Verbändereport AUSGABE 5 / 2005

Das Dilemma von Dachverbänden

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26. Mai 2005. Im Plenarsaal des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern geht es ruhig zu. Interessanter ist es da schon im Foyer: Zwischen Kaffee und Bockwurst diskutiert die Finanzministerin mit Journalisten über den nächsten Tagesordnungspunkt: „Fortschrittsbericht Aufbau Ost“. Mit von der Partie der Chef der Vereinigung der Unternehmensverbände für Mecklenburg-Vorpommern e.V. (VUMV). Immerhin geht es hier um die mögliche Zweckentfremdung von Soli-II-Geldern, die nach seiner Auffassung dringend für die Verbesserung der wirtschaftlichen Basis im Nordosten der Republik benötigt werden.

Gute Taten …

Da ist Lobbyarbeit gefordert, um darauf zu achten, dass falsche Begehrlichkeiten in anderen Ressorts nicht zu groß werden. Die Botschaft kommt in der Runde an. Nach der Ausschusssitzung findet dazu ein Spitzengespräch von Wirtschaftsvertretern im Finanzministerium statt und auch die Medien sind sensibilisiert. Wenn im Ergebnis das Schlimmste verhindert wird und der Wirtschaftsförderung für mehr Investitionen Geld bleibt, anstatt es konsumtiv zu ver(sch)wenden, dann hat die Landesvereinigung wieder gute Arbeit geleistet. Nur leider nimmt dies kaum ein Unternehmer im Land wahr.

Im nächsten Tagesordnungspunkt beschäftigt sich der Landtag mit der Neuordnung der politischen Bildung in Mecklenburg-Vorpommern. Hierzu gehört nach Meinung des VUMV auch ein gründliches Verständnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge. Dafür hat sie gut vorgearbeitet. Durch eine Pressemitteilung sind die Journalisten und Politiker hellhörig geworden. So wie es bei der Einführung des Faches „Arbeit-Wirtschaft-Technik“ war. Wenn dadurch die Qualität von Schulabgängern und das Verständnis für Grundlagen und Zusammenhänge der Sozialen Marktwirtschaft gesteigert wurden, haben die Unternehmen einen Nutzen davon, der für sie jedoch weder direkt messbar, noch unmittelbar spürbar ist.

… und kaum einer nimmt sie wahr

Hiermit liegt ein Hauptproblem bei der Akzeptanz von Landesvereinigungen bei den mittelbar vertretenen Mitgliedern. Während regionale Verbände durch Sonderkonditionen für ihre Mitglieder beispielsweise bei Strom, Versicherungen und Telefon eine klare Kosten-Nutzen-Rechnung auslösen und zudem durch regelmäßige anerkannte Veranstaltungen das „Wir“- oder „Netzwerk“-Gefühl bedienen können, sind „die da oben“ offensichtlich weit weg von der Basis. Gleiches gilt bei Arbeitgeberverbänden, die durch individuelle Rechtsberatung und -vertretung sowie tarifpolitische Arbeit eine greif- und erkennbare Gegenleistung bringen.

Dachverbandsnutzen für die Mitglieder

Die Geschäftsführer der Mitgliedsverbände von Landesvereinigungen, im nordöstlichen Bundesland immerhin 29, sehen in ihrer Mitgliedschaft trotz des finanziellen Aufwandes, der vier Prozent ihres eigenen Haushaltes ausmacht, offenbar einen Nutzen.

Einerseits können sie über die bis nach Brüssel reichende Struktur von BDI und BDA, deren Landesvertretung die VUMV ist, frühzeitig Tendenzen und Entwicklungen, Gesetze und Urteile, nationale und europäische Themen in Erfahrung bringen, die dann „exklusiv“ an die Mitgliedsunternehmen weitergereicht werden. Als Instrument dafür dient ein wöchentlicher elektronischer „Newsletter“, der mit einer Internetdatenbank verknüpft ist, in der ausschließlich die Mitglieder auf Dokumente zurückgreifen können.

Andererseits können über die Landesvereinigungen spezifische Probleme und Interessen besser eingespeist werden, sofern sie nicht den Interessen der anderen Mitglieder entgegenstehen. So wirkt ein Brief an den Umweltminister wegen eines geplanten Kiesabbaus auf Rügen besser, wenn nicht nur der Fachverband, sondern auch die Landesvereinigung im Briefkopf erscheinen. Eine parlamentarische Anfrage zum Straßenzustand sieht, von der VUMV ausgehend, ein Stück anders aus, als wenn sie aus der Baubranche kommt. Auch die Installierung von City-Managern kann durch frühzeitige Intervention durch die Landesvereinigung Erfolg versprechender auf den richtigen Weg gebracht werden, denn dem Referenten im Ministerium ist die Dachorganisation aus anderen Gesprächen und Beratungen bestens bekannt. Gut zu gebrauchen ist die Landesvereinigung ebenfalls als Speerspitze oder als Schutzhandschuh, wenn man sich nicht die Hände verbrennen will. Wer in Mecklenburg-Vorpommern mit einem Schwarzbuch gegen Staatswirtschaft die ausufernde wirtschaftliche Betätigung von Kommunen anprangert, macht sich so viele Gegner, dass es fast schon einer Ächtung gleichkommt. Da muss man schon ein (ordnungspolitisch) breites Kreuz haben, um diesem Gegenwind entgegenzustehen. Dieses bietet dann auch anderen Verbänden die Möglichkeit, auf Wunsch auch im Hintergrund, mit dabei zu sein.

Dachverbandsnutzen für die Politik

Doch warum ist eine Landesvereinigung auch für Parlament und Regierung so interessant? „Wir sind mit der Wirtschaft im Gespräch“ ist eine Antwort, die den Fragenden zwangsläufig zufriedenstellen muss. Von daher genügt das Gespräch mit dem Spitzenvertreter, um erst einmal in Ruhe gelassen zu werden. Zudem ist sichergestellt, dass nicht Einzelinteressen aus Branchen, Regionen oder gar von Unternehmen fälschlicherweise als allgemeingültig angesehen werden. Die Landesvereinigung ist Garant für eine systemkonforme Ausgewogenheit über fast alle Branchen und Regionen. Ein Landesminister, der sich vor allem mit Unternehmern im Gespräch befand, die Fördermittelbescheide entgegennahmen, hatte Ende 2003 der Einschätzung der Verbände bei den Prioritäten von Landesförderung öffentlich widersprochen. Eine offene Kampfansage, wer denn die Stimmung in der Unternehmerschaft richtig spürt und einschätzt, die Politik oder die Verbände. Die deutliche Antwort konnte anhand einer Blitzumfrage bei 700 Unternehmen gegeben werden: Elemente von Darlehensfinanzierung und Beteiligungen können aufgrund der Eigenkapitalstruktur vieler Unternehmen attraktiver sein als der alleinige Zuschuss. Der Minister zog sich grummelnd zurück, die Förderpolitik wurde, allerdings nicht so weitreichend wie von der Wirtschaft erhofft, geändert.

Dachverbände als dauerhafte Anlaufstellen

Die Verbandslandschaft ist im Wandel. Dieser Wandel findet nach den Gesetzen des Marktes statt und wird nicht so sozial abgefedert, wie beispielsweise der erforderliche Abbau von 25 Prozent des Landespersonals. Wer seinen Nutzen nicht deutlich macht, verliert Kunden (Mitglieder) und verschwindet womöglich vom Markt. Die Konkurrenz mit weniger verstaubten Bezeichnungen wie „Think Tank“ oder „Public Affairs“ wächst und ist punktuell deutlich besser aufgestellt als die meisten der 14.000 Verbände in Deutschland. Aber eben nur punktuell und meist für sehr spezielle Botschaften und Aufgaben. Genau hier liegt die wichtige Lücke für Verbände und ein mögliches Allein-stellungsmerkmal.

Als ordnungspolitisches Rückgrat und bodenständiges Gewissen werden die Verbände und ihre Landesvereinigungen benötigt und müssen damit auch einen Ausgleich zum Einfluss der Gewerkschaften herstellen. Dies muss nur noch den Unternehmen deutlich gemacht werden, damit deren Bereitschaft, sich dieses auch zu leisten, nicht schwindet.

Politik braucht Sachverstand

Zwei Lehrer, zwei Rechtsanwälte, eine Chemikerin, eine Sozialwissenschaftlerin, ein Verwaltungsbeamter, ein Busfahrer und die Geschäftsführerin eines kommunalen Unternehmens. Man möchte ihnen nichts absprechen, sie sind sicherlich ein Querschnitt der Gesellschaft – und sie bilden den Wirtschaftsausschuss des Landtages in Schwerin. In ihren Fraktionen lassen sie zu, dass ein Mindestlohn von 1.400 Euro gefordert wird, um die Binnennachfrage anzukurbeln, dass rund 340.000 Euro Personalkosten dafür verwendet werden, um 310.000 Euro Kostenerstattung für ein Bildungsfreistellungsgesetz zu verwalten und dass die Kommunalverfassung dahingehend geändert werden soll, dass Bürger und Betriebe zwangsweise an das Versorgungsnetz städtischer Betriebe angeschlossen werden können. Wer, wenn nicht die Landesvereinigung der Wirtschaft, kann hier Überzeugungsarbeit leisten?

Die Wirtschaft muss tagtäglich bei Politik, Parteien, Verwaltung und bei den Medien präsent sein. Die Pressearbeit muss schnell und deutlich sein, die Gespräche sachlich und authentisch, die interne Meinungsbildung klar und unangreifbar sein. Wer kann dies auf Landsebene organisieren? Oberste Priorität haben Presseanfragen bei der VUMV. Die schnelle Aussagefähigkeit (qualifizierter und verwertbarer Rückruf in spätestens 30 Minuten), die Organisation von Gesprächspartnern sowie die Seriosität und Zuverlässigkeit sind Garant für den Erfolg.

Repräsentanz statt Einzelmeinung

Zudem wird versucht, die Mitgliedsverbände und deren unternehmerischen Repräsentanten mit einzubeziehen. So kann die ordnungspolitische Ebene genauso abgedeckt wie das immer gern verwendete Unternehmerzitat geliefert werden. Und so kann auch die Gefahr gebannt werden, dass der zufällig neben dem Funkhaus ansässige „Heinz Klön Im- und Export aller Art“ in Presse, Funk und Fernsehen zur Stimme der Wirtschaft mutiert.

In den Arbeitskreisen der VUMV geben sich Minister und Institutionsspitzen die Klinke in die Hand. Hier findet die Meinungsbildung statt, die dann auch die Anerkennung auf der Gegenseite findet. Das Kamingespräch mit dem Ministerpräsidenten, der Kegelabend mit der Finanzministerin. So viele Briefe können gar nicht geschrieben werden, um diesen Nutzen zu erzielen.

Diese guten und zum Teil vertrauensvollen Kontakte sind dann auch hilfreich, um für den Mitgliedsverband oder im Einzelfall ein spezielles verbandlich organisiertes Unternehmen schnell einen Gesprächstermin vermittelt zu bekommen. Auch die Durchführung von landesweiten Veranstaltungen, wie einem Unternehmertag oder einer jährlichen Konferenz zu Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten, schafft regionen- und branchenübergreifende Kontakte. Die Gespräche am Rande sind oft nachhaltiger als das offizielle Programm.

Am langen Hebel: Benennungsrechte der Dachverbände

Ein beachtlicher Schatz verbirgt sich bei der Landesvereinigung hinter dem Titel „Benennungsrechte“. Fast 100 Gremien kann die Dachorganisation der Wirtschaft Mecklenburg-Vorpommerns mit Vertretern der Wirtschaft besetzen. Das sind traditionelle Benennungen, wie die der ehrenamtlichen Richter bei Sozial- und Arbeitsgerichten, das sind exotische Veranstaltungen wie die „Akademie für Sozialmedizin“, das sind landes-typische Zusammenschlüsse wie der Beirat „MV tut gut“ oder die Agentur „MV4you“ und es sind auch sehr wichtige und viel bewegende Gremien dabei.

So haben im „Begleitausschuss für die europäischen Strukturfonds“ Sozialpartner eine gewichtige Mitwirkungsfunktion, im „Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit“ werden die Landesprobleme jenseits der lauten Töne behandelt, in den Arbeitsagenturen wird die Verwendung der von den Beitragszahlern aufgebrachten Mitteln beschlossen und im Kultusministerium über Schulpläne mit entschieden.

Diese Möglichkeiten, geschickt organisiert und mit der internen Meinungsbildung vernetzt, schaffen ein Frühwarnsystem einerseits und Mitwirkungsrechte andererseits. „Mittendrin statt nur dabei“ ist die Devise der freiwillig organisierten Wirtschaft.

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