetzgebung nicht nur die Wirtschaftslobby, sondern auch die Parlamentsmehrheit eine Rolle spielt.“

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Städtetag Straße des 17. Juni 112, 10623 Berlin Telefon: 030/377110, Telefax: 030/37711999

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