Zivilgesellschaft kritisiert Unsicherheitspaket 2.0
(Berlin) - Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis fordert in einem offenen Brief den Stopp des Gesetzentwurfs zur „Stärkung digitaler Ermittlungsbefugnisse“. Die geplante Neuauflage des Sicherheitspakets droht, fundamentale Grundrechte zu untergraben. Der Brief kritisiert die fehlende Verhältnismäßigkeit: Der vorgesehene Abgleich biometrischer Daten mit Social-Media-Plattformen käme einer dauerhaften Massenüberwachung gleich. Der dafür nötige Aufbau KI-gestützter „Superdatenbanken“ steht zudem im Widerspruch zur EU-KI-Verordnung.
Auch die geplante automatisierte Datenauswertung durch Bundespolizei und BKA gefährdet Grundrechte massiv, denn sie ermöglicht weitreichende Profilbildung auch von Unbeteiligten. Besonders kritisch ist die vorgesehene Zusammenarbeit mit privaten Firmen, etwa dem umstrittenen US-Unternehmen Palantir.
Stefan Hügel, Vorsitzender der Humanistischen Union: „Die geradezu dystopisch anmutenden Datenbanken in Verbindung mit KI-gestützter Auswertung, biometrischer Massenüberwachung und Profilbildung verstoßen gegen die KI-Verordnung und sind mit einer Demokratie unvereinbar. Eine denkbare künftige antidemokratische Regierung wird solche Mittel begierig aufgreifen und gegen die Demokratie wenden. Dazu kommt das Risiko des ‚programmierten Rassismus‘, der systematischen Diskriminierung marginalisierter Gruppen.”
Erik Tuchtfeld, Co-Vorsitzender von D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt, kommentiert: „Das Bundesinnenministerium schlägt vor, zukünftig willkürlich privat aufgenommene Bilder – von Grill-Partys über Klima-Demonstrationen bis hin zu Pride-Paraden – massenhaft auszuwerten und sensibelste persönliche Daten den Palantirs dieser Welt zur Verfügung zu stellen. Sollte dieser Vorschlag Realität werden, gefährdet er die Sicherheit und Grundrechte von Millionen Menschen, die keiner Straftat verdächtig sind. Darüber hinaus würden neue Abhängigkeiten vom Trump-Regime geschaffen, die die digitale Souveränität Deutschlands weiter einschränken. Es wäre ein Zeichen für eine Koalition der Verantwortungslosigkeit.“
Manuel ‚HonkHase‘ Atug, Gründer und Sprecher der AG KRITIS: „Freiheitsrechte sind kritische Infrastruktur für die Demokratie.“
Kilian Vieth-Ditlmann, Head of Policy bei AlgorithmWatch: „Innenminister Dobrindt schlägt im Prinzip vor, eine gigantische Gesichtsdatenbank aller Bürgerinnen und Bürger aus dem Internet zu bauen – ganz egal, ob jemand verdächtig ist oder nicht. Familienfotos, Party-Selfies, Screenshots aus Videos oder Bilder, auf denen man nur im Hintergrund zu sehen ist – alles soll erfasst und durch KI analysiert werden. Das ist restlos unverhältnismäßig und genau deshalb durch EU-Recht verboten.“
Lena Rohrbach, Referentin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter und Rüstungsexportkontrolle bei Amnesty International Deutschland: „Der Entwurf für das sogenannten ‚Sicherheitspaket‘ birgt erhebliche demokratische und menschenrechtliche Risiken. Alle Videos, Fotos und andere biometrische Daten im Netz zu durchsuchen, um einige wenige Personen zu finden, die nicht einmal einer Straftat verdächtig sein müssen, ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf Privatsphäre. Die automatisierte Datenanalyse, auch mittels KI, führt zur umfassenden Profilbildung über unzählige Menschen. Amnesty International hat durch Recherchen zum Einsatz von KI in Behörden immer wieder gezeigt, dass dieser oft zu Diskriminierung gegen marginalisierte Bevölkerungsgruppen führt. Soll dafür Palantir-Software eingesetzt werden, so handelt es sich außerdem um ein Unternehmen, das seinen Pflichten zur Achtung der Menschenrechte unter den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte nicht nachkommt. Deutsche Behörden sollten eine Beschaffungsrichtlinie erhalten, die die Menschenrechtsbilanz eines Unternehmens zwingend berücksichtigt.“
Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs: „Die Pläne Dobrindts zur biometrischen Fahndung im Netz sind gefährlich und rundweg abzulehnen. Denn sie würden den öffentlichen Raum Internet verändern: Millionen Gesichter in Bildern oder Filmen, die Menschen alltäglich im Netz teilen, würden zum biometrischen Rohstoff für automatisierte polizeiliche Suchen. Dass der Innenminister dabei über europäische Datenschutzregeln einfach hinweggeht, zeigt eine beunruhigende Ignoranz gegenüber bestehenden Rechten. Auch Dobrindts Plan in seinem ‚Sicherheitspaket‘, alle Polizei-Datenbestände zusammenzuführen und automatisiert zu analysieren, muss gestrichen werden. Es würde die alltäglichen Polizeikontakte von Menschen in eine undurchsichtige Analyse-Maschinerie hineingeben, die nichts mehr mit dem eigentlichen Zweck der Datenerhebung zu tun hat. Dass dazu auch nur erwogen wird, den US-Konzern Palantir mit der Polizeidatenanalyse zu beauftragen, lässt die Aussagen zur ‚digitalen Souveränität‘ im Koalitionsvertrag geradezu lächerlich erscheinen.“
Konstantin Macher, Vorstandsmitglied bei der Digitalen Gesellschaft: „Die Bundesregierung will die Gesellschaft durch Überwachung und Kontrolle regieren, aber damit werden keine Probleme gelöst. Wir wollen eine nachhaltige Sicherheitspolitik, die Steuergelder stattdessen dafür nutzt, um Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen.“
Rainer Rehak, Ko-Vorsitz des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung: „Ein solch mächtiges, in den USA für das Militär entworfene Werkzeug in den Händen der Polizei würde zudem die leider anderweitig schon beobachtbare Militarisierung der Polizei nun im Digitalen fortschreiben. Diese Militarisierung der Polizei und Auflösung der Zweckbindung lehnen wir ab, auch deshalb, weil der Nutzen nie transparent dargelegt wurde und somit die demokratisch gebotenen Verhältnismäßigkeitsüberlegungen unmöglich sind.“
Bianca Kastl, Erste Vorsitzende des Innovationsverbunds Öffentliche Gesundheit e.V.: „Anlasslose Massenüberwachung hilft genau niemanden – außer dem Niedergang des Vertrauens in den Staat und dessen demokratische Kontrolle.”
Teresa Morrkopf-Widlok, Vorsitzende von LOAD e.V.: „Was Dobrindt als Sicherheitspaket verkauft, ist in Wahrheit ein Blankoscheck für digitale Massenüberwachung. Biometrische Rasterfahndung und automatisierte Datenanalyse sind nicht verhältnismäßig und haben einen zu hohen grundrechtlichen Preis. Statt auf funktionierende Daten, bessere Vernetzung, gezielte Strafverfolgung und rechtsstaatliche Kontrolle zu setzen, entsteht ein schlüsselfertiger Überwachungsapparat. Der Schulterschluss mit einem Unternehmen wie Palantir, das (rechts-)staatliche Strukturen als Hindernis für Effizienz begreift, ist brandgefährlich. Wer so Politik macht, riskiert nicht nur Bürgerrechte, sondern auch die eigene digitale Souveränität.“
Michael W., Vorstand bei Topio e.V.: „Eine ausufernde und zunehmend unkontrollierte Massenüberwachung ist der falsche Weg. Sie schafft kein Vertrauen in Demokratie und Staat, sondern fördert eine Haltung des Misstrauens und der Verdächtigung.“
Quelle und Kontaktadresse:
HUMANISTISCHE UNION e.V. - Bundesgeschäftsstelle (HU), Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin, Telefon: 030 20450256
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