Rund 14.000 Verbände sind im Deutschen Verbände Forum – www.verbaende.com – aufgelistet und es kommen immer neue hinzu. Gesamtmetall vertritt die Metall- und Elektro-Industrie, den mit Abstand größten und wichtigsten Industriezweig in Deutschland. Dennoch stellt sich auch für ein solches Schwergewicht die Frage: Zunehmende Spezialisierung auf der einen Seite, mehr eigene Lobbyarbeit großer Unternehmen auf der anderen Seite - sind da die alten Repräsentanten der Bonner Republik noch zeitgemäß?
Die Arbeitgeberverbände
Mit Arbeitgeberverbänden verbindet die breite Öffentlichkeit nach wie vor spontan nur ein bestimmtes Ritual: Einmal im Jahr treffen sich ernste Männer in dunklen Anzügen mit grimmig aussehenden Gewerkschaftsführern in etwas helleren Anzügen (außerdem zu unterscheiden daran, dass die Arbeitgebervertreter keine Gewerkschaftsnadel am Revers tragen) in abgelegenen Hotels, wo sie zwei Tage lang Skat spielen und dann gegen halb fünf Uhr morgens genau das der Öffentlichkeit verkünden, was vorher sowieso abgesprochen war: Bei Tarifverhandlungen also.
Dieses Klischee entspricht immerhin in einem Punkt der Wirklichkeit - die meisten Tarifabschlüsse werden in der Tat nach durchverhandelten Nächten erzielt. Abgesehen davon, dass Tarifverhandlungen zwar gewissen notwendigen Ritualen unterliegen, ihr Ergebnis aber vorher nicht feststeht: Die Arbeit der Arbeitgeberverbände geht weit darüber hinaus. Kern ist die Aufgabe, Unternehmen bei der Regelung der Arbeitsbeziehungen zu unterstützen. Dazu gehört die Beratung beim Arbeits- und Sozialrecht, bei der Arbeitsgestaltung und bei der Arbeitssicherheit. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Bildung. Die Spanne der Arbeit reicht dabei von der Entwicklung von Ausbildungs- und Prüfungsordnungen über eigene Bildungswerke zur Weiterbildung für die Mitarbeiter der Unternehmen bis zur umfangreichen Nachwuchsförderung in Schulen und Universitäten.
Die einzelnen Unternehmen sind Mitglied bei dem M+E-Arbeitgeberverband ihrer Region. Deren bundesweiter Dachverband ist Gesamtmetall, der für übergreifende Koordination der Arbeit, Informationsaustausch und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich ist. Gesamtmetall ist Mitglied in der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), dem branchenübergreifenden sozialpolitischen Spitzenverband.
In der Kritik stand in der Vergangenheit häufig das bekannteste Merkmal der Arbeitgeberverbände, der Flächentarifvertrag. Die Entwicklung der Mitgliedszahlen dient den Kritikern oft als Beleg dafür, dass sich das System der Flächentarifverträge überholt hat. Doch der Rückgang beruht nicht auf einer Flucht aus dem System, sondern vor allem darauf, dass die Zahl der Unternehmen sinkt - durch Konkurse, Übernahmen und Fusionen. Für beide Tarifpartner, Gewerkschaften und Arbeitgeber, gleichermaßen bedenklich ist eher, dass sich nur wenige neu gegründete Unternehmen der Tarifbindung anschließen.
Bei der Betrachtung der relativen Zahlen sollte man übrigens den Blick für die absoluten Werte nicht verlieren: Über 5.000 Unternehmen sind Verbandsmitglied, und sie vertreten mit zwei Millionen Beschäftigten mehr als Hälfte aller Menschen, die in den M+E-Branchen arbeiten.
Panta Rei
a) Veränderte Wirtschaft
Das wirtschaftliche Umfeld hat sich verändert. Für den Verbraucher sind Autos aus Korea, Hemden aus China und Bananen aus Costa Rica selbstverständliches Zeichen eines weltweiten Marktes, aber längst sehen sich die deutschen Unternehmen auch Stahlkonzernen aus Indien und Flugzeugherstellern aus Brasilien gegenüber - ganz abgesehen von den weiter bestehenden Konkurrenten aus Japan, Europa und Amerika.
Deutschland zeichnet sich durch die hohe Qualität seiner Produkte aus. Der technische und qualitative Vorsprung hat es lange Zeit ermöglicht, bessere Preise zu erzielen und so die im Vergleich zu anderen Ländern höheren Produktionskosten in Deutschland wettzumachen. Inzwischen liefern aber auch andere Länder in vielen Fällen vergleichbare Qualität, und selbst bei technologischen Spitzenprodukten ist der Preis ein ausschlaggebendes Argument geworden. Deshalb rückt, viel stärker als das bislang der Fall war, die Frage der Kosten in den Vordergrund.
Der Zwang zur Kundennähe und das Tempo des Wandels nehmen zu, Entwicklungen wie just-in-time-Fertigung sind nur ein Beispiel für die Notwendigkeit, unmittelbar auf Wünsche der Kunden reagieren zu können. Die Unternehmen müssen auf diese Herausforderungen reagieren, indem sie sich immer wieder neu aufstellen und orientieren, und zwar in allen Bereichen: von den Produkten über die Produktion bis zu den Wertschöpfungsketten. Netzwerke aus Herstellern, Zulieferfirmen und Dienstleistern gewinnen an Bedeutung und sind heute bereits die große Stärke des Standortes.
b) Veränderte Gesellschaft
Nicht nur der Wettbewerb hat sich verändert. Diesen Wandel müssen deutsche Unternehmen bewältigen, während sich die Struktur unserer Gesellschaft ebenfalls im Umbruch befindet. Die demographische Entwicklung in Deutschland ist den meisten Menschen im Prinzip schon bekannt, wenn sich auch nicht jeder über die Konsequenzen im Klaren ist - was die Demos gegen Hartz IV bewiesen haben. Die Alterung der Gesellschaft und der Mangel an Kindern wird alle Bereiche des Lebens beeinflussen.
Der Sozialstaat bisheriger Prägung ist nicht mehr aufrechtzuerhalten. Das jetzige Prinzip - Arbeitsplätze werden mit prozentualen Abgaben belegt - gerät wie jedes Schneeballsystem an seine Grenze, weil die Arbeitskosten stetig steigen, Arbeitsplätze unrentabel werden, und damit die Abgaben wieder steigen. Die ersten, noch sehr milden Vorboten des Umbaus haben wir mit der Agenda 2010 im vergangenen Jahr erlebt. Neben den Auswirkungen der politischen Reformen wird sich aber auch die Arbeitswelt ändern.
Schließlich wird sich der Weg in die Wissensgesellschaft beschleunigen. Schon heute sind Facharbeiter für komplizierte und sehr teure Maschinen und Prozesse verantwortlich, was eine hohe Lernbereitschaft und Engagement erfordert. Arbeit für Ungelernte gibt es kaum noch, und wird es in Zukunft noch weniger geben. Auch der Anteil an Ingenieurstudenten ist nach wie vor viel zu gering für ein Land, das von den Ideen seiner Menschen lebt. Nur mit erheblichen Anstrengungen in allen Bereichen der Bildung wird Deutschland seinen Wohlstand halten können.
Veränderte Welt, veränderte Arbeitgeberverbände
Weil sich die Unternehmen in einem völlig anderen Umfeld als früher bewegen, ändert sich unweigerlich auch die Arbeit und das Selbstverständnis der Arbeitgeberverbände.
a) Konsequenzen aus dem Wandel der Gesellschaft
Ein Beispiel für die unmittelbare Auswirkung von sozialpolitischen Veränderungen ist die Rentenreform der Bundesregierung, die den Aufbau einer zusätzlichen privaten Vorsorge fördern soll. Dazu wurde ein Anspruch auf Entgeltumwandlung eingeführt. Das betraf die Tarifpartner ganz unmittelbar, weil hier über tariflich geregelte Materie – Einkommen – verfügt wurde.
Gemeinsam mit der IG Metall traf Gesamtmetall die Entscheidung, diese Vorgabe nicht lediglich administrativ umzusetzen, sondern aktiv zu gestalten. Zusammen wurde die MetallRente gegründet, die alle Varianten der betrieblichen Altersvorsorge anbietet – und die, nebenbei bemerkt, von der britischen Fachzeitschrift Investment&Pensions Europe (IPE) als „Best Pension Fund - Innovation 2004“ ausgezeichnet wurde. Die Unternehmen können mit der Wahl der MetallRente-Angebote die gesetzlichen Vorgaben erfüllen, die Mitarbeiter profitieren von den besseren Konditionen der gebündelten Nachfrage.
Die Fachleute der Arbeitgeberverbände können die Unternehmen bei dieser im Detail außerordentlich komplexen Materie umfassend beraten und helfen, die beste Lösung zu finden. Mit der Zeit werden weitere Themen aus dem Bereich der Sozialpolitik für die Unternehmen relevant werden - etwa die Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer, vor allem aber die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie haben Bedarf daran, bei bestehenden oder kommenden sozialpolitischen Fragen Unterstützung zu erhalten. Die Verbandsfachleute kennen den Arbeitsalltag der Unternehmen und haben die Erfahrung mit der Gestaltung von vertraglichen Arbeitsbeziehungen. Deshalb sind die sozialpolitischen Fragen eine logische Ergänzung der bestehenden Verbandsaktivitäten.
b) Organisationspolitische Konsequenzen
Mit den Arbeitgeberverbänden ver-binden die meisten automatisch den Flächentarifvertrag. Aber diese Assoziation ist nur zu einem kleinen Teil richtig. Das Selbstverständnis, und damit die Aufgabe, ist wesentlich weiter gefasst: Die Unternehmen bei der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen zu unterstützen. Die Fachleute der Verbände – ob Arbeitsrechtler oder Arbeitswissenschaftler – helfen dabei in allen Bereichen, vor der Vertretung vor Arbeitsgerichten über Fragen der Arbeitssicherheit und Arbeitsplatzgestaltung bis zu Auswahl und Einführung geeigneter Arbeitszeit- und Schichtmodelle.
Der Flächentarifvertrag ist dabei ein interessantes Instrument der Gestaltung, aber kein Selbstzweck. Konsequenterweise bieten inzwischen alle regionalen Arbeitgeberverbände in unserer Branche auch eine Verbandsmitgliedschaft ohne Tarifbindung an. Die Unternehmen schließen dann Haustarifverträge oder treffen einzelvertragliche Lösungen mit ihren Mitarbeitern.
Die so genannten OT-Verbände sind keine neue Erfindung. In einigen Regionen bestehen sie bereits seit der Gründung der Verbände nach dem 2. Weltkrieg; andere Verbände haben die Möglichkeit erst später geschaffen. Sie bietet Unternehmen zum einen die Alternative zu einem endgültigen Verbandsaustritt: rund die Hälfte der Firmen, die aus dem Tarifverband austreten, entscheiden sich für diese Form der Mitgliedschaft.
Auf der anderen Seite können so auch Unternehmen, die bislang überhaupt nicht organisiert waren, für die Mitgliedschaft gewonnen werden. Auch hier können die Verbände die Unternehmen gezielt und kundig unterstützen, entweder bei der Umsetzung der Tarifverträge oder bei dem Prozess, individuell passende Lösungen zu finden und zu vereinbaren.
Bislang sind es rund 2.000 Unternehmen, die den OT-Verbänden angehören, überwiegend kleine und mittelständische Unternehmen mit durchschnittlich 100 Beschäftigten. Ab Ende Januar 2005 wird Gesamtmetall auch die OT-Verbände als Dachverband betreuen.
c) Konsequenzen für den Flachentarifvertrag
Die weitaus größere Zahl der Mitgliedsunternehmen aber wendet den Flächentarifvertrag an. Dies ist ein kraftvoller Auftrag, dieses Instrument zu erhalten und zu erweitern. Der veränderte Wettbewerb bringt es mit sich, dass viele Unternehmen zwar die Vorteile des Flächentarifes erhalten wollen, aber mehr Möglichkeiten brauchen, auf die jeweilige betriebliche Lage einzugehen.
Unternehmen, die ihre langfristige Wettbewerbsfähigkeit steigern müssen – etwa, um durch niedrigere Produktionskosten Aufträge gegen Konkurrenten zu halten oder neue zu gewinnen – hatten bislang nur vier Alternativen:
- Austritt aus dem Verband, um durch neue Vereinbarungen den Tarifnormen zu entgehen.
- Weitere Rationalisierung, fast immer verbunden mit einem Abbau von Arbeitsplätzen-
- Schleichende Verlagerung ins Ausland, indem zukünftige Investitionen in ausländischen Werken getätigt werden, oder gar eine aktive Verlagerung.
- Vereinbarung von betrieblichen Bündnissen für Arbeit, die allerdings in einer rechtlichen Grauzone erfolgt sind.
Eine zukunftsgerichtete Stärkung des Standorts Deutschland bietet allerdings keine der vier Alternativen. Die einfachste Lösung besteht sicher darin, die Tarifnormen abzusenken – so weit, bis sie wieder echte Mindestbedingungen sind. Realistisch ist ein solcher Weg allerdings nicht. Selbst bei blühendster Fantasie fällt es schwer, sich eine Gewerkschaft vorzustellen, die einer flächendeckenden Senkung von Löhnen, Urlaubstagen und Sonderzahlungen zustimmt.
Die zwangsläufige Schlussfolgerung kann nur lauten: Die Tarifverträge müssen die Option beinhalten, dass Firmen unter bestimmten Voraussetzungen eigene Regelungen treffen können, die den Flächentarif ergänzen. Genau dieser Weg ist mit dem Tarifabschluss 2004 eingeschlagen worden.
Seit dem Februar 2004 wurden über 100 Vereinbarungen getroffen, die auf diesem Tarifvertrag beruhen. Die meisten Unternehmen haben dies meist ohne Öffentlichkeit getan; die öffentlich diskutierten Beispiele zeigen allerdings deutlich den Erfolg des Abschlusses. Die Kosten für die Fertigung der nächsten C-Klasse waren für DaimlerChrysler - bei gleicher Qualität – beispielsweise in Südafrika deutlich günstiger. Gemeinsam ist es gelungen, die Produktion in Baden-Württemberg zu halten. In der Vergangenheit hätte dies dazu geführt, dass die Produktion verlagert wird, weil das Tarifniveau nicht hätte sinken können.
Der Tarifvertrag gibt weiterhin einen Rahmen vor, er wird aber – stärker als in der Vergangenheit – durch firmenspezifische Besonderheiten und Abwandlungen ergänzt. Gerade bei den kleineren Betrieben, die die große Mehrheit der Mitglieder in den Verbänden darstellt, ist dabei intensive Beratung durch die Verbandsfachleute erforderlich. Sie helfen, die geeigneten Lösungen zu finden, sie unterstützen die Unternehmen beim Prozessablauf, und nicht zuletzt müssen sie auch den Abweichungen zustimmen.
Natürlich muss, wie es bei Neuerungen häufig der Fall ist, eine gewisse Skepsis überwunden werden - bei dem einen darüber, ob diese Vereinbarungen ausreichen, beim anderen, ob sie nicht bereits zu weit gehen. Die notwendige Überzeugungsarbeit nach innen und außen ist Teil der Reformen.
Ausblick
Als Konsumenten haben wir uns daran gewöhnt, eine breite Auswahl zu haben, um unseren Geschmack und unsere Bedarf genau zu treffen. Henry Fords altes Motto „Jede Farbe ist möglich, solange sie schwarz ist“ wäre heute das Ende seiner Erfolge. Darauf haben die Unternehmen reagiert. Egal ob im direkten Geschäft mit den Verbrauchern oder im Firmenkundengeschäft: Jeder Auftrag ist maßgeschneidert.
Die Arbeitgeberverbände sind dabei, diesen Wandel nachzuvollziehen. Inhaltlich und organisatorisch richten sie sich so aus, dass sie den Unternehmen die notwendige Hilfestellung geben können. Dies bedeutet eine noch intensivere, noch individuellere Betreuung. Genau darin liegt ihre Kernkompetenz, und so gelingt die Quadratur des Kreises doch: Flexible Arbeitsbedingungen innerhalb eines verlässlichen Rahmens, der den Betriebsfrieden garantiert.
Die Metall- und Elektro-Industrie hat ein Deutschland ein viel höheren Stellenwert als in anderen Ländern. Daran ändert auch der Strukturwandel zur Dienstleistung nichts, im Gegenteil: Ein erheblicher Anteil der Dienstleistung ist unmittelbar an die bestehende Industrie geknüpft. Dieses Netzwerk umfasst insgesamt rund sechs Millionen Arbeitsplätze. Die Reform der Organisation und der Instrumente ist daher nicht nur im Interesse der Arbeitgeberverbände, sondern auch des Standortes Deutschland.