Der Titel des Buchklassikers „Das Feuer großer Gruppen“ von Roswitha Königswieser und Marion Keil (2000, Klett-Cotta-Verlag) bringt es auf den Punkt: Große Gruppen von 30 bis zu mehreren Hundert Personen können eine ungeheure Kraft, Dynamik und Energie entwickeln. Spezifische Großgruppenkonferenztechniken ermöglichen eine direkte Beteiligung aller Anwesenden zur Entwicklung gemeinsamer Visionen und Zukunftsperspektiven oder zur Lösung komplexer Problemstellungen; immer verbunden mit einer hohen Identifikation für das gemeinsame Ergebnis und einer Stärkung des Gemeinschaftsgefühls. Die Einsatzmöglichkeiten dafür sind auch in Verbänden groß, sei es zur Gestaltung von Jubiläen oder Delegierten- oder Mitgliederversammlungen, sei es als zentrales Prozesselement bei der Erarbeitung von Leitbildern oder Umfeldanalysen oder im Rahmen eines Fusionsprozesses.
Die genaue Kenntnis der verschiedenen Methoden und ihrer Einsatzmöglichkeiten sowie eine sehr sorgfältige Vorbereitung sind die entscheidenden Erfolgsfaktoren. Daher stellt dieser Artikel den Start einer Serie im Verbändereport zu diesem Thema dar. In der vorliegenden Ausgabe erhalten Sie einen ersten Überblick über die Grundprinzipien und die Einsatzmöglichkeiten von Großgruppenveranstaltungen im Verband. In den nächsten Ausgaben des Verbändereports wird Ihnen jeweils eine Methode detailliert vorgestellt und mit konkreten Beispielen veranschaulicht.
Große Veranstaltungen mit mehr als 30 Personen sind im Verbandsalltag häufige Praxis, genannt seien „Routinesitzungen“ der Organe mit vielen Teilnehmern (z.B. Delegierten-/Mitgliederversammlungen oder Sitzungen von Fach-/Regionalgruppen), spezifische Veranstaltungen im Rahmen von Jubiläen, Restrukturierungsprozessen, Fusionen, zur Erarbeitung von Leitbildern oder Führungskonzepten oder allgemein die gemeinsame Erarbeitung von Lösungen für komplexe Problemstellungen. Immer stellt sich dabei die Frage, wie eine Vielzahl von Teilnehmenden in eine echte Diskussion mit breiter Beteiligung eingebunden werden können. Oft bleiben dann eben nur der Vortrag von vorn und die Bitte ins Plenum, Fragen zu stellen. Mit dem Ergebnis, dass nur einige wenige und häufig nur die immer gleichen sich melden.
Demgegenüber zeigen viele Erfahrungen, dass spezifisch gestaltete Großgruppenveranstaltungen sich vor allem durch vier Effekte auszeichnen:
- Wirklich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen zu Wort und können sich mit ihrer Meinung und ihrem Wissen einbringen, ohne dass der zeitliche Rahmen gesprengt wird.
- Das gemeinsame Arbeiten mit vielen Menschen in einem Raum an einem Thema und das gemeinsame Finden von Ergebnissen, Lösungen oder Perspektiven schaffen eine hohe Identifikation mit dem Ergebnis und eine deutlich höhere Bereitschaft, an deren Umsetzung mitzuwirken.
- Wenn die Gestaltung der Großgruppe durch kreative (auch unerwartete) Elemente bereichert wird, entstehen – vielleicht nach einer gewissen Schrecksekunde – Energie und Lebendigkeit, an die sich die Teilnehmer zum Teil noch Jahre später deutlich und sehr positiv erinnern.
Durch die bei einigen Methoden bewusste Ausweitung der üblichen Teilnehmergruppen auf Vertreter aller relevanten internen und externen Austauschpartner („Das ganze System in einem Raum“) wird das vielfältige Beziehungsnetz eines Verbandes mit den jeweils unterschiedlichen Perspektiven und Interessen sicht- und integrierbar.
Alle diese Elemente zusammen lassen tatsächlich etwas entstehen, was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann als eine sehr positive emotionale Erfahrung im lebendigen, sich gegenseitig bereichernden Austausch beschreiben, mit Ergebnissen, hinter denen sie persönlich stehen und für die sie sich engagieren wollen.
Werbe-Cafe-Methode
Das am einfachsten anzuwendende Verfahren aus der Kategorie Methoden für Großgruppenveranstaltungen ist das sogenannte World Cafe, mit der beispielsweise eine Mitgliederversammlung lebendiger und teilnehmerorientierter gestaltet werden kann. Themen, bei denen es zu einer gemeinsamen Willensbildung kommen soll, können in Form eines „Workshopteils“ im Rahmen der Versammlung mit der World-Cafe-Methode diskutiert werden. Das Grundprinzip besteht darin, dass sich die Großgruppe in beliebig viele Untergruppen jeweils mit einem eigenen Teilthema aufteilt und dass die Teilnehmer in Zyklen von Thema zu Thema frei wechseln können. Kommen sie in eine neue Gruppe, erfahren sie dort von einem Moderator, was vorher diskutiert wurde – sie können korrigieren, vertiefen und ergänzen. Dadurch hat jeder die Möglichkeit, sich aktiv an der Diskussion von mehreren Teilaspekten zu beteiligen, und es entstehen als weiterer Mehrwert Links zwischen den Themen – was am Tisch A erarbeitet wurde, bringt ein Teilnehmer als Wissen mit zum Tisch B und kann dessen Thematik entsprechend befruchten.
Die Methode der Zukunftswerkstatt
Die Methode der Zukunftswerkstatt (heute oft in der Variation als Zukunftskonferenz) ist bereits in den Siebzigerjahren entstanden und diente damals vor allem zur Einbindung und breiten Beteiligung in politischen Planungsprozessen. Sie ist besonders geeignet, um mit einer Gruppe von bis zu 100 Personen eine gemeinsame tragfähige Zukunftsvision zu entwickeln und erste Schritte der Umsetzungsplanung abzustimmen bzw. zu priorisieren.
Ihre Einsatzmöglichkeiten im Verband sind daher immer Sonderveranstaltungen zum Beispiel zu Beginn eines Leitbildprozesses, im Rahmen einer Fusion oder aus Anlass eines Jubiläums und richten den Blick – wie der Name schon sagt – in die Zukunft. Die typischen Leitfragen dazu sind: Welche Vision haben wir von unserem Verband in 10 Jahren und wie kommen wir dahin? Wie sieht nach der Fusion unser gemeinsames neues Zukunftsbild aus und was wollen wir gemeinsam erreichen? Wenn unser Verbandsjubiläum nicht nur Anlass sein soll zurückzublicken, wie sehen wir dann unsere Perspektiven, unsere Ziele für die nächsten 10/20 Jahre? Methodisch vollzieht sich der Arbeitsprozess in 3-5 Phasen, deren Herzstück immer eine kreative Arbeitsphase in mehreren Untergruppen ist.
Die Methode Open Space
Eine völlig andere „Indikation“ hat die Methode Open Space. Sie ist immer dann hervorragend geeignet, wenn viele für ein gemeinsames Thema engagierte oder von einer gemeinsamen Problemstellung betroffene Menschen Lösungsvorschläge erarbeiten und später auch umsetzen sollen. Der hochwirksame Clou der Open-Space-Methode ist dabei, dass die Veranstalter sich nicht – wie sonst üblich – Arbeitsthemen für Untergruppen schon vorher überlegen und dann die Veranstaltung entsprechend strukturieren. Sie lassen sich im Gegenteil darauf ein, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre eigenen Fragen, Impulse, Themenvorschläge mitbringen, und schaffen im Open Space – wie der Name schon sagt – lediglich einen optimalen offenen Raum, in dem jeder das diskutieren kann, was ihn am meisten interessiert. Am Schluss stehen dann eine Zusammenfassung und eine gemeinsame Priorisierung der Teilergebnisse. Dass bei Open-Space-Veranstaltungen, die bei Bedarf mehrere Hundert Personen umfassen können, den Spielregeln für diese Selbstorganisation, einer klaren zeitlichen und räumlichen Struktur sowie einer überzeugenden Moderation besondere Bedeutung zukommen, ist offensichtlich. Ihre Einsatzmöglichkeiten im Verband sind immer dann gegeben, wenn zum Beispiel im Rahmen einer Fach- oder Delegiertenversammlung Lösungsideen für eine gemeinsame übergreifende Fragestellung gesucht werden oder wenn am Ende eines Leitbild- oder eines Umstrukturierungsprozesses konkrete Umsetzungsschritte erarbeitet werden. Auch wenn bei einem Kongress nicht der Input von Experten, sondern der Erfahrungsaustausch untereinander im Vordergrund stehen soll, eignet sich die Methode Open Space hervorragend für die Gliederung des Ablaufs und der Gestaltung.
Erfolgsfaktoren
Damit die oben beschriebenen positiven Effekte auch wirklich eintreten, sind allerdings drei Voraussetzungen nötig:
- Die Indikation muss stimmen, d. h., die zu einem bestimmten Anlass gewählte Methode muss hierfür auch wirklich geeignet und in die Kultur des Verbandes integrierbar sein.
- Eine qualifizierte Projektbegleitung und externe Moderation gibt im Wagnis der neuen Methodik die nötige Sicherheit und Überzeugungskraft.
- Die Großgruppenkonferenz muss in einen Prozess eingebettet sein.
Wir bekommen als Berater immer wieder die Anfrage nach einer einzelnen (Großgruppen) Moderation, ohne dass die Vor- und Nachbereitung der Veranstaltung ausreichend im Blick sind. Es gilt die Regel: Je größer die Gruppe und je innovativer die Methode für den Verband, desto anspruchsvoller ist die Vorbereitung. Über die präzise Vorbereitung hinaus ist es für die Teilnehmer in der Veranstaltung sehr wichtig zu erfahren, wie der Prozess weitergeht und wer die Verantwortung für die Aufbereitung und die Umsetzung der Ergebnisse in die Praxis hat. Starke positive Gefühle der Identifikation mit dem gemeinsamen Ergebnis können schnell in herbe Enttäuschung umschlagen, wenn die Energie und die Impulse der Großgruppenveranstaltung anschließend nicht gewürdigt werden und deren Impulse versanden.
In den nächsten Ausgaben des Verbändereports und im Rahmen des Verbändekongresses 2012 werden die hier skizzierten Formen von Großgruppenveranstaltungen Word Cafe, Zukunftswerkstatt bzw. Zukunftskonferenz und Open Space, jeweils einzeln genauer vorgestellt. Sie erfahren, für welche Situation und Problemstellung im Verband welche Methode am besten geeignet ist, auf welche Aspekte der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung Sie achten müssen und wie Sie eine Großgruppenveranstaltung ganz praktisch durchführen können.