Pressemitteilung | (AWO) Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V.

Zur Zukunft der Pflege in Deutschland: AWO legt Vorschläge zur Reform der Pflegeversicherung vor

(Berlin/Bonn) - Bei der dringend notwendigen Weiterentwicklung der gesetzlichen Pflegeversicherung (SGB XI) muss nach Ansicht der Arbeiterwohlfahrt (AWO) ein breiter Reformansatz gewählt werden. „Derzeit liegen leider nur Diskussionsbeiträge zur künftigen Finanzierung vor, aber keine umfassenden und schlüssigen Konzepte für eine bedarfsgerechte Pflege in Deutschland“, sagte der AWO-Bundesvorsitzende Manfred Ragati bei der Vorstellung der Reformvorschläge der AWO „Zur Zukunft der Pflege in Deutschland“ vor der Bundespressekonferenz in Berlin. Die Vorschläge der Rürup- und der Herzog-Kommission machten fast ausschließlich finanzielle Aspekte zum Maßstab.

Die AWO lehnt einen völligen Systemwechsel hin zu einem kapitalgedeckten Verfahren wie von der Herzog-Komission vorgeschlagen ab. Einer solchen Abschaffung der umlagefinanzierten Pflegeversicherung erteilt die AWO ebenso eine Absage wie einem steuerfinanzierten Leistungsgesetz. „Solche Vorschläge bedeuten entweder eine unzumutbare Doppelbelastung der aktiven Beitragszahlerjahrgänge oder führen viele Betroffene unmittelbar in die Sozialhilfeabhängigkeit“, erklärte der AWO-Bundesvorsitzende.

Ganz entschieden wendet sich die AWO gegen den Vorschlag der Rürup-Kommission, die stationären Leistungsbeträge in den Pflegestufen 1 und 2 radikal abzusenken und warnt die Bundesregierung davor diese Vorschläge umzusetzen. „Damit werden ausgerechnet die dementen Pflegebedürftigen finanziell getroffen, für die in den allermeisten Fällen keine Alternative zu einer Heimversorgung besteht“, erklärte Ragati. Schwere Orientierungseinschränkungen verhindern oft den Verbleib in der häuslichen Umgebung; das trifft allein in der Pflegestufe 1 auf mindestens 120.000 Bewohner zu.

Dieser Trend wird sich nach den Berechnungen der Rürup-Kommission sogar noch verstärken. Somit wird eine ständig steigende Anzahl von Menschen gezwungen, den reduzierten Leistungsbetrag durch ihr Einkommen oder Vermögen aufzufangen; ist das nicht möglich, sind sie auf die Sozialhilfe angewiesen. Der Anteil der Sozialhilfeempfänger wird sich im stationären Bereich auf mindestens 80 Prozent von heute schon 50 Prozent erhöhen, wenn ein solcher Vorschlag Gesetz würde. Nach ersten Berechnungen beliefen sich die Mehrkosten für die Sozialhilfeträger auf über eine Milliarde Euro pro Jahr. „Die Vermeidung von Sozialhilfeabhängigkeit ist bisher immer ein Grundprinzip der Pflegeversicherung gewesen. Dieses Prinzip darf nicht aufgegeben werden“, sagte Ragati. Die AWO werde in diesem Zusammenhang den Schulterschluss mit den kommunalen Spitzenverbänden suchen.

„Die AWO setzt in ihrem Konzept im Vergleich zu den verschiedenen Kommissionen auf fachliche Schwerpunkte“, betonte der Vorsitzende der AWO-Bundeskomission Pflege, Hansjörg Seeh. Die AWO habe zuerst die Erfordernisse einer bedarfsgerechten Pflege in den Blick genommen und Bedingungen genannt, unter denen eine menschenwürdige Altersbetreuung und Pflege möglich ist. Dann erst werde die Finanzierung thematisiert. „Wer eine an Qualitätsmaßstäben orientierte Pflege will, die weitgehend Missstände ausschließen soll, der muss über Inhalte reden“, so Seeh. So fordert die AWO unter anderem:

- Die Einführung von Pflegebedarfs- und Personalbedarfsbemessungssystemen, um eine individuell-bedarfsgerechte Pflege zu ermöglichen.
- Die Verpflichtung zu internem Qualitätsmanagement in Verbindung mit externer Qualitätssicherung.
- Die konsequente Umsetzung des Vorrangs von Prävention und medizinischer Rehabilitation vor Pflege, um Pflegebedürftigkeit zu verhindern oder zu verzögern.
- Die Realisierung des im Gesetz festgelegten Vorrangs von ambulanter Pflege vor stationärer Versorgung.

Strukturelle Reformen auf der inhaltlich-fachlichen Ebene erschließen nach Ansicht der AWO Ressourcen und führen so zu erheblichen Kosteneinsparungen. „Nicht jede Leistungsverbesserung im System führt automatisch zu Mehrkosten“, hob Seeh hervor. Dennoch müsse klar sein, dass nach Ausschöpfung dieser Ressourcen eine bessere und bedarfsgerechte Pflege mit entsprechend notwendigen Leistungsverbesserungen zu einem höheren Finanzbedarf führe.

Zur langfristigen Sicherung schlägt die AWO einen Finanzierungsmix vor, der aus folgenden Elementen besteht:

- Die Beitragsbemessungsgrenze von GKV (41.400 EUR jährlich) und GPV (41.400 EUR jährlich) soll auf das Niveau der Rentenversicherung (61.200 EUR jährlich) erweitert werden.
- Die Einbeziehung anderer Einkommensarten bei der Beitragserhebung (Zinsen, Pachten, Mieten etc.) ist erforderlich.
- Beitragssatzsteigerungen als ein Baustein des Finanzierungsmixes dürfen mittelfristig insbesondere bei Verbesserung der wirtschaftlichen Daten kein Tabuthema sein.
- Zur Verbesserung der Finanzierungsgrundlagen ist die Einführung eines zusätzlichen Beitrages von Rentnerinnen und Rentnern zu diskutieren.

Mit 760 teil- und vollstationären Einrichtungen und weiteren 800 ambulanten Diensten nimmt die AWO für sich die Kompetenz in Anspruch, Reformen zu formulieren und einzufordern. Der Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege hatte vor einem Jahr eine Kommission auf Bundesvorstandsebene unter dem Vorsitz des Bundesvorstandsmitglieds Hansjörg Seeh aus Freiburg eingesetzt, die unter wissenschaftlicher Begleitung nun das Ergebnis ihrer Beratungen vorlegt.

Hinweise: Ausführliches statistisches Zahlenmaterial zur Situation der Pflege findet sich auf den Seiten des Bundesministeriums für Gesundheit unter: www.bmgs.bund.de. Das Positionspapier „Zur Zukunft der Pflege in Deutschland“ der Arbeiterwohlfahrt kann von Redaktionen kostenlos angefordert werden: verlag@awobu.awo.org

Quelle und Kontaktadresse:
AWO Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. Oppelner Str. 130, 53119 Bonn Telefon: 0228/66850, Telefax: 0228/6685209

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