Pressemitteilung | Deutsche Kinderhilfe - Die ständige Kindervertretung e.V.

Zum Tod der zweijährigen Zoe in Berlin: Nach Hamburg tritt auch in Berlin die Strukturkrise des Jugendhilfesystems offen zutage

(Berlin) - Nach der Mitteilung der zuständigen Staatsanwaltschaft starb die zweijährige Zoe an den Folgen von Gewalt. Auch bei ihrem Zwillingsbruder wurden nach Medienberichten bei einer Untersuchung im Klinikum Buch Anzeichen von körperlicher Gewalt gefunden. Trotz engmaschiger Betreuung seit vier Monaten durch das zuständige Jugendamt, das einen freien Träger damit beauftragt hatte, fielen die Misshandlungen nicht auf. Ein Sprecher des Jugendamtes erklärte mehrfach, dass es keine Anzeichen für Fehler gab und nach seinem Kenntnisstand alles korrekt gelaufen sei.

Dennoch ist Zoe tot. Auch an diesem Fall offenbart sich das Grundproblem der Kinder- und Jugendhilfe, in der es keine bundesweiten, nicht einmal für Berlin einheitliche Fachstandards der Betreuung, Unterstützung und Kontrolle von Familien gibt. Es gibt keine verbindliche Regelung des Vieraugenprinzips. Es fehlen Vorgaben, dass Kinder in Risikofamilien regelmäßig in Augenschein genommen werden. Es gibt keine gesetzlich verbindlichen Qualitätskontrollen. Eine Evaluation findet ebenso wenig statt. Es fehlt das Bewusstsein, dass neben dem Auftrag, den Eltern bei der Erziehung zu helfen, auch mindestens gleichberechtigt der Schutzauftrag des Staates für die Kinder Kernaufgabe der Jugendhilfe ist. Und so ist das Zitat der zuständigen Jugendstadträtin Keil ebenso kennzeichnend wie erhellend: "Die Verletzungen seien nicht entdeckt worden, schließlich ziehen diese (Anm.: die Betreuer) die Kinder nicht aus, sondern helfen bei der Erziehung."

Die Deutsche Kinderhilfe fordert angesichts der nach wie vor offen zu Tage tretenden Strukturkrise der Kinder- und Jugendhilfe die Bundespolitik auf, das Thema Kinderschutz wieder auf die Agenda zu nehmen. Seit dem Tod Kevins und Lea Sophies hat sich an dem Grundproblem des Systems, das keine einheitlichen Fachstandards kennt, in dem rund 7 Milliarden Euro an freie Träger für Hilfen zur Erziehung ausgegeben werden, ohne dass es verbindliche Regelungen zur Qualitätskontrolle gibt, in dem vielerorts Kinderschutz nach Kassenlage betrieben wird und viel zu hohe Fallzahlen nur Verwaltung statt zielgenaue Hilfe ermöglichen, nichts geändert.

"Das neue Bundeskinderschutzgesetz hat die notwendigen Reformen nicht bewirkt. Neben marginalen Änderungen und einem gewaltigen Subventionsprogramm für Familienhebammen hat es den Status Quo zementiert und wurde durch erfolgreiche Lobbyarbeit der Träger zu einem Systemschutzgesetz", so Georg Ehrmann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe, der in den Arbeitsgruppen zum Gesetz mitgewirkt hat.

Gegen die Beharrungskräfte des Systems konnte sich die Familienministerin, die im Referentenentwurf noch auf Qualitätsstandards und verbindliche Qualitätskontrollen gesetzt hatte, nicht durchsetzen, auch ihre Amtsvorgängerin scheiterte bereits an dem Zusammenspiel von Trägern, Kommunen und Ländern. Die Deutsche Kinderhilfe fordert daher die Bundeskanzlerin auf, sich erneut persönlich um dieses Thema zu kümmern. Im Jahr 2007 gab es einen Bundeskindergipfel im Kanzleramt, dieser sah klare Vorgaben für ein Kinderschutzgesetz vor. Fünf Jahre später tritt ein wachsweiches Gesetz in Kraft, das die wesentlichen Schwachstellen im System nicht verändert hat. Das Bemühen um besseren Kinderschutz ist - dies belegen die jüngsten Todesfälle und die weiterhin mehr als 150 toten Kinder pro Jahr - gescheitert.

Die Politik muss sich nach ihrer Verantwortung und ihren Maßstäben fragen lassen, wenn sie jetzt nicht reagiert und mutig die erforderlichen Reformen im System der Kinder- und Jugendhilfe in einem Bundesgesetz angeht.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutsche Kinderhilfe e.V. Rolf Stöckel, Sprecher des Vorstandes Schiffbauer Damm 40, 10117 Berlin Telefon: (030) 24342940, Telefax: (030) 24342949

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