Berufsverbände und gemeinnützige Verbände dürfen sich aus steuerlicher Sicht - neben ihrer ideellen Betätigung - grundsätzlich auch wirtschaftlich betätigen; sie unterliegen insoweit einer partiellen Besteuerung. Damit stellt sich in der Praxis die Frage, ob es objektive Grenzen für eine wirtschaftliche Betätigung gibt.
Für gemeinnützige Verbände ergibt sich eine solche Grenze unmittelbar aus dem Gesetz. Nach § 55 Abs. 1 AO darf ein gemeinnütziger Verband nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgen. Damit sind der wirtschaftlichen Betätigung grundsätzliche Grenzen gesetzt, soll die Gemeinnützigkeit des Verbandes nicht insgesamt in Frage gestellt werden. Aber auch Berufsverbände dürfen nach Meinung der Finanzverwaltung den Umfang ihrer wirtschaftlichen Betätigung nicht beliebig ausweiten, wenn sie ihre Körperschaftsteuerbefreiung nicht verlieren wollen.
Das Gepräge des Verbandes ist entscheidend für die Steuerbefreiung
Es fragt sich, wo die Grenzen der Zulässigkeit einer wirtschaftlichen Betätigung liegen. Die Finanzverwaltung vertritt die Auffassung, dass ein gemeinnütziger Verband insgesamt nicht steuerbegünstigt ist, wenn ihm die wirtschaftliche Betätigung bei einer Gesamtbetrachtung das Gepräge gibt (Anwendungserlass zur AO, Rdnr. 2 zu § 55 AO).
Entsprechendes soll für Berufsverbände gelten: Tritt die Verbandstätigkeit so weit hinter die wirtschaftliche Tätigkeit zurück, dass der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb dem Verband das Gepräge gibt, soll die Berufsverbandseigenschaft entfallen (Abschnitt 8 Abs. 1 Satz 8 KStR).
An welchen Merkmalen sich das Gepräge eines Verbandes festmacht, ist bisher jedoch nicht abschließend geklärt. Eine gewisse Orientierung bietet eine neue Verfügung der Oberfinanzdirektion Frankfurt, die sich allerdings nur auf gemeinnützige Körperschaften bezieht (OFD Frankfurt/Main, Verfügung vom 6.8.2003 - S 0174 A - 20 - St II 1.03 Fundstelle: DB 2003, Seite 1932). Es handelt sich hierbei - soweit ersichtlich - um die erste konkrete Äußerung der Finanzverwaltung zu dieser Frage.
Die neue Verfügung der OFD Frankfurt im Wortlaut
(Wegen ihrer praktischen Bedeutung wird die genannte OFD-Verfügung nachstehend im vollen Wortlaut wiedergegeben. Hervorhebungen durch den Verfasser.)
„Nach § 55 Abs.1 Satz 1 AO darf eine steuerbegünstigte Körperschaft nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke - z.B. gewerbliche Zwecke oder sonstige Erwerbszwecke - verfolgen.
Zur Beurteilung der Frage, ob die vorgenannten Voraussetzungen für die Steuerbegünstigung erfüllt sind, ist zwischen der steuerbegünstigten und der wirtschaftlichen Tätigkeit der Körperschaft zu gewichten (BMF-Schreiben vom 15.2.2002 IV C 4 - S 0174 - 2/01, BStBl. I 2002 S. 267 = DB 2002 S. 456). Gibt eine wirtschaftliche Tätigkeit der Körperschaft bei einer Gesamtbetrachtung das Gepräge, ist die Steuerbegünstigung insgesamt zu versagen.
In diese vorzunehmende Gesamtbetrachtung sind nicht nur die durch die verschiedenen Tätigkeitsbereiche erzielten Einnahmen einzubeziehen. Entscheidend ist vielmehr, welche Tätigkeit der Körperschaft das Gepräge gibt (AEAO Rdn. 2 zu § 55 Abs. 1 Nr. 1).
Maßgebend sind dabei der Zeit und Personalaufwand, den die Körperschaft für die steuerbegünstigten Bereiche einerseits gegenüber den Bereichen der steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe und der Vermögensverwaltung andererseits aufwendet.
Somit können auch solche Körperschaften als steuerbegünstigte Körperschaft i.S. der §§ 51 ff. AO anerkannt werden, die ihre Einnahmen nahezu ausschließlich durch die Unterhaltung von wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben erzielen, wenn die steuerbegünstigte, satzungsmäßige Tätigkeit einen entsprechend gewichtigen Teil der Aktivitäten der Körperschaft ausmacht.
Beispiel:
Ein Verein bezweckt nach seiner Satzung die Erziehung und Bildung von ausländischen Kindern. Er erteilt zu diesem Zweck ausländischen Schülern unentgeltlich Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfestunden. Einmal im Jahr veranstaltet der Verein ein Sommerfest. Den Überschuss hieraus verwendet er zur Abdeckung der Kosten im ideellen Bereich. Obwohl der Verein allein aus dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb Einnahmen erzielt, kann er als gemeinnützig anerkannt werden. Die ideelle Tätigkeit gibt dem Verein das Gepräge.
Die Unterscheidung, ob eine Körperschaft in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt, ist auch bei Förderkörperschaften i.S. des § 58 Nr. 1 AO vorzunehmen. Auch in diesen Fällen ist zu überprüfen, welche Tätigkeit der Körperschaft nach den vorstehenden Grundsätzen das Gepräge gibt.
Beispiel 1:
Ein Schulförderverein veranstaltet einmal im Jahr ein Schulfest mit Speisen- und Getränkeverkauf. Den hieraus erzielten Gewinn i.H. von 5.000 Euro wendet er dem öffentlich-rechtlichen Schulträger zum Kauf von Lehrmaterialien zu. Darüber hinaus wirbt der Verein nachweislich während des ganzen Jahres mit besonderen Spendenaktionen, Spendensammlungen und durch schriftliche Spendenaufrufe, z.B. durch Anzeigen in der Presse. Die Spendeneinnahmen betragen 3.000 Euro. Zwar überwiegen die Mittel aus dem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, dennoch ist der ganzjährige Zeit- und Personalaufwand für die Mittelbeschaffung durch Spendensammlungen prägend. Diese Akquisition der Spenden erfolgt im ideellen satzungsmäßigen Bereich des Vereins. Der Förderverein kann daher als gemeinnützig anerkannt werden.
Beispiel 2:
Der Förderverein einer als gemeinnützig anerkannten Kinderkrippe veranstaltet einmal im Jahr ein Sommerfest und darüber hinaus im Frühjahr und Herbst je einen Kleiderbasar. Weitere Aktivitäten entfaltet der Verein nicht. Die aus dem Fest und den Basaren erzielten Überschüsse wendet er dem als gemeinnützig anerkannten Träger der Kinderkrippe zum Kauf von Spielsachen zu. Der Förderverein kann nicht als steuerbegünstigte Körperschaft i.S. von §§ 51 ff AO anerkannt werden, da die wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe dem Verein das Gepräge geben. Der Verein führt weder unmittelbar eine steuerbegünstigte Aktivität durch noch beschafft er Mittel im ideellen Bereich durch Spendenwerbung.
Bewertung der OFD-Verfügung
Die Verfügung der OFD Frankfurt ist ein erster Orientierungspunkt für die Frage, wann der Charakter eines gemeinnützigen Verbandes wirtschaftlich geprägt ist. Hervorzuheben ist, dass sich diese Verfügung nur auf steuerbegünstigte Verbände im Sinne des Gemeinnützigkeitsrechts bezieht, nicht aber auf Berufsverbände.
Die Verfügung lässt jedoch einige Fragen offen. Zunächst ist unklar, ob diese Verwaltungsmeinung bundesweit abgestimmt (und daher für alle Finanzämter in Deutschland verbindlich) ist oder nur für die hessische Finanzverwaltung gilt. Auch im letzteren Fall könnte sie jedoch - über Hessen hinaus - eine wertvolle Argumentationshilfe bieten.
Zum anderen ist die OFD-Verfügung nicht unbedingt verallgemeinerungsfähig, was die Bedeutung der in den verschiedenen Tätigkeitsbereichen eines Verbandes erzielten Einnahmen angeht. Die von der OFD herangezogenen Beispielsfälle betreffen nämlich extrem gelagerte Fälle, bei denen sich das ausschließliche Abstellen auf den Personal- und Zeitaufwand des Verbandes ohne weiteres als sehr plausibel darstellt. In der Praxis liegen die Fälle jedoch meist komplexer.
Entgegen dem ersten Anschein dürfte auch das Verhältnis der verschiedenen Einnahmen ein Merkmal sein, das bei der „Gepräge“-Frage nicht völlig außer Betracht gelassen werden sollte. Die OFD-Verfügung selbst schließt dies nicht aus, weil „in diese vorzunehmende Gesamtbetrachtung ... nicht nur die durch die verschiedenen Tätigkeitsbereiche erzielten Einnahmen einzubeziehen (sind)“.
Da eine Gewichtung zwischen der steuerbegünstigten und der wirtschaftlichen Betätigung des Verbandes einzelfallbezogen vorzunehmen ist, bleibt das Ergebnis dieser Gewichtung - wie jede Wertung - mit Unsicherheiten behaftet. Es besteht daher nach wie vor eine gewisse Rechtsunsicherheit bei der Beurteilung der Frage, unter welchen Voraussetzungen die wirtschaftliche Betätigung einem gemeinnützigen Verband das Gepräge gibt. Im Hinblick auf diese Unsicherheit ist bei intensiver wirtschaftlicher Betätigung eines Verbandes eher zur Vorsicht zu raten.
Gepräge bei Berufsverbänden
Obwohl sich die Verfügung der OFD Frankfurt nicht auf Berufsverbände bezieht, ist zu vermuten, dass die Verwaltung bei Berufsverbänden dieselben Beurteilungskriterien anwenden würde. Auch ein Berufsverband sollte sich daher auf diese Verfügung berufen, falls dies im Einzelfall für ihn vorteilhaft ist.