Künstliche Intelligenz (KI) – für viele faszinierend, aber ebenso risikobehaftet. Seit ChatGPT der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, drängen immer mehr anwenderfreundliche KI-Tools auf den Markt. Wie steht die Vereins- und Verbandslandschaft diesen technologischen Neuerungen gegenüber? Das Deutsche Institut für Vereine und Verbände e. V. (DIVV) hat im März 2024 bei rund 2.000 Vereinen und Verbänden deutschlandweit nachgefragt. In diesem Beitrag werden die Ergebnisse der Studie präsentiert sowie ein erstes pragmatisches Vorgehen zur Entwicklung einer KI-Strategie für Verbände aufgezeigt.
Dieser Artikel stammt aus dem Special "Verbands-Tuning"
Der Verbändesektor beweist Innovationsbereitschaft: Fast 80 Prozent der Vereine und Verbände sehen in der Verwendung von KI vor allem (eher) Chancen. Lediglich knapp 5 Prozent bewerten den Einsatz von KI als überwiegend risikobehaftet. Bei etwa 10 Prozent hat die Anwendung von KI derzeit keine Bedeutung für die eigene Organisation.
Ein genauerer Blick zeigt, dass vor allem Wirtschaftsverbände Vorteile durch die Nutzung von KI erwarten: Rund 45 Prozent gaben an, dass KI vor allem die Realisierung von Chancen für die eigene Organisation bedeutet. Und bei über 50 Prozent überwiegen die Chancen die Risiken. Nur jeweils knapp zwei Prozent messen KI keinen Einfluss zu bzw. können diesen momentan noch nicht einschätzen.
Verbände setzen auf unterschiedliche KI-Tools
Mittlerweile existiert ein breites Spektrum an verschiedenen KI-Tools, die ohne große spezifische IT-Vorkenntnisse verständlich und nutzbar sind. Dies ermöglicht es den Anwendern, KI in unterschiedlichsten Einsatzgebieten auszuprobieren. Bei der Frage nach konkreten Einsatzmöglichkeiten für KI-Tools zeigt sich, dass bislang vor allem Tools, wie beispielsweise Neuroflash oder ChatGPT, zur Texterstellung und -bearbeitung Anwendung finden (55 Prozent).
An zweiter Stelle rangieren mit rund 50 Prozent der Nennungen Tools, die automatische Übersetzungen ermöglichen, wie etwa Google Translate oder DeepL. Über 40 Prozent der Verbände bedienen sich der KI zur Anregung für Brainstorming und Ideenfindung. Und mehr als ein Drittel der Verbände (34,8 Prozent) verwendet KI als Ersatz für Suchmaschinen bzw. nutzt sie ergänzend zu Recherchearbeiten. Gleiches gilt für die Auswertung und Zusammenfassung von Texten. Jasper.ai kann zum Beispiel bei der Analyse und Zusammenfassung von Texten unterschiedlicher Quellen herangezogen werden. Fireflies.ai findet hingegen Einsatz bei der Aufbereitung (Aufzeichnung, Transkription und Zusammenfassung) von Meetings. KI-Tools zur Unterstützung bei Problembehandlungen und -lösungen nutzt schon knapp ein Fünftel der befragten Vereine und Verbände. Ähnlich oft wird KI für die Erstellung und Bearbeitung von Bildern, Fotos und Videos eingesetzt. Hierzu zählen etwa KI-Tools wie Neuroflash oder Midjourney. Rund jede zehnte Organisation hat bereits Erfahrung mit KI-Tools zur Datenerfassung und Auswertung (z. B. Julius AI, DataLab oder Echobase) gesammelt. Einen Chatbot zur automatisierten Fragenbeantwortung setzten erst gut fünf Prozent ein.
Diese Ergebnisse verdeutlichen: Je spezifischer das Anwendungsgebiet und die Anforderungen an das KI-Tool sind, desto seltener findet es bislang Eingang in die Verbandspraxis. Das Potenzial dieser KI-Tools wird hingegen heute schon mehrheitlich gesehen, und die Zukunft wird zeigen, auf welchen Feldern der Einsatz von KI tatsächlich zunehmen wird.
Unterstützung in verschiedensten Organisationsbereichen
Der Einsatz von KI-Tools konzentriert sich nicht nur auf wenige Organisationsbereiche, sondern die Befragung weist entsprechendes Potenzial auch verbandsweit auf (siehe Abbildung 3). An deutlich erster Stelle steht mit fast 70 Prozent der Nennungen die Automatisierung von Prozessen und Abläufen. Bei den Bereichen „Kommunikation/Interaktion mit den Mitgliedern“, „Verbandsmanagement (Verwaltung)“ und „Marketing“ wird ebenfalls von einer Mehrheit der Vereine und Verbände Anwendungspotenzial für KI gesehen. Knapp die Hälfte der Umfrageteilnehmenden erwartet sich Einsatzmöglichkeiten im Rahmen des Mitgliedermanagements. Konkrete Unterstützung bei der Erstellung und Durchführung von Dienstleistungen erhofft sich rund ein Drittel. Bei der Entwicklung und dem Angebot von barrierefreien Dienstleistungen rechnet gut ein Viertel mit Vorteilen durch den Einsatz von KI-Tools. Lediglich circa zehn Prozent sehen Potenzial für KI im Zusammenhang mit der Kommunikation/Interaktion mit Spendern (Fundraising).
Durch den Einsatz von KI können Vereine und Verbände insbesondere Zeit und Ressourcen einsparen. So gibt es viele Tools, die die Kommunikation und Interaktion mit Vereinsmitgliedern erleichtern und sogar persönlicher gestalten können. Personalisierte E-Mails, automatische Benachrichtigungen und individuell zugeschnittene Inhalte können zudem die Bindung an den Verein stärken. Für eine höhere Mitgliederbindung bieten sich auch KI-basierte Umfragetools an, um die Meinungen und Bedürfnisse der Vereinsmitglieder zu erheben und zu analysieren. Auf diese Weise lassen sich Verbandsentscheidungen fundieren, es können neue Erkenntnisse gewonnen und Leistungen besser auf die Mitglieder zugeschnitten werden. Im Bereich Marketing gibt es zahlreiche KI-Anwendungen, die Vereine und Verbände bei der Contenterstellung für Infobroschüren, Website, Social Media etc. unterstützen können. Darüber hinaus ermöglicht KI, Inhalte und deren Akzeptanz bei den jeweiligen Zielgruppen zu analysieren und dann entsprechend zu optimieren.
Die Automatisierung von Prozessen hat selbst in der unmittelbaren Interaktion mit Mitgliedern oder sonstigen Interessengruppen Eingang gefunden: So bietet beispielsweise der ADAC mit dem Chatbot „Anna“ eine virtuelle Assistentin auf seiner Website an, die Nutzerinnen und Nutzer bei der Beantwortung gängiger Fragestellungen zum ADAC und zu dessen Leistungen berät. Darüber hinaus wirbt Anna von sich aus auch für weitere Leistungen des ADAC.
Auch im Bereich Fundraising kann KI Unterstützung bieten. Um fundierte Fundraising-Strategien zu entwickeln und personalisierte Ansätze für Spender zu gestalten, ist die Analyse von Spendendaten und -mustern von entscheidender Bedeutung. Bereits jetzt machen sich einige CRM-Dienstleister KI-Anwendungen hierfür zunutze. Das Deutsche Rote Kreuz bietet auch einen speziellen Chatbot zum Thema Spenden an, um potenzielle Spender bestmöglich zu unterstützen.
Umsetzung von KI braucht eine klare Strategie
Wie die vorangegangenen Ergebnisse zeigen, wird dem Thema KI bereits jetzt mehrheitlich von den Vereinen und Verbänden großes Potenzial zur Unterstützung der Verbandsarbeit zugemessen. Dass diese Entwicklung wohl auch in den nächsten fünf Jahren anhalten wird, bestätigen die Verbände: Rund 25 Prozent rechnen mit einer sehr großen Bedeutung und gut 43 Prozent mit einer eher großen Bedeutung von KI für die eigene Organisation in den nächsten fünf Jahren. Mit einer zukünftig (eher) geringen Bedeutung rechnet insgesamt etwa ein Viertel der Befragten. Bei genauer Betrachtung wird auch hier deutlich, dass es wieder die Wirtschaftsverbände sind, die KI die größte Bedeutung beimessen.
Um dieses Potenzial auszuschöpfen, empfiehlt sich eine strategische Vorgehensweise – von der Bestandsaufnahme bis zur kontinuierlichen Optimierung. Ein pragmatisches Vorgehen könnte folgendes sein:
Nutzen definieren: Zu Beginn sollte ein Verband überlegen, welche Verbesserungen für Mitglieder, Leistungen, Beschäftigte, Organisation oder soziale Wertschöpfung die KI-Lösung bringen soll. Verbände sollten einzelne KI-Anwendungsfälle entwickeln, diskutieren und priorisieren.
Status quo analysieren: Viele Verbände erheben – abhängig vom Digitalisierungsgrad (siehe hierzu relatio-beratung.de/schnell-check-digitalisierungsgrad) – bereits eigene Daten und werten diese aus. Zu prüfen ist, ob die Qualität dieser Daten für das Training von KI geeignet ist.
Strategie entwickeln: Aufbauend auf der Analyse ist eine Vision zu entwickeln, inwieweit KI in fünf bis zehn Jahren Prozesse und Leistungen innerhalb des Verbandes verbessern kann. Dieses Ziel sollte im Fokus einer pragmatischen Strategie stehen. Um dieses Ziel zu erreichen, empfiehlt es sich, mit Pilotprojekten zu starten, um diese – bei entsprechendem Erfolg – zu realen Projekten zu erweitern.
KI-Lösungen einführen: Für die Umsetzung von KI-Pilotprojekten empfiehlt es sich, mit Anwendungen zu starten, die den höchsten Mehrwert versprechen und zeitnah umsetzbar sind. Zudem sollten diese KI-Lösungen zur Zielsetzung und Struktur sowie zu den Leistungen des Verbandes passen.
Es zeigt sich jedoch, dass eine strategische Implementierung vielfach in Verbänden – wenn diese das Thema KI angehen – nicht stattfindet. Dies hat verschiedene Gründe. So ist in den meisten Verbänden noch nicht das Wissen vorhanden, in welchem Zusammenhang und in welchem Umfang KI genutzt werden kann. Zudem bestehen Unsicherheiten bzgl. datenschutz- und urheberschutzrechtlicher Fragestellungen. Und schließlich sorgen auch die möglichen Auswirkungen auf die Personalsituation und damit die Unternehmenskultur für eine zögerliche Herangehensweise an das Thema. Entsprechend sind diese Barrieren in einem Verband mitzubedenken, will man KI erfolgreich nutzen und soll es nicht nur bei der vereinzelten Nutzung von KI-Tools wie z. B. ChatGPT bleiben.