Hans-Jürgen Zechlin, bis 1998 Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), hat soeben ein Werk zum Strukturwandel von Verbänden vorgelegt, mit dem er gewissermaßen die Summe aus seinen Erfahrungen als Verbandsmanager zieht. Das Werk ist im Fossil-Verlag Köln erschienen (ISBN 3-938959-25-2) und zum Preis von 69,50 Mark erhältlich.
Vor allem die Essays zu den Themen "Strukturwandel im Wirtschaftsverband", "Verbandsaktivitäten 1995 bis 1998", "Wir verstehen unsere Kunden als Anteilseigner", "Was leisten Wirtschaftsverbände für ihre Mitglieder" sowie "Aufgaben, Organisation und Willensbildung im VDMA" dürften das Interesse aller Verbandsgeschäftsführer beanspruchen. Die weiteren Kapitel befassen sich eher mit allgemein ordnungspolitischen Fragestellungen und der Rolle des deutschen Maschinenbaus in der Welt.
Verbände sind eine Wachstumsbranche
Zechlin geht von der Ausgangshypothese aus, dass Verbände eine Wachstumsbranche darstellen, weil die Zahl der gemeinschaftlichen Aufgaben und Probleme weltweit zunimmt.
Allerdings müssen sich Verbände umstrukturieren, um den veränderten Ansprüchen ihrer Mitglieder gerecht zu werden. Das bedeutet nach Zechlin nicht nur neue Inhalte der Verbandsarbeit, sondern auch die Personalisierung und Individualisierung von Verbandsleistungen. Intensive Mitgliederbetreuung und direkte Ansprache sei das Gebot der Stunde, da die Mitglieder den Verbandsnutzen unmittelbar erfahren und kennen müssen.
Da der VDMA trotz hohen Ansehens und bester Reputation in den 70er Jahren hinsichtlich seiner Finanzen gewissermaßen einen "Sanierungsfall" darstellte, war eine grundlegende Neuorientierung notwendig. Die damalige Lage schlug auf die Stimmung und Motivation der Mitarbeiter und auf das Ansehen des VDMA bei den Mitgliedsfirmen durch. Aufgrund der leeren Kassen wurde die Mitarbeiterzahl von 477 im Jahre 1970 auf 339 im Jahre 1985, also um knapp 30 Prozent, gesenkt. Auch die Mitgliederzahl sank um 10 Prozent: von 2.767 auf 2.484 im Jahre 1979.
Statt Beschwörungsrhetorik nüchterne Analyse nötig
Nicht selten verfallen Verbände, statt nüchtern die Lage zu analysieren, in eine pure Beschwörungsrhetorik, den Blick fest in die Vergangenheit gerichtet. Nicht so der VDMA: Aufgrund der damals von der Hauptgeschäftsführung initiierten grundlegenden Analyse gelangte man zu folgenden Einsichten:
Nur ein relativ geringer Teil der Mitgliedsunternehmen, nämlich etwa 200 von rund 2.500, zahlten die hohen Verbandsbeiträge ausschließlich oder in erster Linie für die Interessenvertretung gegenüber dem Parlament und der Politik.
Die große Mehrheit der VDMA-Mitglieder erwartete demgegenüber aber auch Erfolge bei anderen Interessengruppen, seien es die Messegesellschaften, Zulieferanten, Abnehmer, die Versicherungswirtschaft, Energieversorgungsunternehmen, Hochschulen oder die öffentliche Meinung. Die Analyse ergab, dass dies allein aber immer noch nicht ausgereicht hätte, um die Mitglieder dauerhaft zur Zahlung von Jahresbeiträgen von 20.000 bis 30.000 Mark zu bewegen.
Entscheidend war ein Drittes: Die Beschäftigung mit gemeinsamen Themen, an denen die Firmen arbeiteten ohne in unmittelbarer Konkurrenz zu stehen. Diese Erarbeitung gemeinsamer Lösungen um die Rückvermittlung des dabei entstandenen Wissens an die Mitglieder durch Seminare, Erfahrungsgruppen, Rundschreiben und Broschüren bildeten den eigentlichen "Kitt" für die Verbandstreue.
Der Befreiungsschlag des VDMA
Die Lösung bestand also in der Umorientierung von einer profilierten Interessenvertretung zu einem breit angelegten Service- und Dienstleistungsbetrieb. Dabei sollte die Interessenvertretung natürlich nicht aufgegeben werden, sondern durch unmittelbar erfahrbare Dienstleistungen ergänzt werden.
In den Leitsätzen zur Verbandskultur und zum Verbandsleitbild schlug sich dies in folgenden Sätzen nieder:
"Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen, das den mittelständischen Mitgliedsunternehmen des Maschinenbaus eigene Stabsabteilungen ersetzt." Und: "Wir verstehen unsere Mitglieder als Anteilseigner und als Kunden. Jeder Mitarbeiter strebt danach, den Mitgliedern bestmöglich zu dienen." Und an einer anderen Stelle heißt es: "Für unsere spezifische Klientel, den Maschinenbau, sind wir ein einzigartiger Wissenspool. Das, was wir anbieten, kann in dieser Form durch Dritte nicht angeboten werden."
Das neue Profil
Zunächst ging es darum, alle Mitglieder des Verbandes stärker an den VDMA zu binden. Damit mussten Veranstaltungstypen geschaffen werden, die über die bisherige Vorstands- und Ausschussarbeit hinausgingen. Also wurde der Sektor "Seminare" und "Informationsveranstaltungen" bedeutend ausgeweitet. Heute nehmen jährlich an den VDMA-Veranstaltungen 60.000 Besucher teil.
Dazu wurde die frühere Verbandsgeschäftsstelle zu einem "Haus des Deutschen Maschinen- und Anlagenbaus" ausgebaut, in dem die Industrie ihren Treffpunkt und ihre Heimat hat. Das schafft Bindung.
Verbände ermöglichen "Gemeinschaftstraining"
Gleichzeitig wurde der gemeinsame Gedanken- und Erfahrungsaustausch zwischen den Unternehmen, die sich eben nicht nur als Konkurrenten empfinden, intensiviert. Damit wurde die Möglichkeit geschaffen, sich auch im kleinen Kreis vertraulich über gemeinsame Aufgaben, Lösungen und Probleme zu unterhalten. Den oft gehörten Einwand, die "Großen" im Verband hätten an der Schaffung eines solchen gemeinsamen Wissenspools weniger Interesse, weil sie hierdurch um ihre Wettbewerbsvorteile aufgrund eigener Stabsstellen fürchten würden, kontert Zechlin wie folgt: "Ich vergleiche das gerne mit dem Sport. Wo gemeinsam trainiert wird, wird nicht der eine zu Lasten des anderen besser, sondern alle erreichen höhere Leistungen."
Auch die zentralen Mitgliederversammlungen wurden im Programm, Inhalt und im Stil radikal verändert. Seither bildet ein Begrüßungsabend unter dem Motto: "Wiedersehen beim VDMA" den Auftakt der zweitägigen Jahrestagung. Am nächsten Tag folgen Arbeitskreise, Workshops und Pressekonferenzen, in denen sich die Mitglieder engagieren und wiedererkennen. Zum Abschluss der Arbeitssitzung folgt ein großer Gala-Abend, der der "Selbstinszenierung der Branche" dient. Auf diese Weise schafft es der VDMA, bis zu 1.200 Mitglieder zur Teilnahme an der Jahrestagung zu motivieren.
Interne Öffentlichkeitsarbeit
Es gilt die Regel, dass jedes Mitglied den VDMA auf mindestens drei Kanälen wahrnehmen soll. Das kann einmal über die Einbindung in den Fachgemeinschaften, den Landesgruppen oder in zentralen Ausschüssen geschehen. Ein weiterer Kanal sind die Presseveröffentlichungen, Rundschreiben und die Verbandszeitschrift. Schließlich soll die Präsenz des Verbandes auf Messen oder durch die Mitarbeit in speziellen Forschungs- und Normungsprojekten wahrgenommen werden.
Eine Kleinigkeit vielleicht nur, aber dennoch von beträchtlicher Wirkung: Alle Dateien wurden personalisiert, so dass die Rundschreiben und Veröffentlichungen tatsächlich bei denjenigen landeten, für die sie bestimmt waren. In der Vergangenheit verschwanden diese, welcher Verband würde das nicht kennen, häufig in den Ablagen der Geschäftsführungssekretariate.
Externe Öffentlichkeitsarbeit
Gleichzeitig wurde die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit systematisiert und intensiviert. Die VDMA-Mitglieder sollten schon beim morgendlichen Frühstück die Position ihres Verbandes kennen lernen. Die Verlagstätigkeit wurde als selbständige GmbH aus dem Verband ausgegliedert. Derzeit gibt der Verlag jährlich etwa 50 Publikationen für Unternehmer und Führungskräfte mit einer Gesamtauflage von etwa 300.000 Exemplaren heraus. Als günstig hat sich die Herausgabe von Katalogen herausgestellt, wenn in einem solchen Katalog eine Nicht-Mitgliedsfirma nicht vertreten ist, kann das durchaus Überlegungen zum Erwerb der Mitgliedschaft auslösen, so Zechlin.
Externe Beratung bei der Neuausrichtung
Zechlin warnt davor, bei der Neuausrichtung des Verbandes allzu viel Hoffnung auf externe Berater zu setzen. Rund 80 Prozent der Arbeit, von der man hofft, dass sie einem durch die Beratungsgesellschaft abgenommen wird, muss man selber machen, so Zechlin. Gleichwohl rät er zur Zuziehung externer Berater, schon um der Gefahr der Betriebsblindheit zu entgehen. Zechlin weiß zwar, dass "in der Regel Verbandsgeschäftsführer eine externe Beratung fürchten wie der Teufel das Weihwasser", dennoch schaffe eine externe Beratung Vertrauen gegenüber den Mitgliedern - ein Vertrauen, das im Verbandsalltag nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden könne." Verbandsmitglieder gehen nicht selten davon aus, dass die von ihnen bezahlten Verbandsgeschäftsführer ein ruhiges Leben bevorzugen, gerne repräsentieren und Schwierigkeiten vorzugsweise aus dem Wege gehen." Aus diesem Grunde, so ein gängiges Vorurteil, unterblieben nötige Strukturanpassungen. Dieses latent vorhandene Misstrauen lasse sich leichter abbauen, wenn man sich einer externen Prüfung unterziehe.
Finanzstatut
Beitragsreform, Beitragsehrlichkeit, Transparenz und Durchsichtigkeit der Finanzen, Verbesserung des Berichtswesens und Kostenmanagement müssen, so Zechlin, Dauerthema in jedem Verband sein. "Von ihrer Mentalität her wissen Verbandsgeschäftsführer häufig besser, wie Geld ausgegeben, als wie es eingenommen wird". Beruhigend fügt er aber gleich hinzu: "das genannte Verhalten ist dem Verbandsgeschäftsführer aber nicht genetisch vorgegeben, es resultiert vielmehr aus der Natur der Sache, aus Sachzwängen."
Entscheidend für jede Finanzverfassung von Verbänden seien drei Sachverhalte:
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Die Mitglieder müssen davon überzeugt sein, dass der Verbandshaushalt sparsam geführt wird und den Prinzipien ordnungsgemäßer Finanzen entspricht. Dazu sei ein Finanzberichtswesen und als Kontrollorgan ein Haushaltsausschuss sinnvoll.
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Gegenüber den Mitgliedern ist größtmögliche Transparenz und Durchsichtigkeit der Finanzen zu schaffen. Der VDMA legt hierzu einen Jahresabschlußbericht vor, der durchaus demjenigen von Aktiengesellschaften entspricht.
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Hinzu kommen laufenden Informationen über die Entwicklung der Verbandsfinanzen im Jahresverlauf.
Kommerzialisierung der Verbandsarbeit?
Zahlreiche Verbände sehen in der Kommerzialisierung der Verbandsarbeit die Lösung von Budgetproblemen. Zechlin warnt hier vor zu kurzsichtigen Maßnahmen. Seine Formel lautet: "Ein Verband sollte nach unternehmerischen Prinzipien - also kundenorientiert und wirtschaftlich -, nicht aber nach unternehmerischen Zielen - also Rendite und Gewinnmaximierung - geführt werden."
Ein Verband ist nach Zechlin dann kommerziell erfolgreich, wenn er die Mitgliederzahl nicht sinken lässt, sondern für ihr Wachsen sorgt. Das sei die Meßlatte, an der der Verbandserfolg zu messen ist. Dabei dürfe nie aus den Augen verloren werden, dass die eigentliche Stärke eines Verbandes - gewissermaßen sein Kerngeschäft - die Gemeinschaftsleistung bilde.
Dies spreche nicht gegen den Verkauf von Dienstleistungen, die als Einzelaktivität nur von ganz wenigen Mitgliedern in Anspruch genommen werden und diesen unmittelbar zurechenbar seien. Um steuerlichen Problemen aus dem Weg zu gehen, sei in solchen Fällen die Bildung einer Service-GmbH angezeigt.