Wenn Berufsverbände ihre Mitglieder in Einzelfragen rechtlich beraten, stellt sich sofort die Frage nach den ertrags- und umsatzsteuerlichen Konsequenzen. Diese Frage hat für manche Berufsverbände sogar existentielle Bedeutung. Eine zusätzliche Verschärfung trat in jüngerer Vergangenheit durch einige für die Verbände nachteilige Gerichtsurteile und Verwaltungsanweisungen verschiedener Finanzbehörden ein.
Auf Initiative einiger Spitzenverbände haben sich die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder nun auf eine Handhabung verständigt, die die steuerliche Problematik in einer für die Verbände höchst erfreulichen Weise löst.
Dies sind die Kernaussagen der neuen, koordinierten Auffassung der Finanzverwaltung (Quelle: Unveröffentlichtes Schreiben des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen vom 4.7.2002, Aktenzeichen: S 2725 - 2 - VB4):
1. Ertragsteuern (Körperschaft- und Gewerbesteuer):
In ertragsteuerlicher Hinsicht stellt die Gewährung von Rechtsberatung (Rechtsschutz) durch Berufs- oder Wirtschaftsverbände zwar einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb im Sinne des § 14 der Abgabenordnung dar, der grundsätzlich zu einer partiellen Körperschaft- und Gewerbesteuerpflicht des Verbandes führt. Für diesen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ist auch grundsätzlich eine Gewinnermittlung durchzuführen. Darin seien die auf die Rechtsberatung entfallenden (unechten) Mitgliedsbeiträge in gleicher Höhe anzusetzen wie die durch die Rechtsberatung verursachten Betriebsausgaben.
Das steuerliche Ergebnis (der Gewinn) des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs „Rechtsberatung“ sei daher „pauschal mit 0 Euro anzusetzen“. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Berufsverbände die Aufwendungen für die individuelle Rechtsberatung zwar in ihrer Buchführung systematisch erfassen müssen, sich aber letztlich kein steuerpflichtiger Gewinn/Ertrag ergibt. Eine Belastung durch Körperschaft- und Gewerbesteuer tritt daher nicht ein.
2. Umsatzsteuer/Versicherungsteuer:
Die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder vertreten die Auffassung, dass die satzungsgemäße Rechtsberatung (Gewährung von Rechtsschutz) der Mitglieder durch einen Berufsverband nach der Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 10 UStG von der Umsatzsteuer befreit sei. Auch eine Versicherungsteuerpflicht bestehe nicht, da insoweit die Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 7 des Versicherungsteuergesetze eingreife.
3. Auswirkungen auf die Tätigkeit der Berufsverbände
Die genannte Verwaltungsregelung stellt eine große Erleichterung insbesondere für Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände dar. Sie begünstigt aber darüber hinaus auch alle Berufsverbände, die Einzelrechtsberatung auf anderen Rechtsgebieten als dem Arbeitsrecht betreiben. Diese Einzelrechtsberatung bleibt nun generell unbesteuert.
Vorteile ergeben sich daraus nicht nur für den steuerlichen Status dieser Verbände. Auch die Mitglieder erzielen finanzielle Vorteile. Insbesondere liegt für nicht vorsteuerabzugsberechtigte Verbandsmitglieder (z.B. Ärzte) ein Kostenvorteil darin, dass die Beratung nicht der 16-prozentigen Umsatzsteuer unterliegt, während eine Beratung z.B. durch Anwälte entsprechend teurer wäre. Da die einschlägigen Gebührenordnungen für die Berufsverbände nicht gelten, können sie ihre Rechtsberatung in der Regel auch günstiger anbieten.
In der Tagespresse wurde deshalb bereits kritisiert, dass die Nichtbesteuerung der verbandlichen Rechtsberatung im Verhältnis zu den rechtsberatenden Berufen zu Wettbewerbsverzerrungen führe. Jedenfalls steigert sie aber zweifellos die Attraktivität der Berufsverbände.
Die neue Verwaltungsregelungen beziehen sich nur auf „Rechtsschutz”, was offenbar als Oberbegriff für individuelle Rechtsberatung und Prozessvertretung verstanden wird. Nicht anwendbar ist die genannte Auffassung der Finanzverwaltung daher auf Einzelberatungen auf anderen Tätigkeitsfeldern der Verbände, z.B. technische oder wirtschaftliche Einzelberatung der Mitglieder.
Die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder beabsichtigen offenbar nicht, die genannten, für viele Berufsverbände existentiell wichtigen Verwaltungsentscheidungen in allgemein zugänglicher Form zu berücksichtigen. Die Spitzenverbände der Wirtschaft haben durch Rundschreiben ihre Mitglieder informiert. Trotzdem zeigt sich in der Praxis, dass immer noch zahlreiche Berufsverbände über die aktuelle Verwaltungsauffassung nicht Bescheid wissen. Schlimmer noch: auch der Informationsstand der Finanzämter ist unzureichend. So ist z.B. in laufenden Betriebsprüfungen zu beobachten, dass der Prüfer die individuelle Rechtsberatung als umsatzsteuerpflichtig behandelt. Betroffene Verbände sollten daher den Prüfer unverzüglich auf die neue Verwaltungsmeinung hinweisen und sich notfalls unmittelbar an das jeweilige Landesfinanzministerium mit der Bitte um Klarstellung wenden.