Verbändereport AUSGABE 8 / 2007

Von der Kooperation zur Fusion

Der Prozess und seine Gestaltung

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Die Verbändelandschaft ist im Umbruch, denn die Strukturen von Branchen und Berufsgruppen, auf denen die Verbände begründet sind, unterliegen einem stetigen, teilweise rapiden Wandel. Die Verbände sind gefordert, diesem Wandel zu folgen, ihn möglichst mitzugestalten. Studien wie Beobachtungen bestätigen diese Bewegungen. So entnehmen wir einer Studie, die der Autor gemeinsam mit IW-Consult (Institut der deutschen Wirtschaft, Köln) zu Beginn des Jahres 2006 durchgeführt hat, dass die Hälfte der befragten Wirtschaftsverbände den Kooperationen eine große Bedeutung beimisst und dass ein Drittel zu Umstrukturierungen mit dem möglichen Ziel einer Fusion keine Alternativen sieht.

Auch prominente Beispiele von Fusionen aus jüngerer Zeit illustrieren die Richtigkeit dieser Diagnose: Speditions- und Logistikverbände haben sich zum Deutschen Speditions- und Logistikverband DSLV zusammengeschlossen, die norddeutschen Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie zu dem gemeinsamen Verband NORDMETALL und die großen energiewirtschaftlichen Verbände sind gerade dabei, sich im Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW zusammenzufinden.

Zusammenarbeit durch Fusion ist offensichtlich eine probate Lösung zur Bewältigung des Wandels.

Der Einstieg

Der Prozess zu einer Fusion beginnt in der Regel mit mehr oder weniger engen Formen der Kooperation. Motive und Gründe hierzu unterscheiden sich durchaus: Verbände kooperieren, weil es Überschneidungen in der Mitgliedschaft gibt.

Sehr häufig zu beobachten bei Berufsverbänden. In den meisten Fällen wird hierdurch Konkurrenz durch Kooperation neutralisiert.

Verbände kooperieren, weil es gemeinsame politische Interessen gibt. So zu beobachten bei unterschiedlichen Verbänden von Freiberuflern, bei Akteuren, die einem spezifischen gesellschaftlichen Teilsystem zugehören – ein Beispiel ist das Gesundheitssystem –, oder bei Verbänden, die gemeinsame Interessen im Außenhandel organisieren.

Verbände rücken näher, weil die Ressourcenbasis schwächer wird. Dies ist ein Motiv, das mehr als die Hälfte der von uns befragten Wirtschaftsverbände genannt hat. Der darunterliegende Prozess könnte beispielsweise der Export von Arbeitsplätzen sein. Ein Beispiel aus dem letzten Jahrzehnt hierfür ist der Zusammenschluss der beiden Verbände der Textilindustrie und der Bekleidungsindustrie.

Verbände rücken näher, weil der Außendruck zunimmt. Ein klassisches Motiv bei Wirtschaftsverbänden, in denen die wesentlichen Spieler der Mitgliedschaft eine Konzentration der Kräfte fordern.

Viele Prozesse des Zusammenrückens kommen über den Status der Kooperation nicht hinaus, weil die Interessenlagen, die zu Kooperationen animieren, nur zu einem Teil identisch sind, andere Interessen der beteiligten Verbände aber nicht ohne weiteres zusammenpassen. Zudem erscheinen typische Kulturmerkmale der beteiligten Verbände zumindest auf den ersten Blick unvereinbar.

Wegen dieser Hürden wird die Beantwortung der Fragen nach dem Wozu und Wie eines engeren Zusammenrückens meist hinausgeschoben, mit der Folge fehlender Dynamik im Prozess der Zusammenarbeit.

Die Zielsetzung

Was fehlt, sind demnach Mut und Fähigkeit, sich zu einer klaren Zielsetzung zu bekennen, die Zusammenarbeit bis zur Fusion weiterzuführen, obwohl die Zielklärung am Anfang eines Prozesses des Zusammenwachsens unbedingt wünschenswert wäre. Wir stellen auch in unseren Projekten immer wieder fest, dass das nur selten erreicht wird.

An ihre Stelle treten meist nur generelle Formeln der Zielbegründung wie Erhöhung der Schlagkraft, Effizienzsteigerung, Bündelung der Interessenvertretung oder Ähnliches. Ihre Schwäche ist, dass sie wenig zu einer operativen Durcharbeitung eines Integrationsprozesses taugen.

Der einzige Schluss hieraus ist zwar auch nicht unbedingt überzeugend. Er ist aber die einzige tragfähige Alternative zur wünschenswerten Zielklärung am Anfang des Integrationsprozesses, nämlich die Entscheidung, Zielklärung selbst als einen die Integration und die Fusion stets begleitenden Prozess einzurichten.

Die Kernelemente des Integrationsprozesses

Wenn der gemeinsame Wille zur Fusion bei allen Beteiligten erkennbar ist, wird in der Regel erwartet, dass in einer nächsten Stufe der Verdichtung von Führung und Struktur Meinungsbildung und Entscheidungsfindung stärker koordiniert werden, dass auf dieser Basis Integration unumkehrbar fortschreitet und am Ende die Fusion steht.

Leider ist dieser Idealprozess äußerst selten anzutreffen. Stattdessen verläuft ein Prozess zur Fusion in der Regel nach einem Muster, dem alle Merkmale eines Top-down-Prozesses zueigen sind. Er ist der empirische Normalfall.

Welches sind die Gründe?

Wir haben bereits ausgeführt, dass Kooperationen wegen nach wie vor bestehender Interessen- und Kulturunterschiede in der Regel nicht zu einem sich selbst verstärkenden Prozess führen, dass stattdessen Stagnation und Entscheidungsstau dazwischentreten. Wenn diese Situation eintritt, sind die politischen Gremien der Verbände gefordert. Nur sie können den Stau auflösen. Erst danach sind die Voraussetzungen dafür gelegt, dass die Prozesse der Definition gemeinsamer Interessen und der Konstitution gemeinsamer Themen weitergetrieben werden, die schließlich über die Koordination dieser Teilprozesse zur Integration führen können. Wegen der auslösenden Funktion der Entscheidungsgremien in diesem Top-down-Prozess nennen wir ihn den Gremien-Ansatz der Integration und Fusion. (Siehe Abbildung 1: „Die Grundprozesse“). Integration wird zur „Post-Merger-Integration“.

Erst nachdem also die große Hürde des Entscheidungsstaus durch mutige Grundsatzentscheidungen genommen ist, kann auf der Basis von integrativen Themen eine neue Struktur entwickelt werden (siehe Abbildung 2: „Der Integrations-Ansatz“), und erst dann widmen sich die Beteiligten solchen Fragen wie: Welche Ziele sollen mit der Integration überhaupt erreicht werden? Um welche Inhalte geht es eigentlich? Was sind die strategischen Aufgaben?

Nach unseren Erfahrungen und Beobachtungen kommt es in dieser Phase des durch Gremienbeschlüsse angestoßenen Prozesses darauf an, den Wendepunkt vom reinen Top-down-Prozess des Gremien-Ansatzes hin zu einem ergänzenden Prozess der Integration zu finden, der erst den Namen eines Integrations-Ansatzes zu Recht trägt. (Siehe Abbildung 3: „Vom Gremien- zum Integrations-Ansatz“)

Die Gestaltung des Integrationsprozesses

Unsere Beobachtungen und Erfahrungen weisen auch da-rauf hin, dass der Prozess der Integration dann Fundament und Dynamik erreicht, wenn es gelingt, aus einem Themenpool der beteiligten Verbände gemeinsame Themen herauszukristallisieren und sie in Projektgruppen – nicht in Ausschüssen – zu verarbeiten. Projektgruppen haben den großen Vorteil, dass sie 1. mit einer eindeutigen Zielsetzung arbeiten, 2. zeitlich befristet sind und dass sie 3. vor allem Engagement aus allen beteiligten Verbänden erfordern. (Die Einrichtung von sogenannten Ausschüssen sollte auf ein Minimum beschränkt sein, denn sie sind klassische Indikatoren eines Top-down-Ansatzes, der Integration eher behindert und meist in Gremien stecken bleibt.) Der nächste Schritt der Integration führt zur Konzentration auf strategische Kernthemen, die schließlich zu ihrer nachhaltigen Bearbeitung einer neuen strukturellen Basis bedürfen. Sie bildet das strukturelle Fundament der Integration im Fusionsprozess. (Siehe Abbildung 4: „Der Weg vom Gremien- zum Integrations-Ansatz“)

Ein weiterer wichtiger Perspektivenwechsel der Gestaltung des Integrationsprozesses liegt in der Hintanstellung der Strukturdebatte zugunsten der Gestaltung der Hauptprozesse, von denen ein integrierter Verband lebt. Dies sind einmal die Prozesse, die der Erfüllung der zentralen Aufgaben des Verbandes dienen, dies sind die Prozesse der Führung eines integrierten Verbandes und selbstverständlich auch die Unterstützungsprozesse wie Mitgliedermanagement und Finanzierung.

Die konsequente Ausrichtung auf eine Prozessorientierung ist auch von unserem Verständnis der Gestaltung eines Integrationsprozesses gedeckt: Es kann nicht darum gehen, bisher nebeneinander agierende Verbände bloß organisatorisch zusammenzuführen, sondern es geht darum, die Hauptprozesse neu zu entwickeln und zu gestalten. Schließlich ist der alle Beteiligten enorm belastende Prozess einer Fusion nur dann zu rechtfertigen, wenn durch ein neues Profil, ein neues Selbstverständnis, eine neue Positionierung und damit eine verbesserte Wahrnehmung im Umfeld des Verbandes zusätzliche Potenziale erschlossen und zusätzliche Fähigkeiten generiert werden. Wenn, kurz gesagt, durch Fusion alle unmittelbar Beteiligten und das Umfeld den neuen Verband als im besonderen Maße vitalisiert wahrnehmen (siehe Abbildung 5: „Projektgestaltung“).

Die Kernelemente dieser Neuausrichtung der Prozesse lassen sich durch Abbildung 6: („Generelle Projektmethodik“) illustrieren. Sie haben stets sowohl die Mitglieder des neuen Verbandes selbst als auch Politik und Öffentlichkeit, sprich das Umfeld, im Blick. Sie beziehen sich auf die Prozessrestrukturierung in den Geschäfts- und Funktionsbereichen (vertikal), die Prozessrestrukturierung über die Geschäfts- und Funktionsbereiche hinweg (horizontal), ein Denken in Prozessen statt in Strukturen, eine klare Definition der Anforderungen, die die Soll-Prozess-Parameter bestimmen, die Initiierung eines Lernprozesses, der aus Best Practises Honig saugt, den Abbau von Prozessschritten, die keine Wertschöpfung für ihre Empfänger beinhalten, eine Vitalisierung nicht nur des Verbandes insgesamt, sondern insbesondere der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (empowerment), schließlich die Entwicklung eines Bewusstseins, dass die alltäglichen Prozesse einer kontinuierlichen Verbesserung bedürfen (Fundament für Qualitätsmanagement).

Von der Prozessintegration zur kulturellen Integration

Eine Bestgestaltung der Kernprozesse wird nur dann nachhaltig sein, wenn es auch gelingt, aus unterschiedlichen Kulturen der beteiligten Verbände eine neue Kultur zu entwickeln und insbesondere die Funktionen, die auf das Personal gerichtet sind, integrativ zu gestalten. Die Zielsetzung und Aufgabenstellung der kulturellen Integration sind demnach: Schaffen eines gemeinsamen Verständnisses für Ziele und Funktionen des fusionierten Verbandes, Entwicklung von Leitlinien und Erfolgsmaßstäben, Einführung effizienter Formen der Zusammenarbeit, Entwicklung und Umsetzung systematischer Personalentwicklung (vergleiche Verbändereport Ausgabe 1/2006 und 2/2006), Entwicklung und Einführung eines erfolgsorientierten und anreizbetonten Vergütungssystems.

Unsere Beobachtungen und unsere Erfahrungen führen zu folgendem Schluss: 1. Die Integration von verschiedenen Organisationskulturen mit verschiedenen Führungsprinzipien ist ein Prozess, der meist durch eine hohe Anfangsdynamik gekennzeichnet ist, aber zu erlahmen droht, wenn es nicht gelingt, immer wieder Rückkopplungsschleifen einzubauen, die die Aktivitäten unterstützen, weiterentwickeln, gegebenenfalls korrigieren und festigen. 2. Integrierte Kultur ist kein operativer Hebel, sondern immer nur ein Ergebnis von Veränderungen konkreter Handlungsspielräume, von Erfolgsmaßstäben und Belohnungsinstrumenten. 3. Die Gestaltung dieser Veränderungen, also die Formung des Prozesses des Change-managements, erfordert schließlich ohne Abstriche die Akzeptanz ihrer Ziele, erfordert aber auch eine transparente Gestaltung der Prozesse selbst.

Die Organisation des Prozesses

Komplexe Prozesse der Integration unterschiedlicher Organisationen und Kulturen erfordern eine stabile Projektorganisation. Abbildung 7 („Projektdurchführung“) illustriert unsere Anforderungen als externe Berater an eine adäquate Projektorganisation. Projekte dieser Art müssen von den Entscheidungsträgern der beteiligten Verbände verantwortet werden. Die Verantwortung hierfür ist nicht delegierbar, demgemäß auch nicht die Entscheidungen über Ziele, wesentliche Weichenstellungen und strukturelle wie personelle Konsequenzen. Projektleitung wie Projektteam sind immer eine Kombination aus Beteiligten und externen Unterstützern, während die detaillierte Sacharbeit in aller Regel von den Experten der beteiligten Verbände selbst erledigt werden kann und nur in seltenen Fällen einer externen Unterstützung durch weitere Experten bedarf.

Der Weg von der Kooperation zur Fusion ist ein Prozess mit Hürden, Umwegen und Konflikten. Das ist nach unserer Erfahrung die nicht zu umgehende Normalität. Weil das aber so ist, muss umso mehr Sorgfalt auf eine konsequente Verfolgung der vereinbarten Ziele, auf die Transparenz der Prozesse sowie auf die Befähigung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die neue Welt und ihre Prozesse zu beherrschen, gelegt werden.

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Autor/in

Hans Werner Busch

ist Gründer und Geschäftsführer des Instituts für Verbandsmanagement Potsdam. Von 2000 bis 2005 führte er als Hauptgeschäftsführer den Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Dr. Busch kommt ursprünglich aus dem Krupp-Konzern, in dem er personalpolitische Gesamtverantwortung für den Konzern wahrgenommen hat.

http://www.ivm-busch.de

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