Verbändereport AUSGABE 5 / 2013

Vermessung der Zivilgesellschaft

Global Civil Society Index

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Wohl eines der größten, wenn nicht das größte Projekt, den weltweiten Dritten Sektor zu beschreiben, haben Forscher der Johns Hopkins University in Baltimore, USA, begonnen. Schon Ende des letzten Jahrtausends legten Lester M. Salamon, Helmut K. Anheier, Regina List, Stefan Toepler und S. Wojciech Sokolowski sowie über 40 weitere nationale Experten die Studie „Global Civil Society – Dimensions of the Nonprofit Sector“ vor.

Diese Studie lege, so Herausgeber und Director des Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Project, Lester Salamon, ein besonderes Augenmerk auf den stetig relevanter werdenden Markt, den dritten Sektor, den er so beschreibt: Tausende privater (Bürger-)Initiativen, lokale Hilfsinitiativen und Tafeln, privat organisierte Tageseinrichtungen für Kranke und Alte, Kultureinrichtungen, professionelle Verbände und Vereinigungen oder Verbraucher-Initiativen übernehmen Aufgaben des Staates oder auch der Wirtschaft und wachsen zu einem großen, aber weitgehend unbekannten Markt aus.

Nun ist seit Niederlegung der ersten Auflage im Jahr 1999 eine Menge im Dritten Sektor passiert, doch die Grundaussage bleibt bestehen: Zwar unterscheide sich der Dritte Sektor von Nation zu Nation, doch erhebliche Unterschiede seien – zumindest in langer Frist, häufig auch schon heute – nicht (mehr) zu verzeichnen. Zu sehr sind die Interessen der Nationen und der Menschen voneinander abhängig, zu sehr ähneln sich die Probleme der führenden Wirtschaftsnationen, der europäischen Mitgliedsstaaten oder der asiatischen Tigerstaaten oder der BRIC-Staaten, die auf der Schwelle stehen. Dabei ist bemerkenswert, dass die Herausgeber der Studie nicht nur auf die „typischen“ Wirtschaftsnationen der G20 schauten, sondern auch die damals noch jungen Demokratien des ehemaligen Ostblocks und im Balkan untersuchten.

Kernfragen der Studie sind:

  1. Wie ist die grundlegende Struktur und in welcher Größe haben sich Organisationen im Dritten Sektor des jeweiligen Landes gegründet?
  2. Welche Faktoren sind für die Unterschiede in Größe, Struktur und Finanzierungsweise verantwortlich? Welche Faktoren bedingen ein Wachstum der Organisationen und welche (externen) Maßnahmen führen eher zum Schrumpfen?
  3. Schließlich: Welchen gesellschaftlichen Unterschied machen Vereinigungen im Dritten Sektor und was sind deren besondere Beiträge für das Fortkommen einer Gesellschaft?

Seit in der ersten Auflage 22 verschiedene Nationen aus Europa, Asien, Latein- und Nord-Amerika aufgenommen wurden, erreichen die Nachfolgeauflagen eine Übersicht von 45 Ländern weltweit. Mittlerweile liegen Daten für viele afrikanische Länder wie Kenia oder Tansania genauso vor wie für den Libanon oder die Philippinen.

Ursprünglich begann das Projekt schon im Jahr 1991 und hat sich seitdem zu einem eigenen Forschungszweig der Politologie an der Johns Hopkins University entwickelt. Die Forscher selbst sprechen davon, dass sie eine „dramatische Revolution“ in der Entwicklung des Dritten Sektors beobachteten. Der Rückzug des Staates und das zunehmende Eingreifen von privater Hand, deren Institutionalisierung sich im Dritten Sektor niederschlägt, hätten jedoch nicht dazu geführt, dass der Dritte Sektor empirisch und politologisch untersucht würde. Um das zu gewährleisten, träten die Forscher um Salamon an und böten neben einer Menge an Roh- und Vergleichsdaten, die regelmäßig fortgeschrieben würden, Publikationen und Arbeitspapiere, um für die jeweiligen Nationen den Dritten Sektor ausleuchten zu helfen und zu vermessen.

Aus all diesen Daten haben die Forscher 2004 den „Global Civil Society Index“ entwickelt, um die jeweiligen Einzeldaten der Nationen mit wenigen Indikatoren zu fassen, um die politische und gesellschaftliche Durchschlagskraft des jeweils nationalen Dritten Sektor einfacher fassen zu können.

Dabei identifizieren die Forscher drei Dimensionen möglicher Einflussnahme und Bedeutung. Die „Kapazität“ (capacity) ist ein Indiz für die quantitative Größe und den Mobilisierungsgrad des Dritten Sektor, Freiwillige zu binden. Unter „Nachhaltigkeit“ (sustainability) fassen die Forscher die Fähigkeit der Organisationen im Dritten Sektor, sich selbst zu erhalten und systemisch nachhaltig zu agieren, sich also selbst nicht abzuschaffen und Probleme im Sektor selbst zu lösen, ohne notwendigerweise auf politische Hilfestellung angewiesen zu sein. Schließlich sagt der „Einfluss“ (impact) etwas darüber, wie und wie qualitativ sich die Organisationen aktiv in die Entwicklung der Gesellschaft und des Staates einbringen.

Eine solche Dimensionierung zeigt auf, dass die Niederlage mit einem sehr großen Dritten Sektor (79 von 100 Punkten) und einem Grad an Einflussnahme von 89 Punkten das Land mit dem fortschrittlichsten und aktivsten Dritten Sektor sind. Besonders stabil, bzw. in der Diktion der Forscher nachhaltig, ist der Dritte Sektor in Norwegen aufgestellt, dort ist seine Wirksamkeit jedoch ein großes Stück weit geringer als das für die Niederlande festgestellt wurde. Deutschland nimmt dieser Lesart zufolge einen mittleren Rang in der Evolution eines Dritten Sektors ein und liegt auf Platz 12 – immerhin mit Abstand – vor Spanien und Argentinien. Inwieweit diese Ergebnisse tatsächlich die Realität erfassen (können), mag der geneigte Leser selbst entscheiden. Die Studie steht kostenfrei online zum Download als PDF-Datei zur Verfügung.

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Autor/in

Tim Richter

ist Redaktionsleiter des Deutschen Verbände Forums – verbaende.com und ständiges Mitglied der Redaktion des Verbändereport. In verschiedenen Positionen setzt er die Möglichkeiten des Internets und von Social Media zur Schaffung von Öffentlichkeit ein. Er ist Mit-Herausgeber des Fachbuches „Social Media in Verbänden“ und berät Organisationen im erfolgreichen Einsatz und Umgang mit den neuen Medien.

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