Wenig diskutiert in Literatur und Rechtsprechung ist bislang die Thematik der „faktischen Mitgliedschaft“ im Verein. Das Problem wird selten als solches erkannt. Dies verwundert angesichts der Tatsache, dass es in der Praxis sehr häufig auftaucht und erhebliche rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Vor allem bei Sportvereinen werden regelmäßig Mitgliedschaften angenommen, ohne dass das Mitglied tatsächlich formell dem Verein beigetreten ist („faktische Mitgliedschaft“). Dies kann schwerwiegende Folgen haben und birgt erhebliches Haftungspotenzial für die Vereinsorgane. Nicht nur im Bereich des Sports ist diese Frage übrigens brisant. Auch jeder sonstige Verein sollte sich mit der Thematik auseinandersetzen, um keine bösen Überraschungen zu erleben.
Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Eine „faktische Mitgliedschaft“ im Verein gibt es nicht. Eine Mitgliedschaft kann ausschließlich gemäß dem in der Satzung festgeschriebenen Prozedere begründet werden. Üblicherweise erfolgt der Beitritt durch einen (schriftlichen) Antrag an den Vorstand. Letzterer sollte auf die Einhaltung der in der Satzung verankerten Regeln zum Vereinsbeitritt peinlich genau achten.
Die Satzung regelt den Vereinsbeitritt
Die Grundsätze, die im Zivilrecht für den faktischen Vertrag entwickelt wurden, sind im Vereinsrecht nicht anwendbar. Die Regelung über den Vereinsbeitritt ist zwingender Satzungsbestandteil und in § 58 Nr. 1 BGB als Sollregelung aufgeführt. Ohne eine entsprechende Satzungsregelung wird die Eintragung des Vereins vom Registergericht üblicherweise abgelehnt, da auch bei der Verletzung von Sollvorschriften eine Anmeldung zurückzuweisen ist.1 Die Vorschrift des § 58 Nr. 1 BGB kann daher nicht einfach durch Nichtbeachtung umgangen werden. Eine bestimmte Form für die Beitrittserklärung ist im Gesetz zwar nicht vorgeschrieben. Sie kann daher auch mündlich abgegeben werden. Wichtig ist aber, dass dem beitretenden Mitglied bewusst ist, dass es eine Mitgliedschaft eingeht.
So wird insbesondere nicht etwa dadurch stillschweigend eine Mitgliedschaft begründet, dass eine Person lediglich die Vereinseinrichtungen nutzt. Selbst wenn die Satzung dies als Beitrittserklärung genügen ließe, müsste dem Nutzer der Einrichtungen zumindest bekannt sein, dass sein Verhalten eine Erklärung zum Beitritt ausdrückt. An dieser Erkenntnis wird es dem Nutzer regelmäßig fehlen. In einem solchen Fall ist daher eher an den Abschluss eines Überlassungsvertrages zu denken als an einen Vereinsbeitritt mit Erlangung der vollen Mitgliedschaftsrechte.2
Vergabe von Lizenzen nicht ausreichend
Vielfach wird angeführt, dass durch die Ausstellung einer Lizenz – sei es durch den Verein selbst oder durch einen übergeordneten Verband – eine Mitgliedschaft zustande kommen könne. Die Annahme einer Mitgliedschaft sei in diesen Fällen erforderlich, damit die Regelwerke des Vereins, beispielsweise im Sport, auf den Athleten Anwendung finden können.
Spätestens seit der Rechtsprechung des BGH zur Anwendbarkeit von Regelwerken auch auf Nichtmitglieder3 ist dieses Argument freilich überholt. Selbst wenn eine Notwendigkeit für einen Vereinsbeitritt durch schlichte Lizenzvergabe bestünde, kann dies jedenfalls einen Verstoß gegen die zwingenden Satzungsvorschriften des Vereins nicht rechtfertigen.
Mitgliederversammlungen als Drahtseilakt
Ein Vereinsbeitritt muss schon deshalb klar und ausdrücklich erfolgen, damit der Verein die Zahl seiner Mitglieder jederzeit korrekt beziffern kann. Es ist von essenzieller Bedeutung, dass der Verein weiß, wer wirklich Mitglied ist und wer nicht. Nur bei Wahrung des satzungsmäßigen Beitrittsverfahrens ist garantiert, dass der Verein die Übersicht behält. Gleiches gilt übrigens für den Austritt. Auch dieser ist explizit, wie in der Satzung bestimmt, zu erklären. Nur bei Kenntnis der exakten Mitgliederzahl kann die für Abstimmungen notwendige Mehrheit bestimmt werden. Nehmen Personen an Abstimmungen teil, die keine Mitglieder sind, sind die Beschlüsse regelmäßig nichtig.4 Unverzichtbar ist die Kenntnis der genauen Mitgliederzahl auch für die Einladung zur Mitgliederversammlung. Nur dann, wenn jedes Mitglied ordnungsgemäß eingeladen wurde, können Beschlüsse wirksam gefasst werden. Werden Mitglieder nicht zur Mitgliederversammlung eingeladen, sind die auf der Versammlung gefassten Beschlüsse grundsätzlich nichtig, es sei denn, der Nachweis gelingt, dass die Beschlüsse nicht auf diesem Mangel beruhen.5 In der Praxis ist dieser Nachweis kaum jemals zu führen.
Qualität vor Quantität
Oftmals stellt die Satzung an das Neumitglied gewisse qualitative Anforderungen, wie zum Beispiel die Zugehörigkeit zu einer gewissen Berufsgruppe, deren Interessen der Verein vertritt. Außerdem kommt dem Organ, an welches der Aufnahmeantrag zu richten ist, meist das Recht zu, über die Aufnahme zu entscheiden. Bejahte man eine faktische Mitgliedschaft, entzöge man dem Entscheidungsorgan seine Kompetenz und jedwede Kontrolle über die Zusammensetzung des Mitgliederbestands.
Last but not least: Haftungsrisiken
Akzeptiert der Verein über eine faktische Mitgliedschaft Personen als Mitglieder, die tatsächlich keine sind, verstößt dies nicht nur gegen fundamentale Prinzipien des Vereinsrechts. Der Verein, der Nichtmitgliedern ohne Weiteres die Nutzung der Vereinseinrichtungen überlässt, stolpert zusätzlich in Haftungsfallen. Die bei Vereinen üblichen Haftpflicht- und Unfallversicherungen übernehmen Schäden, die insoweit entstehen, regelmäßig nicht.
Das Haftungsproblem stellt sich zum Beispiel im Bereich des Sports, nämlich dann, wenn ein Athlet „für einen Verein“ bei einem Wettkampf startet, also als dessen Mitglied ausgegeben wird, ohne aber tatsächlich Mitglied zu sein. Verletzt sich der Sportler aufgrund eines sorgfaltspflichtwidrigen Verhaltens des Vereins, können der Verein und die handelnden Organe schnell in die Haftung geraten. Ein einzelvertraglicher Haftungsausschluss zwischen dem Sportler und dem meldenden Verein wird gewöhnlich nicht existieren. Die Haftung des Vereins nach § 31 BGB kann gegenüber dem Sportler als Nichtmitglied aber auch nicht durch die Satzung eingeschränkt werden, die höchstens gegenüber -Vereinsmitgliedern eine Haftungsbegrenzung in Form -eines Haftungsausschlusses bei leichter Fahrlässigkeit ermöglicht. Auch die Versicherung des Vereins wird mangels Mitgliedereigenschaft des Sportlers eine Haftungsbegleichung in aller Regel ablehnen.
Fazit
Sowohl für den Beitritt als auch für den Austritt eines Mitglieds muss das in der Satzung bestimmte Verfahren penibel eingehalten werden. Als Form für den Beitritt sollte stets die Schriftform vorgeschrieben und eingehalten werden, sodass Streitigkeiten über das Bestehen der Mitgliedschaft oder den Zeitpunkt des Beitritts nicht auftreten können. Halten sich die Vereinsorgane nicht streng an die Regeln, drohen ihnen unangenehme Haftungsfolgen.
1 BayObLG NJW-RR 92, 802.
2 Für den Beitritt eines Vereins zu einem Dachverband durch längerfristige Nutzung der Einrichtungen: Heermann, NGZ 1999, 325 f.
3 BGH NJW 1995, 586 („Reiter-Entscheidung“). Hiernach gelten die Verbandsregeln auch für Nichtmitglieder dadurch, dass sich Wettkampfteilnehmer durch ihre Teilnahme bzw. die Beantragung einer Lizenz dem Regelwerk unterwerfen.
4 BGH NJW 1968, 543.
5 BGH NJW 1973, 235.