Pressemitteilung | DIHK - Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V.

Vorläufige Bewertung des „SPD-Wahlmanifests Vertrauen in Deutschland“

(Berlin) - Das „SPD-Wahlmanifest“ ist kein Regierungsprogramm. Es ist in erster Linie ein Wahlkampfpapier - mit einer unkritischen Analyse des Status Quo nach sieben Jahren Rot-Grün als Ausgangspunkt. Der DIHK vermisst darin eine fundierte Auseinandersetzung mit den Ursachen der fortdauernden Wachstumsschwäche Deutschlands. Eine klare Perspekti-ve für die reformpolitischen Großbaustellen Arbeitsmarkt, Sozialsysteme und Steuerpolitik fehlt. Die SPD bekennt sich zwar im Grundsatz zur Agenda 2010. Sie nimmt jedoch zentrale Weichenstellungen ihrer bisherigen Reformpolitik wieder zurück: So würde zum Beispiel die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne die verschärften Zumutbarkeitskriterien für die Auf-nahme neuer Beschäftigung aufweichen. Zudem nennt die SPD fast durchgängig keine kon-kreten Vorschläge zur Finanzierung ihrer Wahlversprechen. Da die Partei das Ziel einer Konsolidierung der öffentlichen Haushalte de facto aufgibt, ist eine weitere Zunahme der öffentlichen Verschuldung zu befürchten. Die Bewertung zentraler wirtschaftspolitischer Aus-sagen des SPD-Wahlmanifests im Einzelnen:

Arbeitsmarkt: Die Vorstellungen der SPD zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit widerspre-chen in weiten Teilen den „Wirtschaftspolitischen Positionen 2005 der IHK-Organisation“: Längeren Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich erteilt die SPD ebenso eine Absage wie der rechtlichen Absicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit. Gleichzeitig stellt die SPD die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne in Aussicht, sofern sich die Tarifvertragsparteien im Rahmen eines ebenfalls auszuweitenden Arbeitnehmerentsendegesetzes nicht auf tarifliche Mindestlöhne in allen Branchen einigen können – ein krasser Widerspruch zum Primat der angeblich von der SPD hochgehaltenen Tarifautonomie! Die IHK-Organisation lehnt Mindest-löhne ab, da diese vor allem die Beschäftigungschancen gering Qualifizierter verschlechtern.

Die Kosten für das Arbeitslosengeld II laufen schon jetzt aus dem Ruder: Auf das Gesamtjahr gerechnet sind Mehrkosten von mehreren Milliarden Euro zu erwarten. Vor diesem Hintergrund eine kostensteigernde Anhebung des ostdeutschen Alg-II-Satzes auf das westdeutsche Niveau in Aussicht zu stellen und diesen Schritt – so wie die SPD es macht – auch noch als Beitrag zum Aufbau Ost zu verkaufen, ist mehr als fragwürdig. Die Entscheidung der SPD, die für den 1. Februar 2006 vorgesehene Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld um zwei Jahre zu verschieben, verursacht ebenfalls zusätzliche Kosten – und ist zudem mit Blick auf eine stärkere Teilhabe Älterer am Arbeitsleben ein falsches Signal.

Reform der Sozialen Sicherung: Nach Auffassung des DIHK sind die SPD-Vorschläge zu Reformen der sozialen Sicherungssysteme ungeeignet, die Lohnzusatzkosten wirksam zu begrenzen. Den demografischen Herausforderungen werden die SPD-Vorschläge nicht ge-recht. Die Umgestaltung von Kranken- und Pflegeversicherung in eine Bürgerversicherung setzt den beschäftigungsfeindlichen Automatismus höherer Beiträgen bei steigenden Ausga-ben nicht außer Kraft. Die Einführung eines reinen Prämienmodells wäre hingegen eine kon-sequente Lösung, um die Gesundheits- und Pflegekosten von den Kosten für den Faktor Arbeit zu trennen.

Steuer- und Finanzpolitik: Die Vorschläge der SPD zur Steuer- und Finanzpolitik wider-sprechen in weiten Teilen den selbst gesetzten Zielen „Subventionsabbau“ und „Haushalts-konsolidierung“: Die SPD will zwar die Mehrwertsteuer nicht erhöhen und richtigerweise an den Vereinbarungen des Jobgipfels zur Senkung der Unternehmenssteuerlasten festhalten. Gleichzeitig strebt sie aber mit der Einführung einer „Reichensteuer“ eine Sonderbelastung der Leistungsträger unserer Gesellschaft an. Anstatt selbst ein investitionsförderndes und international wettbewerbsfähiges Unternehmenssteuersystem zu entwickeln, will die SPD den anderen EU-Ländern Mindeststeuersätze aufzwingen. Nach Ansicht des DIHK muss eine große Steuerreform unmittelbar auf den Weg gebracht werden. Eine einfache und nied-rige Steuer mit einem einheitlichen Steuersatz für alle – die flat tax – muss das große Ziel der gemeinsamen Anstrengungen sein. Eine flat tax ist im übrigen keine „Kopfsteuer“, wie die SPD verunglimpfend und in der Sache falsch behauptet.

Die Einführung einer beschränkten Abzugsfähigkeit von Handwerkerrechnungen widerspricht der DIHK-Forderung nach einer grundlegenden Vereinfachung des Steuerrechts. An diesem Vorschlag wird deutlich, dass das Bekenntnis zum Subventionsabbau wenig glaubwürdig ist. Auch ist zu befürchten, dass eine „konjunkturgerechte Konsolidierung“ à la SPD das selbst gesteckte Ziel solider Staatsfinanzen gefährdet. Zudem ist die Wirksamkeit einer solchen konjunkturabhängigen Finanzpolitik ohnehin zweifelhaft: Das Bruttoinlandsprodukt ist trotz der immensen staatlichen Neuverschuldung der vergangenen Jahre kaum gewachsen. Eine wachstumsfreundliche Sanierung der öffentlichen Haushalte kann nach Auffassung des DIHK nur über ein Zurückführen staatlicher Ausgaben führen.

Berufliche Aus- und Weiterbildung: Die SPD kündigt in ihrem Wahlmanifestes eine Fort-setzung des Ausbildungspakts mit der Wirtschaft an. Der DIHK steht ungeachtet des Wahl-ergebnisses weiterhin zum Pakt. Jugendarbeitslosigkeit ist auch aus Sicht des DIHK ein wichtiges Handlungsfeld. Die Vorschläge der SPD zu einem neuen Programm „Zweite Chance“ sind jedoch für eine Beurteilung noch zu vage. Die SPD plant, die Weiterbildung zur vierten Säule des Bildungssystems auszubauen. Dies lässt befürchten, dass die SPD ein Bundesrahmengesetz für Weiterbildung schaffen will. Damit droht der funktionierende Markt der beruflichen Weiterbildung behindert zu werden. Richtig ist es, eine Ausweitung von Qua-litätschecks durch die Stiftung Warentest zu forcieren. Die Ankündigung der SPD, auf Stu-diengebühren zu verzichten, ist ein falsches Signal: Studiengebühren sind unverzichtbar, um die Finanzierung der Hochschulen auf eine breitere Basis zu stellen und die Eigenverantwor-tung der Studierenden für ein zielstrebiges Studium zu erhöhen. Zudem könnte sich der DIHK – im Gegensatz zur SPD – eine Umwandlung des BAföG in ein Volldarlehen vorstel-len, wenn im Gegenzug Stipendien- und Darlehenssysteme ausgebaut würden.

Forschung und Innovation: Aus Sicht des DIHK müssen alle politischen Vorhaben auf ihre Innovationswirkungen hin überprüft werden. Diesem Anspruch wird das SPD-Papier nicht gerecht. So sagt es nichts dazu, wie die innovationsbremsenden Ressortdifferenzen bei der Grünen Gentechnik aufgebrochen werden sollen. Unklar bleibt auch, wie das Ziel, die Auf-wendungen für Forschung und Entwicklung auf 3 Prozent des BIP zu steigern, erreicht wer-den soll. Die SPD verkennt mit ihrer Festlegung auf einen Wirtschaftsanteil von zwei Dritteln an den FuE-Gesamtaufwendungen, dass die Entscheidung über Investitionen eine freie Ent-scheidung der Unternehmen ist. Grundvoraussetzung für höhere FuE-Aufwendungen der Wirtschaft sind bessere Investitionsbedingungen am Standort Deutschland.

Familienpolitik: Mit dem Elterngeld möchte die SPD den raschen Wiedereinstieg von Eltern ins Berufsleben fördern. Dies entspricht einer Forderung des DIHK. Diese Weichenstellung muss jedoch von gut ausgebauter Kinderbetreuung flankiert werden. Das Wahlprogramm äußert sich auch nicht zur Finanzierung des Elterngeldes. Nach Auffassung des DIHK sollte eine Finanzierung durch Umschichtung innerhalb der familienpolitischen Ausgaben erfolgen. Deshalb sollte die Lohnersatzrate eher niedriger ausfallen als von der SPD bislang vorgese-hen.

Verkehrspolitik: Die SPD sieht zusätzliche Mittel in Höhe von 2 Mrd. Euro für die Verkehrs-infrastruktur in den nächsten vier Jahren vor. Der DIHK befürwortet im Grundsatz zusätzliche Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur. Neue Finanzierungskonzepte für die Verkehrsinfra-struktur sind dabei denkbar. Bei Ansätzen wie der Lkw-Maut muss jedoch der Aspekt stei-gender Mobilitätskosten streng beachtet werden. Zudem vermisst der DIHK Aussagen zur Eisenbahnpolitik: Eine Trennung von Netz und Betrieb würde Diskriminierungsfreiheit und eine aktive Vermarktung des Netzes gewährleisten.

Die SPD erkennt endlich, dass die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsver-fahren als zentrale Aufgabe für den Ausbau von Verkehrswegen unverzichtbar ist. Der DIHK setzt sich schon lange dafür ein, dass das in den neuen Ländern exklusiv geltende Sonder-planungsrecht nicht nur erhalten bleibt, sondern auch deutschlandweit Anwendung findet.

Energiepolitik: Die SPD fordert in ihrem Wahlmanifest ein Festhalten am Atomausstieg. Der DIHK spricht sich hingegen für einen marktgesteuerten Energieträgermix aus. Die Nutzung der Option Kernenergie muss offen gehalten werden – der generelle Atomausstieg muss zurückgenommen werden. Dies macht einen bezahlbaren Klimaschutz möglich und trägt zur Energieversorgungssicherheit bei.

Dienstleistungsrichtlinie: Die SPD lehnt die Anwendung des Herkunftslandprinzips in der EU-Dienstleistungsrichtlinie ab. Der DIHK unterstützt hingegen die angestrebte Beseitigung der Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr. Die Dienstleistungsfreiheit wird dabei nicht neu erfunden. Sie ist bereits eine der europäischen Grundfreiheiten des europäischen Vertrages. Die Dienstleistungsrichtlinie soll lediglich sicherstellen, dass Unternehmen tat-sächlich ohne Probleme und rechtliche Hürden und ohne bisher schon unzulässige, aber in der Praxis trotzdem häufig vorkommende Zulassungsbeschränkungen grenzüberschreitend tätig werden können.

Existenzgründer: Zur Entlastung von Existenzgründern und Kleinunternehmern befürwortet der DIHK die von der SPD geplante Einführung von One-Stop-Shops. Der einheitliche An-sprechpartner darf aber keine "Zwangsanlaufstelle" sein. Die IHK-Organisation befürwortet vielmehr den Wettbewerb der One-Stop-Shops verschiedener Institutionen, an dem sich auch IHKs beteiligen können.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK) Breite Str. 29, 10178 Berlin Telefon: 030/203080, Telefax: 030/203081000

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