Pressemitteilung | Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Wirtschaftsentwicklung: Weltwirtschaft in der Krise / Konjunkturaufschwung erst ab 2003

(Berlin) - Die weltwirtschaftliche Lage gibt Anlass zu großer Besorgnis. Grund ist eine Entwicklung, die zu Beginn des Jahres 2001 noch nahezu ausgeschlossen schien: Das zuvor kräftige Wachstum ist im Laufe des Jahres fast zum Stillstand gekommen. Die seit dem vergangenen Frühjahr spürbare Konjunkturschwäche hat sich im weiteren Jahresverlauf verstärkt und immer mehr Länder und Regionen in Mitleidenschaft gezogen. Besonders belastend ist, dass sich alle maßgeblichen wirtschaftlichen Regionen fast im Gleichschritt in die Krise bewegt haben; Impulse gehen derzeit von keiner größeren Volkswirtschaft aus.

Von erheblicher Bedeutung für die gegenwärtige Krise war eine Kumulation ungünstiger Einflüsse. Der Ölpreisschock, die restriktive Geldpolitik in den Vorjahren, der Zusammenbruch der Rentabilitätserwartungen im IT-Sektor und die Tierseuchen in Europa erwiesen sich in ihrer Gesamtheit als ein Gift, das die Fortsetzung des kräftigen Aufschwungs aus dem Jahre 2000 verhindert hat.

Das unerwartet hohe Tempo, mit dem sich die Konjunkturschwäche ausgebreitet hat, wirft die Frage auf, ob die Globalisierung eine neue Dimension erlangt hat. Die traditionelle Übertragung von Zyklen über die Handelsströme hat offensichtlich an Bedeutung verloren. Die aktuelle Exportentwicklung spiegelt die Konjunkturschwäche nur unvollkommen wider. Der Einbruch der Vertrauensindikatoren in Europa, vor allem aber in Deutschland spricht dafür, dass die Eintrübung des Konjunkturklimas in einer wichtigen Region wie Nordamerika die Erwartungen in allen Industrieländern drückt und die Investitionsneigung unmittelbar beeinträchtigt. Dies war in früheren Zyklen in dieser Intensität nicht zu beobachten.

Wann und wie rasch die Krise überwunden werden kann, hängt entscheidend von der wirtschaftspolitischen Reaktion ab. Nur in den USA wurde bisher massiv gegengesteuert. Sowohl die Geldpolitik als auch die Finanzpolitik haben einen ausgeprägten Expansionskurs eingeschlagen. Im Euroraum reagiert die Wirtschaftspolitik dagegen nur schleppend. Eine Wende zum Besseren kann folglich nur von den USA ausgehen. Aufgrund der tiefgreifenden Unsicherheit, zu der auch weiterhin die weltpolitischen Ereignisse beitragen, dürfte die Erholung etwas länger als üblich auf sich warten lassen.

Aus globaler Perspektive birgt dieses Erholungsszenario durchaus Risiken. Es beruht nämlich darauf, dass die weltwirtschaftlichen Impulse wieder - wie schon während fast der gesamten neunziger Jahre - von den USA ausgehen. Folge dieser permanenten Lokomotivfunktion ist, dass die USA mittlerweile im Außenhandel Fehlbeträge in bedenklicher Höhe akkumuliert haben. Dadurch könnte es zu Verwerfungen auf den Devisenmärkten kommen, die den Erholungsprozess gefährden. Ein Weg mit geringeren Risiken wäre es, wenn die Belebung stärker von Europa und Asien getragen würde, deren Überschüsse im Außenhandel auf einen Spielraum für stimulierendes Handeln hindeuten. Denn die im Vergleich zu den USA günstige externe Verschuldungsposition des Euroraums lässt eine höhere Absorption zu.

Rezessive Entwicklung in Deutschland
Bis vor kurzem bestand noch die Hoffnung, dass die konjunkturelle Schwäche in Deutschland nicht in eine Rezession mündet. Doch erwiesen sich die Belastungen, auch unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September, letztlich als zu stark. Jetzt ist absehbar, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion im zweiten Halbjahr 2001 merklich zurückgegangen ist.

Nach allen vorliegenden Indikatoren wird die rezessive Entwicklung aber verhalten ausfallen. Schon zu Beginn dieses Jahres ist mit einer Stabilisierung in den USA zu rechnen; im Frühjahr wird dort eine spürbare Erholung einsetzen

Ohne die kräftig anziehende Konjunktur in den USA würde zumindest bis zur Mitte dieses Jahres Stagnation, wenn nicht gar Rezession herrschen. Erst dann nämlich werden die belebenden Impulse der geldpolitischen Lockerung vom Vorjahr voll wirksam. Zwar geht schon von den deutlich abgeschwächt steigenden Verbraucherpreisen bei zunehmenden Nominaleinkommen ein expansiver Impuls aus. Dieser allein ist nicht stark genug, um eine konjunkturelle Wende herbeizuführen. Die Binnennachfrage wird damit in Deutschland nach wie vor auch im internationalen Vergleich schwach bleiben.

Der zu erwartende Aufschwung wird in seiner Anfangsphase - wie üblich - durchaus kräftig sein, ohne allerdings auch nur annähernd das Tempo von 1999/2000 zu erreichen. Dazu sind das weltwirtschaftliche Umfeld zu ungünstig und die binnenwirtschaftlichen Impulse zu schwach. Im kommenden Jahr dürfte sich der Aufschwung verhalten fortsetzen. Dies gilt aber nur unter der Voraussetzung, dass es zu keinen weiteren außenwirtschaftlichen Störungen kommt, die Finanzpolitik die automatischen Stabilisatoren in vollem Umfang wirken lässt und die Geldpolitik ihren derzeitigen expansiven Kurs beibehält.


Wirtschaftspolitik
Die konjunkturelle Schwäche im Euroraum und die rezessiven Tendenzen in Deutschland begründen erhebliche Anforderungen an die Wirtschaftspolitik. Die Abschwächung ist - anders als 1992/93 und auch 1981/82 - nicht das Ergebnis wirtschaftspolitischen Wollens.

Die Konjunkturschwäche ist also aus wirtschaftspolitischer Perspektive ein Unfall - mit allerdings fatalen Folgen für Wachstum und Beschäftigung. Die unbefriedigende Situation ist nach dem Abklingen des Ölpreisschocks ausschließlich das Resultat einer Nachfrageschwäche. Gefordert ist jetzt ein Mehr an konjunkturpolitischer Flexibilität für alle Politikbereiche.

Die Finanzpolitik muss ihre Konsolidierungsstrategie überdenken. Mit der Revision ihres Stabilitätsprogramms hat die Bundesregierung zugestanden, dass sie unter den gegenwärtigen Umständen zumindest kurzfristig den bisher verfolgten Konsolidierungspfad verlassen muss. Die jüngsten Haushaltsentwicklungen haben eindringlich gezeigt, wie konjunkturabhängig das Erreichen von Konsolidierungszielen letztlich ist. Die Elemente müssen mithin an Gewicht gewinnen, die einen antizyklischen finanzpolitischen Kurs ermöglichen, auch wenn der finanzpolitische Spielraum derzeit gering ist. Ein großes Hindernis für mehr fiskalische Flexibilität ist die schwache Finanzkraft der Kommunen.

Auch die Geldpolitik ist gefordert, ihre Strategie im Lichte dieser Entwicklungen zu überdenken. Wichtig ist, dass die Maßnahmen der EZB noch mehr an der Zukunft orientiert und flexibler sind als bisher. Längeres Abwarten stabilisiert keine Erwartungen, sondern lässt für die Marktteilnehmer das Eintreten einer konjunkturellen Schwäche oder einer Überhitzung immer wahrscheinlicher werden. Zögern destabilisiert also. Untauglich ist somit das Argument, die EZB hätte - anders als auch vom DIW Berlin immer wieder gefordert - die Zinsen im Vorjahr deshalb nicht so rasch senken können, weil der aktuelle Preisauftrieb zu hoch gewesen sei. Bei den Preissteigerungen handelte es sich aber, wie auch die EZB konzedierte, im Wesentlichen um Einmaleffekte, die im Laufe des Jahres erwartungsgemäß wieder abklangen. Die Geldpolitik hätte also Spielraum für frühzeitige Zinssenkungen gehabt, um den Abschwung zu mildern.

Vielfach wird behauptet, dass der Lohnpolitik in Zeiten der Konjunkturschwäche eine besondere Verantwortung zukommt. Durch maßvolle Lohnabschlüsse, die auch unter Berücksichtigung der Preissteigerungen den Produktivitätsspielraum nicht ausschöpfen, könne sie einen Beitrag zur Überwindung der Rezession leisten. Bei einer Nachfrageschwäche kann Lohnzurückhaltung im obigen Sinne aber zum Bumerang werden. Die Lohnentwicklung sollte vielmehr ihren verteilungsneutralen Spielraum in Höhe von etwa 3 % ausschöpfen.

Von der Lohnpolitik kann nicht die Überwindung einer nachfragebedingten Konjunkturschwäche eingefordert werden. Eine solche Schlussfolgerung sollte allerdings nicht als Freibrief für überzogene Lohnerhöhungen verstanden werden. Die Aussage, dass durch mehr Lohn immer mehr Nachfrage entsteht, ist falsch. Lohnerhöhungen, die den aus Produktivitätszuwachs und Zielinflationsrate der Zentralbank gesetzten Spielraum überschreiten, gefährden entweder die Preisstabilität und ziehen Zinserhöhungen nach, oder sie schmälern unmittelbar die Gewinne und dämpfen damit die wirtschaftliche Situation. Sobald die Lohnsteigerungen die Angebotsbedingungen verschlechtern, können die potentiellen Nachfragesteigerungen, die durch die Lohnerhöhungen entstehen, nicht mehr realisiert werden.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Königin-Luise-Str. 5 14195 Berlin Telefon: 030/897890 Telefax: 030/89789200

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