Weltverbrauchertag 2006: Schulbildung nicht alltagstauglich / vzbv fordert Offensive für Verbraucherbildung in Schulen
(Berlin) - Schulabgänger haben große Defizite in der Konsum- und Wirtschaftskompetenz. Dies zeigt ein Schülertest des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv). Der Verband forderte ein breites Bündnis für Verbraucherbildung in deutschen Schulen. "Bildungslücken in Konsumfragen haben gravierende individuelle, soziale und gesamtwirtschaftliche Folgen", so vzbv-Vorstand Prof. Dr. Edda Müller zum Weltverbrauchertag. Der Satz "Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir" müsse in Deutschlands Schulen endlich wieder gelebt werden. Es dürfe niemand von der Schule entlassen werden, dem nicht das Basiswissen für den Konsumalltag vermittelt wurde.
Der institutionalisierten Verbraucherbildung an deutschen Schulen erteilte der vzbv schlechte Noten. "Sie führt im Schulunterricht ein Schattendasein. Es bleibt dem Engagement der Lehrer überlassen, ob sie ihren Schülern und Schülerinnen das Rüstzeug vermitteln, das sie brauchen, um ihr Leben und ihren Alltag eigenverantwortlich zu bewältigen", so Edda Müller.
Problemfälle Gesamt- und Realschulen?
Eine heut vom vzbv vorgestellter Schülertest an Berliner Schulen bestätigt bedenkliche Bildungslücken in allen Konsumfeldern. So konnten die 570 teilnehmenden Schülerinnen und Schüler im Durchschnitt lediglich die Hälfte der Fragen richtig beantworten. Differenzierter wird das Bild, wenn man verschiedene Schultypen miteinander vergleicht. Dabei fallen die Berufsschulen und Gymnasien durchaus positiv auf - immerhin zwei Drittel der Schülerinnen und Schüler konnten mehr als 10 von insgesamt 17 Fragen richtig beantworten. Anlass zur Sorge bietet hingegen das Verbraucherwissen an Real- und Gesamtschulen: So gab es in den teilnehmenden Realschulen keinen Schüler, der mehr als 13 Fragen richtig beantworten konnte. 22 Prozent der befragten Realschüler und 16 Prozent der Gesamtschüler waren nicht in der Lage, mehr als fünf Fragen der nicht repräsentativen Befragung richtig zu beantworten. Ergebnisse zu Hauptschulen lagen nicht vor.
"Die zum Teil Mut machenden Ergebnisse der Umfrage überstrahlen jedoch nicht die vorhandenen Bildungsdefizite", so Edda Müller. Zum Beispiel wusste lediglich jeder Fünfte, dass bei einer Bestellung im Internet in der Regel ausschließlich die Adresse angegeben werden muss. "Verbraucherwissen fliegt einem nicht einfach zu, sondern muss erst erlernt werden", so Edda Müller. Sie erhofft sich vom diesjährigen Weltverbrauchertag eine Kehrtwende. Denn nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa steht der Tag im Zeichen der Verbraucherbildung. So begeht die österreichische EU-Ratspräsidentschaft den achten Europäischen Verbrauchertag mit einer zentralen Veranstaltung in Wien zum Thema Verbraucherbildung. Die Förderung des Rechts der Verbraucher auf Information und Bildung ist in Artikel 153 EG-Vertrag verankert.
Fiktion vom "Verständigen Verbraucher"
Die Realität beschreibt Edda Müller wie folgt: "Die derzeitige Verbraucher-, aber auch die Wirtschaftspolitik basiert auf einer Fiktion - dem Leitbild des informierten und verständigen Verbrauchers." So sieht es jedenfalls der Europäische Gerichtshof. Nicht zuletzt die vielen Fehlentwicklungen und Fehlentscheidungen der Verbraucher im Konsumalltag seien ein Indiz dafür, dass die Schule nicht das Notwendige leistet, um Kinder und Jugendliche auf das Leben als Konsument vorzubereiten. Als Beispiele nennt die vzbv-Chefin Fehlernährung und Übergewicht, die hohe Zahl falsch abgeschlossener Versicherungsverträge und einen nicht nachhaltigen Lebensstil in einer Geiz- ist Geil-Gesellschaft,: "Allein ernährungsbedingte Krankheiten verursachen jährlich Kosten für das Gesundheitswesen in zweistelliger Milliardenhöhe." Sie wirft den Bildungspolitikern vor, die Verantwortung zur Verbraucherbildung an Nichtregierungsorganisationen abzuwälzen.
"Um eine bewusste und souveräne Entscheidung treffen zu können, muss der Verbraucher nicht nur ausreichend informiert, er muss auch ausreichend gebildet sein", so Edda Müller. Dies gelte umso mehr, je komplexer und unübersichtlicher das Waren- und Dienstleistungsangebot werde und je mehr Eigenverantwortung vom Verbraucher verlangt werde. Ebenso benötigten die Unternehmen Konsumenten, die in der Lage sind, Qualität, seriöses Geschäftsgebaren und eine nachhaltige Produktion zu honorieren. "Bestnoten in einem möglichen Leistungskurs mit dem Schwerpunkt Verbraucherbildung würde auch ein künftiger Arbeitgeber zu würdigen wissen." Daher sei ein breites Bündnis aus Verbraucherpolitik, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung gefordert, eine Kehrtwende einzuleiten. Der Unterricht müsse sich durch eine hohe Alltagsrelevanz auszeichnen, die Schüler müssten in ihrer Erfahrungswelt abgeholt werden. Im Zentrum der Verbraucherbildung müsse der verantwortliche Marktteilnehmer stehen.
Das fordert der vzbv:
- Die grundsätzliche Anerkennung des Rechts der Schüler auf Verbraucherbildung als Teil des Allgemeinwissens und im Umkehrschluss die Pflicht der Schulen zur Verbraucherbildung
- Die Verankerung von Verbraucherbildung in den Lehrplänen aller Schularten - von der Grundschule bis zum Gymnasium, in allen Bundesländern und auf allen Altersstufen
- Die Weiterentwicklung traditioneller Fächer wie Hauswirtschaft/Haushaltslehre und Arbeitslehre zu einem eigenständigen Fach "Ernährungs- Verbraucherbildung"
- Integration von Verbraucherthemen in Lehrpläne, Stundentafeln, Kerncurricula, Lehr- und Lernmaterialien und Schulbücher auch in anderen Fächern: "Wie liest man einen Kauf- oder Versicherungsvertrag?" kann im Deutschunterricht behandelt werden, "Welche Rolle spielt Musik in der Werbung?" im Musikunterricht
- Die Erarbeitung von überprüfbaren Bildungsstandards.
- Stützung der Verbraucherbildung durch die Aus- und Fortbildung kompetenter Fachlehrer
- Die Einrichtung einer Europäischen Verbraucheragentur analog zur Europäischen Umweltagentur zur systematischen Untersuchung zum Stand der Verbraucherbildung in Europa sowie deren Unterstützung
Was leistet der vzbv in Sachen Verbraucherbildung?
Der vzbv engagiert sich seit langem in der Verbraucherbildung. Dies geht von der Entwicklung von Lehrmaterialien bis zur Durchführung von Projekten und Kampagnen oder der Mitarbeit des vzbv in der UN-Dekade "Bildung für nachhaltige Entwicklung". Mit der Internet-Plattform www.verbraucherbildung.de wendet sich der vzbv an Lehrkräfte in Schule und Erwachsenenbildung. Sie stellt modellhaft Unterrichts- und Kurseinheiten zu verschiedenen Konsumthemen zum kostenlosen Download zur Verfügung. Auch der Fragebogen zum Weltverbrauchertag ist dort eingestellt, so dass jeder Interessierte sich und sein Verbraucherwissen selbst testen kann.
Quelle und Kontaktadresse:
vzbv Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.
Carel Mohn, Pressesprecher, Presse- u. Öffentlichkeitsarbeit
Markgrafenstr. 66, 10969 Berlin
Telefon: (030) 258000, Telefax: (030) 25800218