Verbändereport AUSGABE 4 / 2011

Die Auswahl eines Tagungsortes – eine emotionale oder rationale Entscheidung

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Glaubt man den vielfältigen Umfragen in der Kongressbranche, dann wird grundsätzlich rational entschieden. Verkehrsanbindung, Hotelangebot, Preis u. v. m. stehen bei den Befragungen immer ganz oben. Image eines Ortes, touristische Attraktivität, Nachtleben, Shopping sind zweitrangig. Der berühmte Pharmakodex verteufelt die Vergabe an solche Destinationen. Was passiert aber in der Realität, die touristischen Destinationen wie z. B. Berlin boomen und haben eine magische Anziehungskraft. Wir wollen es nur nicht zugeben. Leidet unsere Branche unter dem McDonald’s Syndrom?

Fragt man tiefer, so wird als tatsächliches Entscheidungskriterium der angebliche Wunsch des angepeilten Teilnehmers, in einer touristisch attraktiven Destination zu tagen, als Begründung angegeben.

Der angebliche Wunsch! Gehen wir diesem mal auf den Grund.

Was will ein Veranstalter einer Tagung oder eines Kongresses erreichen? Er will einmal Wissen vermitteln, er will Networking unter den Teilnehmern erreichen, er will die Teilnehmer über neue Produkte und Dienstleistungen informieren und er möchte natürlich eine maximale große Zahl an Teilnehmern.

Der Teilnehmer möchte dieses Wissen, die Informationen und das Networking in kürzester Zeit in einer entsprechenden Qualität vermittelt bekommen und wenn möglich zu einem akzeptablen Preis
erhalten.

Rationale und sehr verständliche Kriterien, die aber, wie die Erfahrung zeigt, in der Praxis besonders seitens des Veranstalters durch eine Überdeckung der emotionalen Faktoren missachtet werden. Der Glaube, eine starke emotionale Destination reiche aus, um die entsprechende Anzahl von Teilnehmern zu akquirieren, sollte  der Vergangenheit zuzurechnen sein.

Bei der Auswahl einer Destination sollten die Ziele der Veranstaltung vorher klar definiert werden.

  • Wer ist mein potenzieller Teilnehmer?
  • Wie viele dieser Teilnehmer schätze ich zu erreichen?
  • Wie lautet meine Botschaft?
  • Welche Ziele verfolge ich in Bezug auf den potenziellen Teilnehmer?
  • Welche dramaturgischen Mittel wende ich für die Übermittlung meiner Botschaft an?

Weitere wichtige Faktoren sind eng mit der Beantwortung der folgenden Fragestellungen verbunden.

  • Stehe ich mit der Veranstaltung im Wettbewerb zu anderen Veranstaltern oder Veranstaltungen?
  • Wird der Teilnehmer eingeladen oder verpflichtet oder muss er für die Teilnahme selbst bezahlen?

Aus diesen Fragestellungen lassen sich leicht die einzelnen Arten von Veranstaltungen und die notwendigen Entscheidungskriterien für eine Destination herauslesen. Dies können die geografischen Einzugsgebiete der Teilnehmer sein, die Art der Dramaturgie gibt den Typ der dafür am besten geeigneten Location vor, Abgeschlossenheit, Motivation, Gruppenzugehörigkeit, reine Wissensvermittlung oder steht das Networking unter den Teilnehmern im Vordergrund, Parallelsessions versus Plenarveranstaltung oder aktive Gruppenarbeit und aktive Beteiligung der Teilnehmer, Selbstzahler oder Eingeladene.

Für den zukünftigen Erfolg einer Tagung sollten grundsätzlich vier Faktoren in Bezug auf den Teilnehmer und dessen Entscheidungsphasen berücksichtigt werden. Diese Entscheidungsphasen und Prüfsteine gelten noch stärker z. B. für einen Arbeitgeber, der die Kosten einer Teilnahme übernimmt. Bei emotional aufgeladenen touristischen Destinationen wird eine Entsendung in den Personal- oder Chefetagen als kritisch angesehen.

Für den Veranstalter selbst gelten zusätzliche Faktoren, wie Qualität der Location, Preis für Raummieten, Catering und Übernachtungskosten und Servicequalität. Diese einzelnen Faktoren zu berücksichtigen und in entsprechender Gewichtung zueinander zu bringen, würde theoretisch zu einem vernünftigen und rationalen Ergebnis führen.

Die Praxis zeigt allerdings, dass gleich, ob es um Verbands- und/oder Firmentagungen geht, die o. a. Grundüberlegungen nur rudimentär entwickelt werden. Bei Firmentagungen werden Destinationsentscheidungen zwar immer stärker nach diesen rationalen Kriterien vorbereitet, doch die Entscheidung in den nächsthöheren Ebenen der Unternehmen fallen in der Regel nach emotionalen Gesichtspunkten, wie Sympathie und Antipathie zu einer Destination.

Bei mehr als 80 Prozent der Verbände, so zeigt die Erfahrung, entscheiden die Vorstände nicht nach rationalen Faktoren, sondern ausschließlich emotional. Ja, im Gegenteil, es werden Destinationen ausgewählt, nicht weil sie für die Durchführung einer erfolgreichen Tagung geeignet sind, sondern weil das hochverdiente Mitglied kurz vor der Altersgrenze noch die Ehre haben soll, Gastgeber zu sein. Erst im Nachhinein wird dann festgestellt, dass für die Tagung mit mehr als 500 Teilnehmern z. B. nicht genügend Hotelzimmer zur Verfügung stehen oder die Ausstellungsfläche und die Raumanzahl nicht den tatsächlichen Notwendigkeiten eines seriösen wissenschaftlichen Programms entsprechen. Erstaunlicherweise spielt auch der Preis in diesen Fällen nur eine geringe Rolle. Wie oft begegnet man Provisorien wie Zelten, künstlichen Raumkonstruktionen in Messehallen, die einer adäquaten Unterbringung und Abwicklung einer Tagung erheblichen Abbruch tun.

Mit solchen Angeboten und Entscheidungen wird die Zukunft der Tagung erheblich aufs Spiel gesetzt, die Sponsoren und Industrieaussteller verprellt und die Teilnehmer und Referenten gezwungen, sich mit Gegebenheiten wie z. B. lange und umständliche An- und Abreise, keine den heutigen Ansprüchen entsprechenden Tagungsräume z. B. mit Tageslicht und der notwendigen Technik abzufinden. Der Tagungspräsident strahlt, wenn aus Höflichkeit am Ende der Tagung Lob über ihn ausgeschüttet wird. Lob, das keine zwei Tage nachhält, das aber die nächste Tagung stark beeinträchtigen wird.

Fragen wie: in welche Orte und Destinationen würden die Teilnehmer gerne gehen, sind sinn- und zwecklos, da alle Faktoren für eine erfolgreich durchzuführende Tagung mit der notwendigen Zielerfüllung der Wissensvermittlung unberücksichtigt bleiben. Die hier aufgeführten ökonomischen Auswahlprinzipien für einen Teilnehmer werden immer stärkere Beachtung finden und ein erfolgreicher Veranstalter wird sich diesen zukünftig unterwerfen müssen. Nicht der Bauch sollte entscheiden, sondern der Kopf oder anders gesagt,  der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. 

Es ist in jedem Fall zu empfehlen, dass bei jeder Tagung eine entsprechende Checkliste erstellt wird, die folgende Faktoren  enthalten sollte.

  1. Teilnehmerstruktur, Herkunft und Anzahl
  2. Evaluierung des wissenschaftlichen Programms Das Qualität aber auch Quantität der Besucher je Session festhält.
  3. An- und Abreisemöglichkeiten, Verkehrsmittel und Zeiträume
  4. Hotel- und Übernachtungsfrequenz, Zahl der Übernachtungen
  5. Evaluierung der Location durch die Teilnehmer, aber auch durch die Organisatoren nach Anzahl der Räume, Raumqualität (Zuschnitt, Tageslicht, Akustik, Deckenhöhe, Bestuhlung) und Qualität der Medientechnik sowie des Services.

Zeitökonomisches Prinzip

  • Habe ich die Zeit, um zu dieser Tagung oder Kongress zu gehen?
  • Hier sind für die Veranstalter zu berücksichtigen:
  • An- und Abreisezeit
  • Verkehrsanbindung und Verkehrsträger
  • Dauer der Tagung als solches

Qualitätsökonomisches Prinzip

  • Entspricht die inhaltliche Qualität dem, was geboten wird?
  • Ist der praktische Wissensaustausch unter den Teilnehmern gewährleistet?

Preisökonomisches Prinzip

  • Stimmt das Preis -Leistungs-Verhältnis, wobei Tagungsgebühr, An- und Abreise, Übernachtungs- und Verpflegungspreis einbezogen werden müssen?
  • Gibt es gleichwertige Alternativveranstaltungen?

Emotionale und/oder Abhängigkeitsbindungen zum Veranstalter

  • Mitglied zum Beispiel des veranstaltenden Verbandes
  • Mitarbeiter der veranstaltenden Firma (Mitarbeitertagung)
  • Kunde (BtoB/BtoC)  der veranstaltenden Firma z. B. Markentreue
  • Emotionale Faktoren, die außerhalb der eigentlichen Tagung liegen, wie die          
  • Attraktivität der Destination
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