Der Bundestagswahlkampf hat es eindrucksvoll bestätigt: In der Kommunikation geht es immer stärker um Köpfe. Die Anforderungen an die im Spannungsfeld von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Handelnden wachsen. Die Verbände sehen sich mit der Notwendigkeit verstärkter Kommunikation konfrontiert.
Personifizierung: Pro & Contra
Die Zeit für Personifizierung („Jede Botschaft braucht ein Gesicht!“) war selten so günstig, denn sie kommt den Erwartungen der Menschen entgegen. Die Nachfrage nach Vorbildern wächst. Die Menschen suchen Orientierung. Je weniger sie die Komplexität der Inhalte und Systeme verstehen, desto mehr erwarten sie deren Vermittlung durch Personen, die greif- und begreifbar sind (Symbolfunktion). Personifizierung bewirkt einen persönlichen Dialog zwischen Absender und Empfänger statt der unpersönlichen oder institutionellen Kommunikation. Sie hat Grenzen und darf nicht mehr Vertrauen voraussetzen, als sie erzeugen kann (Niklas Luhmann: Gefahr der kommunikativen Inflation). Die psychologischen Folgen von Botschaften sind nicht zu unterschätzen.
Personifizierung trägt zur Steigerung des Wertes von Marken bei. Das gilt auch für den Marktwert des Personifizierten selbst. Personifizierung sollte dennoch mehr sein als Selbstzweck (Stärkung des jeweiligen Images).
Personifizierung setzt die saubere Analyse von Stärken und Schwächen zwingend voraus. Sie bedeutet ein Höchstmaß an Homogenität von inhaltlicher Leistungsbilanz und individuell-persönlichen Befindlichkeiten. Es ist dabei möglich, kurz- bis mittelfristig Defizite zu kompensieren. Auf Dauer können diese in der Leistungsbilanz nicht verdeckt werden. Stimmt diese nicht, steigt die Bereitschaft, das Delta zwischen der Wirklichkeit (Sein) und dem Anspruch (Schein) weiter zu vergrößern. Hier liegt das Dilemma jeder Personifizierungsstrategie.
Personifizierung in Politik und Wirtschaft
Der „Medienkanzler“ Gerhard Schröder (SPD) steht für die Widersprüchlichkeit wechselnder Strategien. Guido Westerwelle (FDP), die „Comicfigur eines Parteivorsitzenden“ (Matthias Heine), ist von seiner Reise auf den „18-Prozent-Sohlen“ via „TV-Container“ zwar wieder in der politischen Realität angekommen. Der jetzige seriöse Ansatz ist jedoch alles andere als ein Zeichen für Konsequenz und Kontinuität. Bündnis90/Die Grünen-Aushängeschild Josef Fischer genoss lange Zeit ein von keinem weiteren Politiker erzieltes Ansehen und sicherte damit in „guten Zeiten“ einen Vertrauensvorschuss als Kapital für zuletzt eher „schlechte Zeiten“. Einen Imageverlust verhinderte er damit allerdings nicht. Friedrich Merz (CDU) kämpfte konsequent für sein Steuermodell und erreichte — trotz damit verbundener Polarisierung — Spitzenwerte bei Imageanalysen. Umgekehrt setzte sich Christian Wulff (CDU), Ministerpräsident von Niedersachsen, durch eher integrierendes Verhalten an die Spitze der Politiker-Rankings.
Das personifizierte Negativbeispiel in der Wirtschaft ist Deutsche-Bank-Vorstandschef Josef Ackermann. Im Mannesmann-Prozess hat sein Victory-Zeichen gezeigt: Es kommt nicht nur auf Fakten, sondern auf deren Wirkung an. Aber es gibt viele positive Beispiele. Der neue Siemens-Vorstandsboss Klaus Kleinfeld hat bewiesen, dass Personifizierung kurzfristig erfolgreich gelingen kann.
Trends der Personifizierung in Verbänden
In Deutschland gibt es rund 14.000 Verbände mit deutlichen Unterschieden in der Kommunikation. Personifizierung spielt im Rahmen der Professionalisierung gerade in Wirtschaftsverbänden sowie bei Auf- und Ausbau der Kommunikation in den anderen Verbandsbereichen bereits in Teilen eine wichtige Rolle.
Einige Trends sind festzustellen: Verband und Mitglieder sitzen in Sachen Kommunikation in einem Boot — Beispiele: Banken- und Automobilbranche. Lange waren die Bankenvertreter — wie die Unternehmensmarken — die Spitzenreiter von Imagerankings. Damit gingen positive Werte für die Verbände einher. Mit dem Ansehensverlust der Bankenszene war ein „Image-Abschwung“ für die Verbände verbunden. Seit zehn Jahren ist ein Imagegewinn der Automobilbranche unübersehbar. Bei Marken- wie Personenrankings liegen Porsche und Wendelin Wiedeking oder BMW und Dr. Helmut Panke vorne. Davon profitiert auch der Verband der Automobilindustrie mit seinem Präsidenten Prof. Dr. Bernd Gottschalk. Zuletzt haben jedoch einige Akteure wie Peter Hartz (Volkswagen) und Prof. Jürgen E. Schrempp (DaimlerChrysler) für „Kratzer im Lack“ gesorgt.
Personifizierung in Verbänden funktioniert auch bei starkem Markenbezug. Der Automobilbranche gelingt es immer wieder, Köpfe der Branche über Unternehmen wie Verband zu kommunizieren; anderen Branchen mit starken Marken „Made in Germany“ gelingt dies nicht in vergleichbarem Umfang.
Personifizierung kann Defizite zumindest teilweise und zeitweise kompensieren: inhaltlich, strukturell und auch personell — Beispiel: Deutscher Fußballbund (DFB). Aufgrund von zwei Ereignissen geriet der DFB in die Negativschlagzeilen: zunächst dem Ansehensverlust von DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder aufgrund seines Krisenmanagements nach der „EURO 2004“ und dann der Manipulation von Partien im bezahlten Fußball („Wettskandal“). Glaubwürdigkeit konnte nur wiedererlangt werden durch die zielgerichtete Personifizierung des neuen geschäftsführenden DFB-Präsidenten Dr. Theo Zwanziger und des Chefs des Organisationskomitees der FIFA-WM-2006, Franz Beckenbauer. Mayer-Vorfelder hat als CDU-Landesminister in Baden-Württemberg, als Präsident des VfB Stuttgart und als DFB-Präsident mit zahllosen Medienskandalen das Konzept einer negativen Personifizierung geradezu perfektioniert. Aufgrund der perfekten Personifizierung von Zwanziger und Beckenbauer kann sich der DFB allerdings bis auf weiteres „einen Mayer-Vorfelder erlauben“.
Mitglieder können die Personifizierung der Dachverbände stärken — Beispiel: FC Bayern München. Der FC Bayern München verdeutlicht neben dem sportlichen insbesondere das wirtschaftliche Potential des Fußballs. Manager Uli Hoeneß steht als Beispiel für erfolgreiche Personifizierung über den Fußballbereich hinaus — wie zuletzt das ManagerMagazin titelte: „Der Champion — Was die Wirtschaft von Bayern München lernen kann“.
Personifizierung muss mehr sein als ein kommunikatives Strohfeuer — Beispiel: Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Als der ZDH-Präsident Otto Kentzler, gerade wenige Monate im Amt, medienwirksam das Anrechnen von Krankheitstagen auf den Urlaubsanspruch forderte, war ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sicher. Diese Spontanaktion ist jedoch bestenfalls eine verkürzte, negative Personifizierung. Weiterhin steht er im Schatten seines seit 1989 amtierenden Generalsekretärs Dr. Hanns-Eberhard Schleyer.
Personifizierung empfiehlt sich, um inhaltliche Unterschiede innerhalb einer Branche zu kompensieren — Beispiele: Phonowirtschaft und Einzelhandel. In den „Deutschen Phonoverbänden“ sind unterschiedliche inhaltliche Vorstellungen gebündelt. Als integrative Person steht der hauptamtliche Präsident Gerd Gebhardt an der Spitze. Damit wird sichergestellt, dass die mit knapp 30.000 Beschäftigten und 1,8 Milliarden Euro relativ kleine Branche gegenüber Politik, Wirtschaft und Medien eine starke Position innehat. Ein Aufbrechen dieser Struktur, insbesondere der Verzicht auf ein „Aushängeschild“, würde zu einem Kommunikationsdefizit und einem Imageverlust der Branche in schwieriger wirtschaftlicher Lage führen.
Die öffentliche Wahrnehmung des deutschen Einzelhandels leidet unter dem Gegensatz rivalisierender Organisationen. Einen Verbandsvertreter, der vergleichbar für den Einzelhandel steht bzw. von der Politik als solcher akzeptiert wird, gibt es nicht. Gegenüber den Medien wird dieses Defizit erfreulicherweise durch den stets präsenten Pressesprecher des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE), Hubertus Pellengahr, in Teilen kompensiert. Im Windschatten des Konflikts zwischen den Einzelverbänden stellen sich einzelne Unternehmensvertreter als Chefanwälte des Einzelhandels dar, sind jedoch verständlicherweise den jeweiligen Partikularinteressen verpflichtet. Die „Macht der Branche“ mit über 2,7 Millionen Beschäftigten und über 360 Milliarden Euro Jahresumsatz spiegelt sich nicht in einer entsprechenden Breitenwirkung in Politik, Wirtschaft und Medien wider. Gleichzeitig positionieren sich auf Detailthemen spezialisierte Institutionen erfolgreich — wie etwa der Bundesverband des Deutschen Versandhandels.
Personifizierung e-mpfiehlt sich für Allianzen — Beispiel: Mehr-wertsteuer.Be-mer-kenswert ist die relative Sprachlosigkeit des deutschen Einzelhandels in der Diskussion um eine Mehrwertsteuer-Erhöhung. Diese bietet die idealen Voraussetzungen für eine über die Branche hinausreichende Personifizierung. Schließlich sind weitere Bereiche massiv betroffen. Aufgrund des Fehlens eines Aushängeschildes kann eine übergreifende Strategie unter Federführung des Einzelhandels nicht gelingen.
Personifizierung darf nicht auf Kosten der inhaltlichen Glaubwürdigkeit des Verbandes erfolgen — Beispiel: Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Die früheren Präsidenten Tyll Necker und Michael Rogowski standen für einen klaren ordnungspolitischen Kurs — auch Hans-Olaf Henkel, der die nachhaltigste Personifizierung praktizierte und seine Ego-PR heute konsequent umsetzt als Kolumnist der BILD und in neuen Verbandsfunktionen. Der aktuelle BDI-Päsident Jürgen Thumann geht einen neuen Weg, um Bekanntheit und Image zu generieren, etwa beim Thema Kapitalismuskritik (SPD) und in der Steuerpolitik. Derartige Formen der Neupositionierung müssen jedoch stets die Glaubwürdigkeit des Gesamtverbandes und die interne Vermittelbarkeit berücksichtigen.
Prominente unterstützen die Personifizierung in Verbänden — drei aktuelle Beispiele. Der frühere Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) steht heute an der Spitze des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Der bereits zu Ministerzeiten nicht nur medienwirksam radelnde, sondern auch badende Rudolf Scharping (SPD) ist heute Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR). Der Weg aus der Politik in Lobbyfunktionen bei Verbänden — auch der Wirtschaft — ist der übliche. Beispiele für den umgekehrten Weg aus der Wirtschaft in Verbandsämter — und politische Spitzenämter — sind eher selten. Stellvertretend dafür steht Josef Hattig, ehemals Brauerei-Chef (Beck & Co.), Präsident des Brauer-Bundes, Landesminister und heute u. a. Deutsche-Post-Aufsichtsratschef.
Personifizierung muss absehbare negative Folgen berücksichtigen — Beispiel: Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Im Zusammenhang mit der Kritik an Nebentätigkeiten von Abgeordneten geriet die BDA in die Schlagzeilen. Anlass war die Doppeltätigkeit ihres Hauptgeschäftsführers Dr. Reinhard Göhner, seit 1983 Mitglied des Deutschen Bundestages. Göhner trat bei der vorgezogenen Bundestagswahl erneut an. Seine Tätigkeit für die BDA wird weiterhin den Nährboden für eine negative Personifizierung liefern, insbesondere auch aufgrund der Instrumentalisierung des Sachverhaltes durch parteiinterne Kritiker. Personifizierung bedeutet also: Man muss auch etwas einstecken können.
Zehn Tipps für Personifizierung in Verbänden
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