Verbändereport AUSGABE 3 / 2010

Die Krisenkommunikation deutscher Verbände

Instrumente, institutionelle Rahmenbedingungen und wahrgenommene Krisengefährdung

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Während in der Vergangenheit eine Reihe von Studien erschienen, die die kommunikative Vorbereitung von Unternehmen auf Krisen und die entsprechenden institutionellen Rahmenbedingungen der Krisen-PR untersuchten, wurden zur Relevanz und Situation der Öffentlichkeitsarbeit in deutschen Verbänden – mit wenigen Ausnahmen (vgl. Sebaldt 2002) – kaum wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt. Auch im englischsprachigen Raum wurde die Krisenkommunikation von Verbänden bisher wenig erforscht. Der europaweite Wettskandal im Deutschen Fußball-Bund, die Anti-Nestlé-Kampagne von Greenpeace, der Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden Käßmann oder die Rolle des Bundesverbandes deutscher Banken in der internationalen Finanzkrise haben in jüngerer Vergangenheit jedoch gezeigt, dass Krisenkommunikation zu den zentralen Herausforderungen für Verbände gehört.

Dieses Forschungsdefizit bildete daher den Ausgangspunkt einer Befragungsstudie, in der die Krisenkommunikation deutscher Verbände näher untersucht wurde. Grundlage war eine Zufallsstichprobe von 122 deutschen Verbänden aller Handlungsfelder und ihrer jeweils leitenden PR- bzw. Kommunikationsverantwortlichen. Im Mittelpunkt des Interesses standen die Verfügbarkeit und der wahrgenommene Nutzen von Instrumenten der Krisenkommunikation, die Relevanz von neueren webbasierten Kommunikationsplattformen im Krisenkontext, der Einfluss von PR-Verantwortlichen im Krisenfall sowie die wahrgenommene Krisenbedrohung der Verbände in Vergangenheit und Gegenwart.

Anlage der Studie

Ein vollständiges öffentliches Register deutscher Verbände und damit verlässliche Daten über die Grundgesamtheit liegen bislang nicht vor. Die umfangreichste Datenbank führt die DGVM mit ca. 14.000 Einträgen. Diese kann bis dato als verlässlichste Auswahlgesamtheit für repräsentative wissenschaftliche Erhebungen zu deutschen Verbänden eingestuft werden. Daher wurde aus dieser Datenbank eine Zufallsstichprobe von 1.500 Verbänden gezogen. Insgesamt wurden 1.268 Verbände via E-Mail angeschrieben. 144 Fragebögen wurden vollständig ausgefüllt (Rücklauf elf Prozent). 122 Fälle konnten in die Analyse einbezogen werden. Die Repräsentativität für deutsche Verbände ist aufgrund der Fallzahl im Verhältnis zur Grundgesamtheit nur eingeschränkt gewährleistet. Diese dürfte aber deutlich höher sein als in früheren Studien zur Öffentlichkeitsarbeit von Verbänden, die entweder nicht auf Zufallsstichproben bzw. sehr geringen Fallzahlen beruhten oder die Lobbyliste des Deutschen Bundestages als Auswahlgesamtheit verwendeten, in die sich nur ein Bruchteil der deutschen Verbände eingetragen hat (im Februar 2010 waren es 2.169 Verbände).

Zusammensetzung der Stichprobe

Unter den befragten Hauptverantwortlichen für Öffentlichkeitsarbeit in den Verbänden dominierten männliche Teilnehmer (65 Prozent) mit Hochschulabschluss (70 Prozent). Hinsichtlich der Größe der Verbände konnte eine große Spannweite abgedeckt werden. Die Zahl der individuellen Mitglieder erstreckte sich von null bis 333.000 Mitglieder, die Zahl der institutionellen Mitglieder von null bis 15.000. Knapp ein Fünftel der Verbände beschäftigte keine fest angestellten Mitarbeiter, während sechs Prozent angaben, keine ehrenamtlichen Mitarbeiter zu beschäftigen. Der größte Teil verfügte über ein bis zehn hauptamtliche Verbandsmitarbeiter (43 Prozent). Knapp 19 Prozent beschäftigten elf bis 50 Angestellte.

Darüber hinaus wurde die fachliche Zuordnung der Verbände erhoben. Die Befunde zeigen, dass in der Stichprobe Fachverbände (39 Prozent) und Branchenverbände (31 Prozent) dominierten. Dachverbände waren mit 16 Prozent und Spitzenverbände mit 8 Prozent vertreten. Hinsichtlich der Organisationsebene waren in der Stichprobe überwiegend Verbände der Bundesebene (47 Prozent) und der Landesebene (43 Prozent) vertreten.

Entsprechend der Klassifikation nach Handlungsfeldern der DGVM (vgl. Lietzau/Zitzmann 2008) wurden die Teilnehmer gebeten, ihren Verband zuzuordnen. Die resultierende Verteilung zeigte eine klare Dominanz von Verbänden im Handlungsfeld Arbeit und Wirtschaft (45 Prozent) gefolgt von Interessenvertretern im Gesundheits- und Sozialsektor (20 Prozent). Die mehrheitliche Zuordnung zu diesen Handlungsfeldern entspricht in etwa den Schätzungen der DGVM, siehe Tabelle 1 auf Seite 6. Die übrigen Handlungsfelder machten jeweils Anteile von weniger als zehn Prozent aus, wobei Verbände im Feld Gesellschaft und Politik leicht unterrepräsentiert waren. Elf Verbände konnten sich keinem bzw. mehreren Handlungsfeldern zuordnen.

Die Relevanz von Krisen für Verbände

Um die grundsätzliche Relevanz des Ressourceneinsatzes für Krisenkommunikation in den Verbänden zu beurteilen, wurde im Rahmen der Studie erfasst, in welchem Ausmaß die Organisationen von Krisen betroffen waren und welche Krisentypen am häufigsten auftraten. Kritisch anzumerken ist hier, dass die Befunde keine objektivierbaren Indikatoren liefern und auf subjektiven Einschätzungen der Befragten beruhen. Die Präzision der Angaben hängt hier u. a. von der Erinnerungsleistung, der Tätigkeitsdauer im Verband und der genauen Kenntnis der Branche bzw. der Mitglieder ab und kann nicht zwangsläufig vorausgesetzt werden.

Die Befunde zeigen, dass die strategische Krisenkommunikation und der damit verbundene notwendige Ressourceneinsatz durchaus relevant für deutsche Verbände sein sollten. Immerhin 54 Prozent der Befragten gaben an, in der Vergangenheit von krisenhaften Situationen betroffen gewesen zu sein. Im Anschluss wurde gefragt, wie häufig der Verband bzw. seine Mitglieder von Krisen betroffen waren. Dabei waren nach Einschätzung der PR-Verantwortlichen die Verbände selbst etwas weniger häufig von Krisen betroffen als ihre Mitglieder. Insgesamt wird die Häufigkeit der Konfrontation mit Krisen in der Vergangenheit als gering bis moderat eingestuft.

Im Anschluss wurden die PR-Verantwortlichen gebeten, die Art der Krisenereignisse anzugeben, von denen die Verbände betroffen waren. Am häufigsten haben Verbandskrisen ihre Wurzeln offenbar in den Verbänden selbst. Beinahe ein Drittel der Verbände war in der Vergangenheit in krisenhafte Auseinandersetzungen mit Mitgliedern verwickelt bzw. mit öffentlichkeitswirksamen Uneinigkeiten innerhalb des Verbandes konfrontiert, siehe Tabelle 2.

Als krisenhaft wurde in vielen Fällen auch eine negative Medienberichterstattung über die Verbände eingestuft. Etwas mehr als ein Fünftel aller Verbände ordnete diese Kategorie vergangenen Krisenereignissen zu. Die Nennung der Finanz- und Konjunkturkrise gemeinsam mit den sinkenden Mitgliederzahlen an dritter Stelle ist sicher der Dominanz von Arbeits- und Wirtschaftsverbänden, aber auch der im Untersuchungszeitraum noch akuten im Jahr 2008 ausgebrochenen internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise geschuldet.

Weitere relevante Krisenereignisse ergaben sich für die befragten Verbände aus ihrer Konkurrenz zu anderen Verbänden sowie der Verbreitung von Gerüchten und von aus Verbandssicht falschen Tatsachenbehauptungen. Die klassischen Krisentypen wie Betriebsunfälle, Produktrückrufe, Produktionsausfälle oder Umweltkatastrophen, die in der unternehmensbezogenen Krisenmanagementliteratur als häufige Form der Organisationskrise eingestuft werden, spielen für Verbände mit jeweils zwei oder weniger Nennungen kaum eine Rolle.

Die aktuelle Bedrohung durch Krisen wird von den Verbandskommunikatoren eher als gering eingestuft. Knapp 67 Prozent der Befragten schätzen diese Bedrohung aktuell als sehr gering bzw. gering ein. Damit korrespondiert die Einschätzung, wie gut die Verbände vor Krisen geschützt seien. Die PR-Verantwortlichen glauben zu 42 Prozent, ihr Verband sei gut bzw. sehr gut vor Krisen geschützt.

Ausstattung, Autonomie und Einfluss von PR in deutschen Verbänden

In der Forschung wird angenommen, dass ein höherer Stellenwert und eine höhere Autonomie von PR-Verantwortlichen ein effektiveres Krisenmanagement ermöglichen. In der vorliegenden Untersuchung wurden daher die Ausstattung der verbandlichen PR-Funktionen mit finanziellen und personellen Ressourcen, ihre hierarchische Stellung und ihr genereller Stellenwert im Verband erhoben. Darüber hinaus sollten die Befragten darüber Auskunft geben, inwiefern sie in Krisensituationen Einfluss auf verbandspolitische Entscheidungen nehmen können und Zugang zu verbandsinternen Informationen erhalten.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Verbände nicht üppig mit PR-Mitarbeitern ausgestattet sind. Etwas mehr als ein Viertel der Organisationen beschäftigt keinen fest angestellten PR-Verantwortlichen. Knapp ein Fünftel verfügt über keinerlei ehrenamtliche Mitarbeiter in diesem Bereich. Die meisten Verbände können auf einen (36 Prozent) bzw. zwei (12 Prozent) fest angestellte Öffentlichkeitsarbeiter zurückgreifen. Nur etwa zwölf Prozent leisten sich mehr als zwei bezahlte Mitarbeiter, während mehr als ein Viertel der Verbände mehr als zwei ehrenamtliche PR-Mitarbeiter beschäftigt, siehe Tabelle 3 auf Seite 8. Insbesondere die Anzahl der Festangestellten ist hier klar von der Größe des Verbandes abhängig.

Über das zur Verfügung stehende finanzielle Budget für Public Relations konnten nur 36 Verbände Auskunft geben. Die Angaben reichen hier von 100 bis 750.000 Euro jährlich, während in vier Fällen keinerlei Budget zur Verfügung stand. Insofern kann für die finanzielle Ausstattung hier keine genauere Analyse vorgenommen werden.

Die hierarchische Position der PR-Funktionen

Die hierarchische Position der PR-Funktionen wurde den Befragungsteilnehmern mithilfe von Organigrammen veranschaulicht, um eine möglichst genaue Zuordnung hinsichtlich der Verbandssituation zu ermöglichen, siehe Tabelle 4 auf Seite 8. Im Großteil der Verbände wird die PR-Funktion von der Geschäftsführung bzw. dem Verbandsvorstand selbst übernommen (41 Prozent). Ansonsten ist die Öffentlichkeitsarbeit im Wesentlichen als gleichrangige Abteilung (24 Prozent) oder Stabsstelle organisiert (23 Prozent). Verbände, in denen die Verbandsleitung die PR-Aufgaben übernimmt, sind im Durchschnitt signifikant kleiner als Verbände, in denen eine ausdifferenzierte PR-Funktion zu finden ist. Insofern ist die hierarchische Position der Public Relations insgesamt zwar relativ hoch. Dies ist aber offenbar vor allem auf den größenbedingten Mangel an Ressourcen für spezialisiertes PR-Personal bzw. PR-Abteilungen zurückzuführen.

Der aktuelle Stellenwert der PR innerhalb der Verbände

Neben diesen formalen Indikatoren wurden die Befragten um ihre Einschätzung des aktuellen Stellenwertes der PR innerhalb des Verbandes gebeten. Zusätzlich sollten sie bewerten, inwiefern dieser Stellenwert angemessen ist oder höher bzw. geringer ausfallen sollte. Im Durchschnitt wurde der Ist-Stellenwert der Öffentlichkeitsarbeit als eher hoch eingestuft. Insgesamt die Hälfte der Befragten attestierte einen hohen bzw. sehr hohen Stellenwert, siehe Abbildung 1 auf Seite 9. Lediglich in 16 Verbänden hatte PR einen geringen bzw. sehr geringen Stellenwert. Dennoch sind die PR-Verantwortlichen mit der Situation eher unzufrieden, da insgesamt ein höherer Soll-Stellenwert gefordert wurde. 79 Prozent der Befragten gaben an, dass in ihrem Verband die leitenden PR-Verantwortlichen in die strategischen Entscheidungen des Verbandes einbezogen werden. Auch in Verbänden, in denen nicht die Leitungsebene selbst die PR-Funktion innehat, trifft das überwiegend zu, nämlich in 52 von 66 Fällen.

Insofern ergibt sich ein geteiltes Bild im Hinblick auf die Voraussetzungen für eine effektiv funktionierende Krisen-PR in Verbänden. Während es offenbar einerseits in vielen Fällen an personellen und finanziellen Ressourcen fehlt, genießt die PR-Funktion insgesamt formal und subjektiv einen relativ hohen Stellenwert. Nichtsdestotrotz sind die Verbandskommunikatoren mit dem verbandsinternen Stellenwert der PR nicht zufrieden.

Der Einfluss der PR-Verantwortlichen auf die verbands­politischen Entscheidungen

Für den Krisenfall wird der Einfluss der PR-Verantwortlichen auf die verbandspolitischen Entscheidungen der Leitungsebene als hoch eingeschätzt. Das war in diesem Fall aber davon abhängig, ob die Verbandsleitung selbst für die PR verantwortlich ist oder gesonderte PR-Funktionen im Verband vorhanden sind. Für Letztere wurde dieser Einfluss als signifikant geringer eingestuft, liegt aber dennoch auf einem moderaten bis hohen Niveau. Unabhängig von der hierarchischen Einbettung der Öffentlichkeitsarbeit gaben die Befragten an, die im Krisenfall benötigten Informationen vollständig und schnell zu erhalten. Insofern ist der Informationszugang in Krisensituationen subjektiv gewährleistet.

Verbreitung und Effektivität von Krisen-PR-Instrumenten

Darüber hinaus war von Interesse, in welchem Umfang die Verbände mit standardisierten Instrumenten der Krisenkommunikation ausgestattet sind und wie Kommunikationsverantwortliche deren Effektivität im Krisenfall bewerten. Dabei wurden in der vorliegenden Studie Instrumente zur Krisenprävention bzw. Früherkennung (z. B. Issues Scanning), Instrumente zur Vorbereitung auf akute Krisen (z. B. Krisenpläne) und Instrumente zur Nachbereitung von Krisen (Krisen-PR-Evaluation) erfasst. Aufgrund der Budget-Knappheit und des breiteren Spektrums an Stakeholdern, die Verbände im Vergleich zu kommerziellen Organisationen berücksichtigen müssen, wird häufig der verstärkte Einsatz von Online-Kommunikation für Non-Profit-Organisationen empfohlen. Daher wurde hier gesondert die Relevanz von Instrumenten der Online-PR, insbesondere von Web-2.0-Plattformen, für die verbandliche Krisenkommunikation erfasst, da diese vergleichsweise kostengünstig sind und partiell einen hohen Grad an Interaktivität erlauben.

Neben einfachen Kontaktsammlungen (47 Prozent), die aber nur eingeschränkt als spezifisches Kriseninstrument gewertet werden können, fanden sich in den Verbänden insbesondere Instrumente der Früherkennung bzw. Krisenprävention, siehe Tabelle 5 auf Seite 10. Issues Scanning, also die ungerichtete Suche nach verbandsrelevanten Problemthemen bzw. Krisenpotenzialen in der Medienberichterstattung oder bei Anspruchsgruppen, nutzen die Verbände nach Auskunft der Befragten in 46 Prozent der Fälle und damit am häufigsten. Das systematische Monitoring von bereits identifizierten Problemthemen wurde von etwas mehr als einem Drittel der Verbände eingesetzt (36 Prozent).

Dabei greifen die PR-Verantwortlichen der Verbände, die Issues Scanning oder Issues Monitoring verwenden (n = 73), vor allem auf das Internet als Informationsquelle zur Identifikation und Beobachtung von Issues zurück (93 Prozent), siehe unten Tabelle 6, gefolgt von Zeitungen mit 85 Prozent der Verbände. Neben medialen Quellen spielen hier auch persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Insbesondere Experten (74 Prozent) und Politiker (64 Prozent) werden angesprochen, um potenzielle Problemthemen und Krisenherde zu identifizieren. Zu Journalisten wird indes eher selten Kontakt aufgenommen (acht Prozent).Im Mittelfeld der eingesetzten Krisen-PR-Instrumente liegen Maßnahmen zur Vorbereitung auf akute Krisen. Knapp ein Drittel der PR-Verantwortlichen gab an, Krisenszenarien zu entwerfen, gefolgt von Krisenplänen und Krisenstäben, die jeweils von 27 Prozent der Verbände eingesetzt werden. Der Befund zur Implementierung von Krisenplänen deckt sich weitgehend mit Studienergebnissen zur Krisen-PR von deutschen Unternehmen. Studien haben jedoch gezeigt, dass etwa die Hälfte der befragten deutschen Unternehmen mit Krisenstäben und damit besser als die hier untersuchten Verbände ausgestattet ist.

Eine deutlich geringere Bedeutung hatte nach Auskunft der Befragten die praktische Vorbereitung des Verbandspersonals auf Krisen. Medientrainings wurden in 18 Prozent der Fälle und umfangreichere -Krisenübungen zur Simulation von Krisenszenarien unter realitätsnahen Bedingungen lediglich in drei Prozent der Fälle genutzt.

Immerhin ein Viertel der Befragten gab an, dass im Verband eine Erfolgskontrolle der eingesetzten Krisen-PR-Maßnahmen durchgeführt wird. Die differenzierte Analyse der dabei verwendeten Evaluationsmethoden zeigte, dass hier im Wesentlichen Medienbeiträge gesammelt werden (Clippings). Knapp 81 Prozent der 31 evaluierenden Verbände gaben an, diese Form der Erfolgskontrolle für Krisen-PR-Maßnahmen einzusetzen. Medienresonanzanalysen und Stakeholder-befragungen wurden jeweils von 13 Verbänden durchgeführt (42 Prozent). Nur in zehn Verbänden gehören Reputationsanalysen zum Repertoire der Krisenevaluation, gefolgt von fünf Verbänden, in denen Werbeäquivalenzberechnungen durchgeführt werden.

Zusätzlich zur Angabe, ob bestimmte Instrumente zur Krisen-PR eingesetzt werden, sollten die Befragten auf Basis ihrer Erfahrung deren Nutzen bzw. Effektivität im Krisenfall einschätzen. Die Beurteilungen fielen hier durchweg positiv aus. Als am nützlichsten wurden Issues Monitoring, Kontaktsammlungen und Medientrainings bewertet. Als weniger effektiv, aber im Durchschnitt dennoch nützlich stuften die PR-Verantwortlichen Textbausteine für den Krisenfall, Issues Scanning und die Entwicklung von Krisen-Szenarien ein, siehe Tabelle 5 auf Seite 10.

Das Internet in der Krisen­kommunikation von Verbänden

Ein großes Potenzial zur Entwicklung leistungsfähigerer Formen der Krisenkommunikation von Organisationen wird in der Krisenkommunikationsforschung für das Internet als Plattform für tradiertere asymmetrische und interaktiv-dialogorientierte Formen der Krisen-PR vorhergesagt. Das Internet als Kommunikationsraum ist potenzielle Quelle von Organisationskrisen. Aus Organisationssicht ermöglicht es aber auch, die Entwicklung von Krisen frühzeitig zu beobachten (z. B. Protestseiten, Konsumentenforen, Weblogs). Darüber hinaus bietet die Online-Kommunikation nützliche Instrumente, um ein breites Spektrum von Anspruchsgruppen direkt oder indirekt anzusprechen. In der vorliegenden Studie wurde überprüft, inwiefern das Internet im Rahmen der Krisenkommunikation von Verbänden bereits eingesetzt wird bzw. welche Bedeutung neueren sogenannten Web-2.0-Instrumenten bei der Beobachtung und Ansprache von Stakeholdern im Krisenkontext beigemessen wird.

Die Analyse der eingesetzten Krisen-PR-Instrumente hat bereits gezeigt, dass das Internet als Hauptquelle für das -Issues Management der Verbände dient. Als weiteres gängiges internetbasiertes Instrument der Krisenkommunikation gelten sogenannte Darksites, die für bestimmte Krisenszenarien vorbereitet und im Krisenfall online gestellt werden. Diese wurden nur von drei der hier untersuchten Verbände genutzt und spielen damit kaum eine Rolle. In einem gesonderten Abschnitt des Fragebogens sollten die PR-Verantwortlichen einschätzen, wie wichtig eine Reihe von webbasierten Anwendungen und Instrumenten für ihre verbandsbezogene Krisenbeobachtung bzw. ihre Ansprache von Stakeholdern in Krisen ist. Dabei wurden klassische Formen der Internetkommunikation (Homepages der Verbände und von Anspruchsgruppen, Nachrichtenportale) und neuere z. T. interaktive Online-Plattformen berücksichtigt (soziale Netzwerke/Foren, Weblogs, Twitter, Videoportale, Video- und Audiopodcasts).

Die Befunde zeigen, dass Verbände insbesondere ihre eigenen Homepages als wichtiges Instrument zur Ansprache von Stakeholdern im Krisenkontext einstufen, siehe unten Tabelle 7. Sogenannte Web-2.0-Anwendungen wurden als nahezu irrelevant bewertet. Lediglich soziale Netzwerke, Foren bzw. Communitys sind von moderater bis erhöhter Bedeutung für die Verbandskommunikatoren. Ein ähnlicher Befund ergab sich für das Internet als Beobachtungsplattform im Krisenkontext. Als am wichtigsten wurden hier die Homepages von Anspruchsgruppen und Nachrichtenportale eingestuft. Auch soziale Netzwerke sind hier noch vergleichsweise wichtig. Podcasts, Twitter und Videoportale sind wiederum nahezu irrelevant. Selbst Weblogs sind aus Sicht der PR-Verantwortlichen nicht sonderlich bedeutsam für die Krisenbeobachtung der befragten Verbände.

Insofern ist das Bild geteilt. Klassische Plattformen für primär asymmetrische Kommunikation (Homepages, Nachrichtenmedien) werden offenbar intensiv sowohl für die Stakeholderbeobachtung als auch für deren Ansprache genutzt. Technisch innovativere Formen der Online-Krisenkommunikation im Web 2.0 sind aus Sicht der Verbände aber beinahe bedeutungslos.

Resümee und Fazit

Die institutionellen Voraussetzungen für ein erfolgreiches Krisenmanagement im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit von Verbänden können als ambivalent bewertet werden. Die Verbände sind im Durchschnitt eher schlecht mit spezialisiertem PR-Personal ausgestattet. Ein Viertel der Organisationen verfügt über keinerlei fest angestelltes Personal für Öffentlichkeitsarbeit. Insbesondere größere Verbände sind hier im Vorteil. Andererseits konnte gezeigt werden, dass der PR-Arbeit grundsätzlich ein hoher Stellenwert zugeschrieben und sie überwiegend in strategische Entscheidungen einbezogen wird. Dies gilt unabhängig davon, ob die Leitungsebene oder gesondertes Personal für die PR zuständig ist. Damit werden die Befunde früherer Studien validiert, die eine hohe Gewichtung der Öffentlichkeitsarbeit in Verbänden andeuteten. Dazu gehört die Erkenntnis, dass Image bzw. Reputation als wichtige Erfolgsfaktoren (vgl. Witt et al. 2006: 60) und die Medien als zentrale Kontaktpartner eingestuft werden. Trotz des hohen Stellenwertes der PR sehen die Verbandsfunktionäre hier aber noch deutlichen Verbesserungsbedarf.

Formalhierarchisch ist die PR-Funktion insgesamt relativ hoch angesiedelt und wird entweder von der Verbandsleitung selbst verantwortet oder ist als Stabsstelle auf Geschäftsführungsebene bzw. als gleichrangige Abteilung institutionalisiert. Insbesondere in kleineren Verbänden muss häufig die Verbandsleitung die Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit übernehmen. Das sichert zwar den nötigen Handlungsspielraum bzw. die Verzahnung mit verbandspolitischen Entscheidungen im Krisenfall, andererseits dürfte die Öffentlichkeitsarbeit damit häufig qualitativ ins Hintertreffen geraten, da beispielsweise Geschäftsführer ein sehr breites Aufgabenspektrum bewältigen müssen, dass auch in Krisen weit über PR hinausgeht.

Bezogen auf (potenzielle) Krisenfälle in Verbänden verfügen die leitenden Kommunikationsverantwortlichen insgesamt über einen relativ hohen wahrgenommenen Einfluss auf verbandspolitische Entscheidungen. Auch der Informationszugang wird in Krisensituationen als weitgehend gesichert eingestuft. Allerdings müssen PR-Maßnahmen und Entscheidungen im Krisenfall meistens mit Vertretern der Verbandsleitung abgestimmt werden. Hier kommt es nach Auskunft der Befragten aber nur sehr selten dazu, dass die entsprechenden Vorschläge und Maßnahmen geändert oder verworfen werden. Insofern können PR-Verantwortliche im Krisenfall nur bedingt eigenständige Entscheidungen treffen und müssen zeitliche Verzögerungen durch entsprechende Abstimmungsprozesse in Kauf nehmen. Allerdings können diese Abstimmungsprozesse durchaus funktional sein, da so inkonsistente öffentliche Aussagen von Verbandsvertretern eher vermieden werden.

Die Befragung hat gezeigt, dass etwas mehr als die Hälfte der Verbände in der Vergangenheit bereits mit Krisen konfrontiert war. Daher kann Krisenkommunikation bzw. Krisenprävention durchaus als relevantes Feld für Investitionen und Verbesserungen eingestuft werden. Am häufigsten wurden die Verbände mit Krisen konfrontiert, die auf interne, aber öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzungen mit Verbandsmitgliedern zurückgehen. In diesem Zusammenhang wurden auch sinkende Mitgliederzahlen und die Verlagerung von Mitgliederinteressen unter den sechs häufigsten Krisentypen genannt. Das zeigt, dass Verbände oft damit beschäftigt sind, die eigene kollektive Handlungsfähigkeit auch nach außen aufrechtzuerhalten. Da Verbände als Interessenorganisationen von „unten“ konstituiert werden und Entscheidungsprozesse demokratisch organisiert sind, können Mitglieder hier mit Austritt drohen, wenn sie ihre Interessen nicht mehr angemessen vertreten sehen. Während sich Arbeitsorganisationen (z. B. Unternehmen) weitgehend über die Interessen ihrer Mitglieder hinwegsetzen können, müssen Verbände „geradezu hinausposaunen, dass ihnen das Wohl jedes einzelnen Mitglieds am Herzen liegt“ (Schimank 2002b: 46). Offenbar haben deutsche Verbände Probleme, ihre eigene kollektive Handlungsfähigkeit zu sichern, und geraten dadurch in krisenhafte Situationen. Dies mag u. a. auf bei größeren Verbänden kaum zu vermeidende Oli-garchisierungstendenzen zurückzuführen sein, bei denen sich die Führung in Verbänden sukzessive (zu weit) von ihrer Mitgliederbasis entfernt (vgl. Schimank 2002a: 313).

Das Internet spielt in der verbandlichen Krisenkommunikation eine relativ wichtige Rolle. Verbände erachten hier insbesondere die eigene Homepage bzw. die Internetauftritte der Anspruchsgruppen, Online-Nachrichten, aber auch soziale Netzwerke, Communitys und Foren als bedeutsame Plattformen zur Beobachtung und Ansprache von Stakeholdern im Krisenkontext. Im Rahmen des Issues Managements ist das Internet inzwischen die Hauptinformationsquelle. Neuere Instrumente (Weblogs, Videoportale, Twitter, Podcasts) sind indes nahezu irrelevant. Spezifische webbasierte Instrumente der Krisenkommunikation wie Darksites sind praktisch nicht vorhanden. Künftige nicht deskriptiv angelegte Studien sollten hier versuchen zu klären, inwiefern der Einsatz solcher Instrumente im Krisenfall tatsächlich effektiv ist und den Einsatz von zeitlichen sowie finanziellen Ressourcen rechtfertigen würde.

Die Gesamtausstattung der Verbände mit Instrumenten der Krisen-PR ist durchaus verbesserungsbedürftig. Der überwiegende Teil beschränkt sich hier auf ein bis drei Instrumente, während 16 Prozent keinerlei Maßnahmen im Vorfeld von Krisen ergreifen. Erstere setzen überwiegend nur einfache Kontaktsammlungen oder Formen des Issues Managements ein. Die Vorbereitung der Verbände auf den akuten Krisenfall fällt mager aus. Weniger als ein Drittel der Verbände fertigt Krisenszenarien an oder verfügt über Krisenpläne und Krisenstäbe. Selbst Medientrainings spielen eher eine untergeordnete Rolle. Angesichts des hohen Stellenwertes, den die Verbände ihrer Reputation beimessen, weist dies auf ein Defizit hin, das auf Basis der vorliegenden Daten nicht mit der Verbandsgröße und fehlendem PR-Personal erklärt werden kann. Deutsche Verbände sollten also in Zukunft stärker in Krisenprävention und Krisenkommunikation investieren, um ihren zentralen Erfolgsfaktor Image bzw. Reputation zu schützen. Oftmals geraten Verbände erst durch Krisen und Skandale in den Blickpunkt der Öffentlichkeit und können dann substanziell politische Einflusspotenziale bzw. Mitgliedervertrauen einbüßen. Die kommunikationswissenschaftliche PR-Forschung sollte hier künftig jedoch noch intensiver daran arbeiten, wissenschaftlich gestützte Erkenntnisse hervorzubringen, die Non-Profit-Organisationen helfen, kostengünstige und effektive Strukturen bzw. Strategien der Krisenkommunikation zu entwickeln. Bislang standen hier vor allem Unternehmen im Mittelpunkt des Interesses.

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