Verbändereport AUSGABE 7 / 2012

Reden im Verband – Ballast oder Bereicherung?

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Wohl von Anfang an, seit es Verbände gibt, ist die Rede eine ihrer wesentlichsten Ausdrucksformen. Sie war als „gesetzt“ – das heißt auch mangels der meisten heute existierenden Kommunikationsinstrumente – ein zentraler Bestandteil der Verbandsarbeit – nach innen bei den Mitgliederversammlungen, nach außen, um die Anliegen und Positionen des Verbandes auszudrücken und um die Branche vorzustellen.

Nur noch Bilder – ist die Rede tot?

Legionen von Redenschreibern in den Verbänden haben ungezählte Texte für Hauptgeschäftsführer, Generalsekretäre, Präsidenten und Vorsitzende produziert, ausformuliert, in Stichpunkten, auf Manuskripten oder Karteikarten, in 16 Punkt oder – für Sprecher mit schwachem Auge – in 36 Punkt (ja, auch dafür gab es Schreibmaschinen in der Zeit vor dem PC). Ich erinnere mich noch, dass ich mich als Redenschreiber (1999–2003) von Arbeitgeberpräsident Dr. Hundt um bis zu 100 Grußworte, Laudationes, Statements und Reden per anno zu kümmern hatte.

Doch ich muss zugeben, bei aller Begeisterung und Befangenheit für das Instrument Rede: Spätestens seit dem – für manche zweifelhaften – Siegeszug von „PPP“ ist die „klassische“ Rede, also ausformuliert oder für die „freie Rede“ stringent vorstrukturiert, keine Selbstverständlichkeit mehr. Kürzlich rief mich der Kommunikationschef eines großen mittelständischen Unternehmens an, um mir zu sagen, ich könne mir mein Werben für die Rede sparen, sie sei „tot“, sein Chef drücke sich nur noch in Bildern aus.

Der größte Umbruch seit der Erfindung des Buchdrucks

Digitalisierung bzw. das Ende der „Massen-“ und Beginn einer neuen „Marktplatz-Kommunikation“ – die Mediennutzung wird immer technischer und mit der Emanzipation von Empfängern zu (immer mehr) Sendern immer interaktiver. Sie wird immer visueller und zugleich werden Medien oft immer mehr nebenbei konsumiert.

Immer mehr Formate und Kanäle erreichen immer mehr Menschen in immer kürzerer Zeit. Während das gedruckte Wort noch Jahrhunderte brauchte, um auf eine Reichweite von 50 Millionen zu kommen, benötigte das Radio 38 Jahre, das Fernsehen 13, das Internet vier und der iPod drei. Facebook schaffte die 50-Millionen-Reichweite in 24 Monaten, Twitter in zwölf und Google+ in sechs Monaten.

Die Möglichkeiten und Wege der Kommunikation, Unterhaltung und Vernetzung sind explodiert, der Kampf um die Aufmerksamkeit der Menschen tobt wie nie zuvor. Es ist ein Verdrängungskampf auch von Formaten und Medienplattformen, der von allen professionellen Akteuren zunehmend mehr abverlangt, vor allem, Komplexität zu beherrschen, nicht zuletzt aber auch angesichts knapper Ressourcen bei immer mehr Aufgaben entschieden zu sein, Schwerpunkte bei den Kommunikationsinstrumenten zu bilden, auszuwählen und auszumustern.

Die Frage drängt daher: Was kann in diesem Wettbewerb das älteste Kommunikationsmittel, das – vermeintlich – statische „Modell Rede“ gerade Verbänden noch bieten? Kurzum: Stehen das Überangebot an Formaten, das neue Kommunikationsmodell mit immer mehr emanzipierten „Sendern“, mit mehr Visualisierung, mit Verkürzung und Beschleunigung dem „alten Tanker“ Rede nicht entgegen? Brauchen gerade Interessenvertretungen noch „Sender-Empfänger-Kommunikation“ ohne Interaktion?

Die Rede im Umfeld immer höherer Anforderungen an die Verbandskommunikation

Die Frage muss zudem vor dem Licht immer höherer Anforderungen an die Verbandskommunikation gesehen werden? Nach außen ist der Wettbewerb um Aufmerksamkeit durch den viel intensiveren Wettbewerb mit neuen Formen der Interessenvertretungen, mit Unternehmensberatungen, Kanzleien, Lobby-Agenturen und das alles in einem viel höheren Tempo immer härter geworden. Und nach innen verlangen die Mitglieder sehr viel bewusster und strukturierter nachweisbare Leistungen des Verbandes, die er mit einer differenzierten und überlegten Kommunikation sichtbar und überzeugend darstellen muss.

Auf diese Anforderungen sind die meisten Verbände in den vergangenen Jahren offensiv zugegangen und sie haben ihre Kommunikation spürbar weiterentwickelt – vom linearen Inhaltelieferanten zum mehrkanaligen Medienhaus, vom Rundschreiben-Absender zur durchstrukturierten exklusiven Binnenkommunikation, von der Standardwebseite zur redaktionellen Plattform, vom Organisator von Mitgliederversammlungen zu Eventmanagern von Topkongressen.

Also neue Anforderungen ohne Ende, die die Ressourcen voll fordern und die – eine Versuchung – zum Beispiel durch ein Abspecken beim Redenschreiben kompensiert werden könnten.

Die Rede bleibt – Verbandsreden haben Zukunft

Die Antwort mag überraschen und widersprüchlich klingen. Gerade das sollten Verbände nicht tun, sondern unvermindert weiter auf die Rede setzen.

Erstens wegen ihrer guten „Charaktereigenschaften“. Gerade in einer Zeit der Beschleunigung, Verkürzung und Zerstreuung liegt der Wert der Rede darin, dass sie gegensätzlich ist – langsamer, konzentrierter, gründlicher, analoger!

Zweitens, weil die Rede zur Aufgabe und zum Profil der Verbände mehr passt als etwa zu vielen Unternehmen. Diese brauchen Reden nicht so häufig, können ihren Informationsbedarf etwa bei Strategie- oder Produktpräsentationen ggf. viel besser durch Charts und Grafiken bedienen als durch ausformulierte Sätze.

Die Empfehlung lautet also gerade für Verbände, auf der einen Seite weiter auf die Rede zu setzen und auf der anderen Seite sie zu modernisieren, effizienter einzusetzen und in der Kombination mit den anderen Kommunikationsinstrumenten zu gestalten und managen. Das heißt:

Die Rolle der Rede in der Verbandskommunikation bewusst zu definieren. Wo werden Reden erwartet, wo sind sie besonders sichtbar, wo weniger?

Zu prüfen, ob sie in der Kommunikation des Verbandes nicht die inhaltliche Führungsfunktion einnehmen sollte. Ihr Inhalt ist – und das fällt in einer Zeit der Aggregation und Vernetzung umso mehr auf – ein wertvoller, individuell erstellter und kein zusammenkopierter Inhalt – ein Maß-Produkt und kein Bausatz.

Die Reichweite erhöhen. Dem großen inhaltlichen und zeitlichen Aufwand steht bei kleinem Zielpublikum oft nur ein geringer PR-Ertrag gegenüber. Mit der Bespielung ihrer Botschaften auf anderen Plattformen sollte die Reichweite der Rede deutlich erhöht werden.

Sprechtext und Inszenierung

Die Sprache sollte, mehr denn je, Sprechtext sein – kurze, klare und einfache Sätze, die gut gepostet und als Tweed versendet werden können. Und mehr denn je gilt für die Rededauer auch eher „Mini“ als „Maxi“ (Richtwert 30 Minuten).

Reden sind „Bewegtbild“, weil ein Redner den Text im besten Fall nicht nur spricht, sondern durchlebt, inszeniert, auffĂĽhrt. Dies weist dem Redenschreiber in einer immer visuelleren Welt den Weg, indem er kĂĽnftig noch bildhafter denkt und formuliert, Bilder einbaut oder  mehr Passagen mit symbolhaften Gegenständen fĂĽr den Redner garniert. Im Idealfall werden diese Bilder dann auch medial transportiert.

Die Rede sollte sich vom „Frontal-Unterrichts-Modell“ lösen und interaktiver werden, zum Beispiel, indem die Zuhörer die Möglichkeit haben sollten, zu senden und in den Dialog zu treten. Ob dafür eine Unterbrechung passt, zum Beispiel mit einem Dialog-Slot und Fragen, die über Facebook und Twitter zugespielt werden, muss man im Einzelfall entscheiden.

TopInhalte

Reden sollten nicht nur nacherzählen, aktuelle Positionen und Vorstellungen zusammentragen, sondern eine neue Botschaft enthalten. Das bedeutet konkret:

Wichtig ist es auch, für Exklusivität zu sorgen durch genaue Vorüberlegungen, welche Nachricht gesetzt werden kann: Neue Botschaften müssen nicht nur Pressekonferenzen vorbehalten sein, sondern damit lässt sich auch eine Rede aufwerten – sogar zu vermeintlich „unpolitischen“ Ereignissen wie einem Jubiläum.

Das bedeutet nicht, die anderen Kommunikationsinstrumente zu entwerten, sondern sie mit der Rede zu verzahnen. Organisatorisch empfiehlt sich daher immer der in die Kommunikation integrierte Redenschreiber, der auch alle anderen Formate kennt und „kann“.

Reichweite erhöhen

Die Rede ist wertvoller Content, keine Wegwerfprosa und zu schade für den nur einmaligen Gebrauch. Es gilt also, Botschaften und Eindrücke, die sie vermittelt, einem möglichst großen Publikum mitzuteilen.

Das beginnt schon im Vorfeld. Eine Vorberichterstattung kann Spannung erzeugen und Berichterstatter auf den Termin aufmerksam machen; das reicht von der Ankündigung in externen Termindiensten bis zur Vorberichterstattung auf der Homepage, per Pressemeldung und täglichen Vorabinfos auf Facebook oder Twitter.

Zur groĂźen Streuung am Redetermin sollten Journalisten (auch von Nachrichtenredaktionen) und Experten, die bloggen oder Facebook und Twitter bedienen, eingeladen sein. Und um die Botschaften zeitnah in den Medien wiederzufinden, empfiehlt sich als Arbeitshilfe fĂĽr Journalisten eine gesonderte Pressemeldung mit den kondensierten Aussagen der Rede, eine Vorab-Verteilung des Redetextes mit Sperrfrist-Vermerk und eine eigene Begleitung per Twitter und
Facebook (s. o.).

Nicht vergessen: die Nachberichterstattung. Welche eigenen Instrumente wie Newsletter, Homepage, Magazin, Jahrbuch, gegebenenfalls auch Sonderdrucke (mit zusätzlichen Formaten wie Interviews) kommen infrage? Auch die visuelle Nachverwertung durch Film wie auch Interviews mit Redner und Teilnehmern gehört dazu. Und eine Kür wäre die Verwendung in Mobile-Diensten wie eine „Reden-App“.

Zusammenfassung

In der neuen Medien- und Lobby-Wirklichkeit ist die Rede mit ihrer Eigenschaft als Ausschließlichkeitsmedium, mit ihrer Visualisierung, mit der Konzentration und Nachhaltigkeit eine Kostbarkeit in der Verbandskommunikation. Sie muss aber mehr denn je auch als PR-Instrument verstanden und ihr Innovationspotenzial muss genutzt werden: Dazu gehören eine stärkere Visualisierung, eine größere Vernetzung, eine konzentriertere Sprache. Die Rede verdient die intensive Bewerbung, die Integration in die Kommunikation und die offensive Vor- und Nachbereitung des „Vertriebs“.

Prüfen Sie, welche Funktion die Rede in der Kommunikation Ihres Verbandes heute hat! Definieren Sie eine genaue (und möglichst) offensive Rolle! Optimieren Sie – wenn nötig – Verzahnung und Vernetzung der Rede im Kommunikationsmix! Gestalten Sie die Prozesse neu, „managen“ Sie das Thema Rede und stellen Sie gegebenenfalls auch neue Ressourcen bereit!

Reden sind kein Einwegartikel, sondern ein kraftvolles PR-Instrument gerade auch für Verbände

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Autor/in

Peter Klotzki

ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Freien Berufe. Bis Anfang 2019 war er Geschäftsführer Kommunikation beim VDZ Verband Deutscher Zeitschriftenverleger. Sein Hauptaugenmerk lag dort auf Kommunikationsmangement sowie der vernetzten Kommunikation auf allen Kanälen – Event, Print, Web, Mobil, Social.

http://www.freie-berufe.de

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