Verbändereport AUSGABE 8 / 2012

Strategisches Verbandsmanagement

Trends in der Verbändelandschaft – welche Herausforderungen sind zu antizipieren?

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Verbände stehen heute vor größeren Herausforderungen als je zuvor. In den vergangenen Jahrzehnten konnte ein kontinuierlicher Strukturwandel bei Verbänden in der Interaktion mit Mitgliedern, Politik und Medien beobachtet werden. Für ein optimales Verbandsmanagement ist es deshalb sinnvoll, die Trendbewegungen in der Verbändelandschaft zu beobachten und zu analysieren.

Vor dem Hintergrund der Veränderungen in der Verbandslandschaft beobachten wir zunächst drei maßgebliche Trends: Pluralisierung, Heterogenisierung und Mediatisierung, die jeweils verschiedene Untertrends beinhalten.

Pluralisierung: Interessenvielfalt

In Verbänden ist seit Jahrzehnten ein kontinuierlicher Kulturwandel hin zur Individualisierung der einzelnen Mitgliedsunternehmen zu beobachten. Viele der Unternehmen stellen immer häufiger ihre partikularen Eigeninteressen in den Mittelpunkt ihres Handelns und hinterfragen die Arbeit und Handlungsfähigkeit von Verbänden kritisch.

Komplexität

Die zunehmende Interessen- und Themenvielfalt der Mitglieder führt zu einer wachsenden Komplexität. Ökonomische und politische Sachverhalte besitzen eine zunehmende Vielfalt von Faktoren und Interdependenzen. Entscheidungssituationen sind häufig weniger überschaubar und strukturierbar. Diese Rahmenbedingungen fordern von Verbänden eine stärkere Reduktionsleistung, um einen gemeinsamen Konsens herzustellen.

Nutzen statt Werte

Die veränderte Mentalität vieler Mitgliedsunternehmen ist gekennzeichnet von einem Wertewandel hin zum konkreten Nutzen. Eine Verbandsmitgliedschaft muss sich in Zeiten eines zunehmenden Controllings auch finanziell rechnen. Der Wertewandel führt oft zu einer schwindenden Mitgliederbindung. Unternehmen sind sehr viel ergebnisorientierter und schneller wechselwillig, sobald sie ihre Interessen in einem Verband nicht mehr gut vertreten sehen. Mitgliedsunternehmen verstehen sich als Kunden und Verbände stehen z. T. in direkter Konkurrenz mit anderen Verbänden.

Heterogenisierung: Ebenenvielfalt

Politik ist heute durch eine zunehmende Ebenenvielfalt geprägt: Berlinisierung, Europäisierung und Globalisierung sind wichtige Schlagworte. Die Identifizierung der zuständigen Entscheider ist dadurch schwieriger, die Analyse politischer Entscheidungsprozesse sehr viel komplexer geworden. Der Aufwand für Verbände, Netzwerke zu pflegen, Themen zu recherchieren und Interessen an entscheidender Stelle zu artikulieren, nimmt deutlich zu.   

Konkurrenz durch neue Akteure

Die neue Mehrdimensionalität der Politik geht einher mit einer steigenden Konkurrenzsituation in der Inte-ressenvertretung – insbesondere in den politischen Zentren: Berlin, Brüssel und Washington. Die Nähe zu politischen Entscheidungsträgern und die eigenständige Vertretung der zunehmenden Partikularinteressen werden für immer mehr Unternehmen so essenziell, dass sie eigene Hauptstadtrepräsentanzen eröffnen und sich nicht mehr allein auf die Verbandsvertretung verlassen.

Emotionalisierung

Unsere heutige Gesellschaft ist bestimmt durch die Kommunikation über Massenmedien und soziale Netzwerke. Auch die Politik bedient sich dieser medialen Rahmenbedingungen und setzt auf zunehmend heterogene Kommunikationsmittel. Durch Facebook, Twitter und Co. ist die politische Kommunikation emotionaler, persönlicher, schneller und infolgedessen auch für die breite Öffentlichkeit leichter zugänglich geworden. Verbände stehen vor der Herausforderung, ihre Themen und Sichtweisen auch vor diesem sich ändernden politisch-medialen Hintergrund effektiv zu vertreten.

Mediatisierung: Mediale Beschleunigung

Das Internet und die Digitalisierung der Medien führten in den letzten Jahren zu einer Kommunikationsevolution bisher unbekannten Ausmaßes. Informationen werden zu einem immer wichtigeren Gut in unserer Gesellschaft, wobei der Anspruch an Aktualität, Schnelligkeit und Mobilität enorm wächst. Diese Entwicklungen verstärken das Bedürfnis nach Orientierung – sowohl bei Mitgliedern als auch bei der Politik. Das stellt nie da gewesene Anforderungen an die Verbandskommunikation – für interne und externe Bezugsgruppen.

Sichtbarkeit

Aufgrund der enormen Informationsflut des digitalen Zeitalters und der zunehmenden Konkurrenz durch andere Akteure ist es für Verbände deutlich schwieriger geworden, sich im medial-gesellschaftlichen Resonanzraum mit eigenen Themen sichtbar zu positionieren. Die Eigendynamik der Medien und eine zunehmend kritische Öffentlichkeit bergen zusätzliches Konfliktpotenzial bis hin zum Kontrollverlust. Um auch in diesen Zeiten mit relevanten Themen im politischen und gesellschaftlichen Umfeld sichtbar zu sein, ist ein professionelles Themenmanagement und Agenda Setting (rechtzeitiges Setzen von Themen) notwendig.

Inszenierung

Eine Herausforderung für viele Verbände ist es, sich in ihrer Kommunikation auf ein klar definiertes und differenziertes Themenset zu fokussieren. Eine Fähigkeit zur Konzentration und Zuspitzung ist allerdings notwendig, um kampagnenfähig zu sein und Themen unter Einbeziehung der Mitglieder sichtbar zu machen. Mit intelligent inszenierten Kampagnen können Verbände bei Bedarf für öffentliche Rückendeckung sorgen und so dazu beitragen, dass ihre politischen Ziele deutlich sichtbar und als relevant wahrgenommen werden.

Zehn Herausforderungen für Verbände

Durch die aufgezeigten Trends wird deutlich, dass der rasante Strukturwandel die Verbände vor viele neue Herausforderungen stellt. Diese gilt es zu analysieren und zu bewerten, um rechtzeitig darauf reagieren zu können.

1. Profil

Verbände brauchen ein aktuelles Selbstverständnis, das zu den gesellschaftlichen und innerverbandlichen Entwicklungen passt. Mit neuem Selbstbewusstsein können sie sich als eigenständige Marke positionieren. Indem Verbände ihr Alleinstellungsmerkmal deutlicher herausarbeiten, können sie sich besser von potenziellen Wettbewerbern differenzieren.

2. Leadership

Verbände müssen ein neues Verständnis der Verbandsführung entwickeln und Mitarbeiter wie auch Mitglieder auf neue Wege mitnehmen. Orientierung und Vertrauen sind dabei wichtige Erfolgsfaktoren. Dabei ist es wichtig, eine nachvollziehbare Vision für den Verband zu entwickeln und daraus abgeleitet konkrete Leitlinien für das innerverbandliche Handeln zu definieren.

3. Selbstverständnis

Verbände sollten sich auch als Servicedienstleister verstehen, um ihren Mitgliedern professionelle Unterstützung zu garantieren. Indem sie kontinuierlichen Mehrwert bieten und sich als Unterstützer unentbehrlich machen, können Verbände einer sinkenden Mitgliederbindung entgegenwirken. Es wirkt auf viele Entscheider befremdlich, freitags ab 14:00 Uhr nur noch den Anrufbeantworter als Gesprächspartner zu erreichen.

4. Stakeholdermanagement

Verbände müssen die Beziehungen zu ihren Stakeholdern professionell managen. Netzwerke sollten nicht erst dann gepflegt werden, wenn es zu spät ist. Dabei sollten auch die neuen Möglichkeiten der digitalen Vernetzung online berücksichtigt werden. Xing und LinkedIn werden mittlerweile von vielen Unternehmen und Verbänden genutzt.

5. Lernende Organisation

Mithilfe einer fortwährenden Evaluation des eigenen Profils und der Prozesse können Verbände Schwachpunkte erkennen und beseitigen und Potenziale ausschöpfen. Ein Strategie-Tool wie der Verbände-Check von fischerAppelt unterstützt bei der zielgerichteten Optimierung der eigenen Arbeit.

6. Ressourcenoptimierung

Verbände müssen ihre Ressourcen an die Bedürfnisse ihrer Stakeholder und an geänderte Rahmenbedingungen anpassen. Dabei ist zunehmend ein Trend in Richtung Flexibilisierung zu verzeichnen. Nur so kann auf Dauer sichergestellt werden, dass Verbände auch bei kleinen politischen Zeitfenstern ihre Belange wirkungsvoll vertreten können – je nach Bedarf in der jeweils notwendigen Interessenkoalition.

7. Komplexitätsreduktion

Um zu einem gemeinsamen innerverbandlichen Konsens zu gelangen, müssen Verbände die immer vielfältigeren Interessen ihrer Mitglieder stärker bündeln, filtern und komprimieren. In diesem Zusammenhang sollte auch über eine stärkere Einbeziehung von Social-Media-Anwendungen nachgedacht werden.

8. Interne Kommunikation

Mitglieder wollen sehen, was der Verband für sie leistet und welche Erfolge er hat. Social Media kann auch in der internen Kommunikation mehr Transparenz schaffen und neue Formen der Teilhabe ermöglichen. Kommunikation muss in vielen Verbänden einen neuen Stellenwert in der Verbandsarbeit und -struktur erhalten – intern wie extern. Den internen Zielgruppen kommt aufgrund ihrer Multiplikatorenfunktion ein ganz besonderer Stellenwert zu.

9. Sichtbarkeit

Verbände sollten im Rahmen eines professionellen Issue Managements die politische und mediale Agenda kennen und prognostizieren können. Mithilfe von Agenda Setting können sie eigene Themen damit verknüpfen und sichtbar machen. Kommunikationstools wie der fischerAppelt-Themenradar helfen dabei. Allianzfähigkeit wird wichtiger: Besonders durch strategische Allianzen kann die dringend notwendige Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit erreicht werden.

10. Kampagnenfähigkeit

Das Verständnis für das politisch-mediale System und das Nutzen des gesellschaftlichen Resonanzraums können Verbänden helfen, ihre eigenen Themen besser in den Medien zu platzieren und eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Kreativität, Pointiertheit, aber auch Mut zur Polarisierung helfen Verbänden dabei, trotz einer hohen Wahrnehmungsschwelle die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erlangen.

Gerade in Zeiten eines starken Strukturwandels ist es für Verbände sinnvoll, die Entwicklungen auf ihre Bedeutung für die eigene Institution zu überprüfen. Mit vorausschauender Planung können Verbände Herausforderungen antizipieren und sich rechtzeitig positionieren.

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